Adrenalin in den Ötztaler Alpen

Ein Politik-Redakteur weit abseits von Ballhausplatz und Parlament
Der Ötztaler Radmarathon ist eines der legendärsten Alpen-Rennen, weiß ein Finisher.

Noch hallt das Startsignal nach, ein Kanonenschuss der Ötztaler Schützen. Auf geht’s – ins Morgengrauen hinaus. Raus aus Sölden, das Ötztal hinunter bis zum ersten Berg – dort hinauf in den über 2000 Meter gelegenen Skiort Kühtai. Stolze 1200 Höhenmeter gilt es bei diesem extrem sportlichen Morgenprogramm ab 6.45 Uhr zu überwinden.

Bei mir läuten die Alarmglocken: Wer hier überdreht, büßt das später garantiert. Das ist einer dieser guten Ratschläge, die man gerne ignoriert. Ein Teilstück wartet mit immerhin 18 Prozent Steigung auf. Kommen Regen und Kälte dazu, wird speziell die Abfahrt von Kühtai ein Erlebnis der besonderen Art. Bei Sonnenschein und trockener Fahrbahn schaffen besonders gute Abfahrer aber Tempo 100 und mehr. Die Rede ist vom Ötztaler Radmarathon, einer wahrhaft großzügigen und ambitionierten Runde: Von Sölden nach Sölden – über Kühtai, Brenner, Jaufenpass und das Timmelsjoch.

Adrenalin in den Ötztaler Alpen
Ötztaler Radmarathon 2013 Michael Bachner_Fotos bei Nennung HONORARFREI
Der Brennerpass klingt bei dieser Strecke wie ein Zwischendurch-Erholungsprogramm: relativ moderate 777 Höhenmeter sind es von Innsbruck aus. Hier darf man bloß nicht zu viele Körner lassen, wie die Rennradler sagen. Eine gute Windschattengruppe, in der man sich gut „verstecken“ kann, ist am Brenner das A und O.

Dazwischen heißt es: essen, essen, trinken, trinken! Aber nicht zuviel Zeit auf der Labestation liegen lassen, schießt es mir durch den Kopf. Schon geht es beim Abstecher nach Südtirol weiter zum dritten Berg, dem Jaufenpass (1130 Höhenmeter). Sterzing bietet sich hier als ideale Übernachtungsmöglichkeit für all diejenigen an, die den Ötztaler privat, also außerhalb des Rennens auf zwei Mal fahren. Das heißt, Tag 1: Kühtai plus Brenner bis Sterzing. Und Tag 2: Jaufenpass plus Timmelsjoch, zurück nach Sölden.

Das macht im Ergebnis zwei gewaltige Ausfahrten, die einem die Beine so schnell nicht verzeihen. Wer aber den Ötztaler auf einmal durchzieht, sollte sich besinnen, was jetzt noch kommt: Ab St. Leonhard im Passeiertal, Geburtsort von Andreas Hofer, geht es nur noch bergauf zum Timmelsjoch.

Vor mir steht eine Art Wand mit 1759 Höhenmetern auf einer Strecke von 29 Kilometern. Und das nach 183 Kilometern in den Beinen. Dennoch fahren die Allerbesten das „Timmels“ in 1,30 Stunden, vier bis fünf Stunden brauchen die Langsamsten. Das Glück am Gipfel ist beiden gleich, behaupten wir Nachzügler.

Adrenalin in den Ötztaler Alpen
Ötztaler Radmarathon 2013 Michael Bachner_Fotos bei Nennung HONORARFREI
Egal, keine Zeit zum Sinnieren. Ich schnaufe ein letztes Mal durch, jetzt geht’s fast nur noch bergab, zurück nach Sölden. Fast, denn der letzte Gegenstich bei der Mautstelle an der 1955 gebauten Traumstraße, geht noch einmal richtig rein. Salz hilft gegen Krämpfe, aber solch gut gemeinte Ratschläge gibt es viele. Wer es wohlauf bis Sölden schafft, sagt nach kurzer Zeit: Das war nicht das letzte Mal, aber nächstes Jahr wird mehr trainiert. Ja, der Ötztaler hat Suchtpotenzial. Auch dagegen gibt es viele gut gemeinte Ratschläge, wiewohl sie helfen nicht.


Liebevoll „Ötzi“

Am 22. August 1982 um 6.15 Uhr erblickte der „Ötztaler“ oder liebevoll nur „Ötzi“ genannt, das Licht der Welt. 154 Starter nahmen – damals noch in Innsbruck – die 238 Kilometer und 5500 Höhenmeter in Angriff. Die Idee: An einem Tag mit dem Rad in einer großen Schleife über vier Alpenpässe. Tour-de-France-Feeling für Amateure. So weit hergeholt ist der Vergleich nicht. Der Ötzi wäre DIE Königsetappe bei der Tour. So entsteht ein Mythos.

Seither hat sich viel verändert, Idee und Faszination eines der legendärsten Radmarathons sind geblieben. Seit einigen Jahren müssen die Startplätze verlost werden, so groß ist der Andrang: 4505 Männer und 278 Frauen aus 31 Nationen sind fürs Rennen 2016 (siehe unten) gemeldet.

Auch Susi und Hans Bayern sind wieder dabei. Sie trainieren schon das ganze Jahr für den Ötzi, ihren mittlerweile 13. – vielleicht ist heuer eine Bestzeit drin. „Man braucht doch ein Ziel, sonst wird man faul“, sagt die fitte Krankenschwester bei einer speziellen Vorbereitungswoche im Hotel Alpina in Sölden. Noch einmal wird hier für die große Schleife durch die Alpen geprobt. Streckenkenntnis ist enorm von Vorteil. Sonst helfen all die guten Ratschläge nichts.

Einkehrmöglichkeiten

Gasthof Grüner in Sölden: gruener-soelden.com

ice Q Restaurant in Sölden: www.soelden.com/iceq (James Bond / SPECTRE Shootinglocation)

Café Plangger Delikatessen: www.plangger.net

Gasthof Schönau am Timmelsjoch: www.schoenau-timmelsjoch.it

Mesner Stuben in Längenfeld: www.mesnerstuben.at

Übernachtungsmöglichkeiten

3 Sterne – Hotel Bäckelar Wirt: www.baeckelarwirt-soelden.at

4 Sterne – Hotel Alpina: Bietet spezielle Ötzi-Vorbereitungswochen an; www.alpina.riml.com

5 Sterne – Das Central oder das Bergland: www.central-soelden.com; www.bergland-soelden.at

Sehenswürdigkeiten

Restaurant ice Q am Gaislachkogl: www.soelden.com/iceq

AREA 47: www.area47

Aqua Dome Therme: www.aqua-dome.at

Greifvogelpark: www.greifvogelpark.at

Stuibenfall, Piburger See: www.oetztal.com/ausflugsziele-oetztal

Mountain Crosspoint & Motorradmuseum: www.crosspoint.tirol

LITERATURTIPP

Ernst Lorenzi „Ich habe einen Traum“, 39 €.

01. ETAPPE / 17. JULI 2016
Prolog: Race Across Steiermark.

02. ETAPPE / 20. JULI 2016
Mit Kindern auf dem Steyrtalradweg.

03. ETAPPE / 24. JULI 2016
Auf dem Schrammelradweg im Waldviertel.

04. ETAPPE / 27. JULI 2016
Rad, Boot, Bahn: Die Wolfgangsee-Trilogie.

05. ETAPPE/31. JULI 2016
Opa, Papa, Sohn: Rund um den Bodensee.

06. ETAPPE/ 03. AUGUST 2016
Transalp-Tour: Von Krimml nach Bruneck.

07. ETAPPE/ 07. AUGUST 2016
Dem Veltliner auf der Spur im Weinviertel.

08. ETAPPE / 10. AUGUST 2016
Um den Wörther See radeln – und chillen.

09. ETAPPE / 14. AUGUST 2016
Adrenalin! Im Ötztal Radmarathon fahren.

10. ETAPPE / 17. AUGUST 2016
Nach Süden! Entlang von Mürz und Mur.

11. ETAPPE / 21. AUGUST 2016
Gott! Radpilgern von Wien nach Mariazell.

12. ETAPPE / 24. AUGUST 2016
Die Hohen Tauern zum Auspowern.

In all den Jahren auf dem Rennrad konnte der inzwischen 34-jährige Radprofessional Christoph Strasser viel Erfahrung sammeln. Auch in punkto leichtes Reisegepäck und Wegzehrung. Hier eine Auflistung jener nützlichen Dinge, die Strasser on tour immer dabei hat:

Zwei große gefüllte Trinkflaschen und Elektrolytgetränkepulver (eine Flasche pro gefahrene Stunde gilt als Faustregel), eine Banane, eine Packung Flüssignahrung, Reserveschlauch, Luftpatrone, Werkzeug für unterwegs, 5 Euro, Bankomatkarte, E-Card, Mobiltelefon, Rad-Navi am Lenker. Für den Fall, dass es unterwegs dunkel wird, hat er am Rad auch ein fixes Rücklicht montiert.

Adrenalin in den Ötztaler Alpen
Andreas Röderer Radfahrer Radmechaniker
Im Laufe der Jahre und unzähliger Radtouren hat auch der erfahrene Radmechaniker Andreas Röderer viel Erfahrung gesammelt. Hier eine Auflistung jener Dinge, die er immer in seine Packtaschen stopft:

Für das Rad: Ersatzschlauch, Luftpumpe und Werkzeug.

Für den Körper: Sonnenschutz, Creme für die Weichteile, Zahnbürste, Waschzeug, Waschlappen, mittelgroßes Handtuch und Helm (dient nebenbei auch als Sonnen- bzw. Regenschutz).

Zum Anziehen: Knickerbocker, kurze Sporthose, dünne lange Hose, Trikot aus Merinowolle (atmungsaktiv), helles, knitterfreies Hemd, leichter Fleece-Pulli mit Zipp, leichte atmungsaktive Regenjacke, Unterhosen, Badehose sowie Radhandschuhe.

Schuhwerk: Radschuhe für SPD-Pedale, leichte Flipflops oder Espadrillos sowie dünne kurze Baumwollsocken.
Packtaschen: Zwei wasserdichte Taschen (40 Liter), Lenkertasche für Handy, Fotoapparat, Geldbörse, Dokumente und Radkarte.

Rodingersdorf im Waldviertel. Dort, in einem alten Bauernhof, ist der Salzburger Roland Esterbauer heute zu Hause. Und auch sein Verlag. Den kleinen Ort in der Nähe von Sigmundsherberg muss man auf der Karte suchen. Ein Glück, dass Esterbauer ebensolche produziert. Der Verlag Esterbauer ist eine österreichische Erfolgsgeschichte – und ein Exportschlager, speziell in Deutschland. Vor allem jene erste große Karte des Verlags, die gute Orientierung auf dem Donauradweg bietet, wurde zum absoluten Klassiker für deutschen Radtouristen. Deshalb arbeiten neben den 16 Mitarbeitern in Rodingersdorf weitere sieben in einem Stadtbüro in Berlin.

Adrenalin in den Ötztaler Alpen
Roland Esterbauer, Verlag Esterbauer, Rodingersdorf
Eigentlich wollte Roland Esterbauer mit dem Erstellen einer Niederösterreich-Radkarte sein Studium an der Technischen Universität in Wien finanzieren. Aus dem Ferialjob wurde seine Berufung. Das war Mitte der 1980er-Jahre. In den vergangenen dreißig Jahren haben seine Leute 470 Titel erarbeitet, neben Radtourenbücher und -karten auch Mountainbike- und Wanderführer. „In der Zwischenzeit haben wir Material zu den interessantesten Rad- und Wanderregionen Europas“, erzählt Esterbauer stolz. Die Schwerpunkte hat er in Deutschland und in Österreich gesetzt.

Die Vermessung der Welt bzw. von Radwegen ist heute ein aufwendiges Unterfangen: Redakteure des Verlags fahren jede Tour vorab mit dem Rad und dem Auto ab. Ihre Erfahrungen und GPS-Daten werden in die Karten (auch online) eingetragen. Von ihrem Know-how profitiert in den nächsten Tagen auch der KURIER. Drei der zwölf Touren werden von Esterbauers Leuten vorgestellt.

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