So wollen die Grünen Österreich regieren

Eva Glawischnig ging mit starken Rückenwind in ihren Parteitag: Die Partei regiert nun in sechs der neun Bundesländer mit. Jetzt nimmt sie eine Dreier-Koalition im Bund ins Visier.
Die Grünen bereiten sich inhaltlich und personell auf eine Regierungsbeteiligung vor.

Sie regieren mit der ÖVP in Vorarlberg, in Tirol und in Oberösterreich.

Sie regieren in Dreierkoalitionen in Salzburg und in Kärnten.

Und sie regieren in Wien. Mit der SPÖ. Und zwar – aus der Sicht ihrer Anhänger – so erfolgreich, dass die Wiener Traditionspartei, die SPÖ, ins Rutschen kommt, während die Grünen bei der Gemeinderatswahl im kommenden Jahr dazugewinnen werden.

Kein Zweifel: Eva Glawischnig konnte heute in der Wiener Messehalle als erfolgreiche Chefin vor den grünen Parteitag hintreten. In einem benachbarten Saal musste am Vortag Kanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann die zweite schwere Schlappe bei einem Parteitag hinnehmen.

So wollen die Grünen Österreich regieren
Van der Bellen: Wird er antreten?
Der grünen Parteichefin könnten ihre größten Erfolge jedoch erst bevorstehen. Wenn sichAlexander Van der Bellentrotz fortgeschrittenen Alters dazu durchringen kann, als Bundespräsident zu kandidieren, ist eine historische Sensation möglich: das erste grüne Staatsoberhaupt in Österreich.

Dreier-Koalition

Zudem gibt es bei der nächsten Nationalratswahl eine realistische Chance auf den Eintritt in eine Bundesregierung. Wenn die Freiheitlichen nicht allzu sehr erstarken, müsste sich Rot-Grün-Neos oder Schwarz-Grün-Neos rechnerisch ausgehen. Dann wäre eine alternative Regierung zu Rot-Schwarz vorhanden, an der nicht die Blauen beteiligt sind – und Eva Glawischnig hätte ein persönliches Ziel erreicht (siehe Interview unten).

Die Grünen bereiten sich jedenfalls inhaltlich und personell aufs Regieren vor. Gestern beschlossen sie auf ihrem Parteitag einen bemerkenswerten Antrag zur Sozialpolitik. Nicht so sehr in den konkreten Maßnahmen, aber in der Philosophie grenzen sich die Grünen damit von der SPÖ ab. Die Grünen wollen einen Wandel vom "paternalistischen Versorgungsstaat der 1950-Jahre" zu einer "solidarischen Gesellschaft selbstbestimmter BürgerInnen".

Im Prinzip kritisieren die Grünen, dass heute die Politik/die Sozialbürokratie die Probleme definiert und Lösungen oktroyiert. Die Grünen sagen hingegen, die Problemlagen seien individuell und vielfältig, es bedürfe daher der individuellen Hilfe durch den Staat. Und zwar per Rechtsanspruch, nicht als Bittsteller vor der Bürokratie.

Slow politics

Ein zweites Prinzip, das Glawischnig bei einer grünen Regierungsbeteiligung in der Politik verankern will, ist das Prinzip der Entschleunigung. "Slow politics", nennt sie es. Lebensqualität statt Geschwindigkeit. Und Langfrist-Perspektive. "Es geht um eine Abkehr vom Denken in Legislaturperioden. Es müssen Prozesse in Gang gesetzt werden, die über Jahrzehnte wirken", sagt Glawischnig.

So wollen die Grünen Österreich regieren
APA12160174 - 03042013 - INNSBRUCK - ÖSTERREICH: ZU APA 389 II - Ingrid Felipe, Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl 2013 in Tirol, bei einem Interview mit der APA - Austria Presse Agentur am Mittwoch, 03. April 2013, in Innsbruck. APA-FOTO: ROBERT PARIGGER
Die Grünen-Chefin glaubt nicht, dass ein grünes Regierungsprogramm Arbeitsplätze kosten würde. Sie verweist auf Oberösterreich, wo die grüne Regierungsbeteiligung zu keinen Industrie-Abwanderungen geführt hat. Man müsse eben jeden Euro, den der Staat ausgibt, "möglichst arbeitsintensiv einsetzen", etwa für den Wohnbau oder für die Wohnraumsanierung.

Zu Personalfragen wollte sich Glawischnig im KURIER-Gespräch nicht äußern.

Aufgrund von KURIER-Recherchen ergibt sich eine wahrscheinliche grüne Ministerliste. Sie enthält eine Reihe starker Frauen.

Schattenkabinett

Glawischnig selbst würde Vizekanzlerin. Ihre bevorzugten Regierungs-Ressorts sind Bildung und Frauen.

So wollen die Grünen Österreich regieren
APA4593678-2 - 13072011 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Die Frauensprecherin der Grünen, Judith Schwentner anl. einer Pressekonferenz am Mittwoch, 13. Juli 2011, in Wien. Eine Änderung der Bundeshymne mit dem Begriff "Töchter" soll per Gesetzesänderung im Herbst 2011 beschlossen werden. APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER
NationalratsabgeordneteJudith Schwentnergilt als Top-Anwärterin für das Sozialministerium. Sie hat – gemeinsam mit dem Wiener David Ellensohn– die neuen sozialpolitischen Leitlinien erarbeitet, die vom Parteitag beschlossen wurden.

Als Wunschministerin für Energie und Umwelt wird die stellvertretende Tiroler Landeshauptfrau Ingrid Felipe gehandelt. Als Alternative kursiert auch der Name der oberösterreichischen Landesrats Rudolf Anschober.

So wollen die Grünen Österreich regieren
Interview mit Grün-Politikerin und EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek am 28.05.2014 in Wien.
Für den Bereich Außenpolitik und Europa istUlrike Lunacek prädestiniert. Lunacek war die Überraschungssiegerin bei der EU-Wahl mit einem Plus von fast fünf Prozentpunkten.

Als einziger Mann mit besten Aussichten auf ein Ministeramt gilt Werner Kogler. Er kommt sowohl für das Finanz- als auch für das Wirtschaftsministerium infrage.

So wollen die Grünen Österreich regieren
APA20296828_15092014 - WIEN - ÖSTERREICH: Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig am Montag, 15. September 2014, während einer PK anl. der Herbstklausur des Grünen Parlamentsklubs zum Thema "Ausrichtung für den Herbst und die kommenden Landtagswahlen" in Wien. FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
KURIER: Frau Glawischnig, ist es Ihr persönliches Ziel, die Grünen in die Regierung führen?
Eva Glawischnig: „Als ich 17 war, kam Jörg Haider einmal zu uns in die Schule. Wenig später war er zum ersten Mal Landeshauptmann. Von da an jagte ein rechtspopulistischer Erfolg den nächsten. Man hatte damals den Eindruck, gegen den Rechtspopulismus gibt es keine Chance. Wenn es Rot-Schwarz einmal nicht mehr gäbe, würde der Rechtspopulismus ans Ruder kommen. Jetzt ist das anders. Seit dem Zusammenbruch von Schwarz-Blau und den damit verbundenen Korruptionsskandalen können die Blauen ihre Wahlergebnisse nicht mehr in Regierungsbeteiligungen umsetzen. Jetzt sind nicht mehr die Blauen die Alternative. Wir Grüne sind jetzt die Alternative. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, es ist mir ein persönliches Anliegen, die FPÖ nicht regieren zu lassen.

Die Grünen haben zuletzt überraschend hohe Wahlgewinne erzielt. Müssen Sie nicht fürchten, dass Sie an Zustimmung verlieren, wenn Sie sich in Regierungen abnützen?
Die Regierungsbeteiligungen der Grünen sind – mit Ausnahme von Graz, wo Siegfried Nagl das Bündnis vorzeitig gebrochen hat – durchwegs ein Erfolg. Bisher haben wir überall, wo wir mitregieren, dazu gewonnen bzw. in den Umfragen zugelegt. Wir enttäuschen die Hoffnungen, die in uns gesetzt werden, nicht, denn wir haben einen seriösen Anspruch. Wir machen den Leuten nichts vor und bleiben bei der Wahrheit. Die Menschen akzeptieren aber, dass man Kompromisse machen muss.

Woran würde man eine grüne Regierungsbeteiligung auf Bundesebene als Erstes bemerken?
Am Stil. Wir halten, was wir sagen. Wir machen weder Tauschhändel noch graben wir uns ideologisch ein, sondern wir suchen Kompromisse in der Sache.

Wer wäre Ihnen denn als Partner lieber? Eine Faymann-SPÖ oder eine Mitterlehner-ÖVP?
Es hat beides seine Vor- und Nachteile. Mit der SPÖ gibt es sicher bei Sozialem und Bildung mehr Überschneidungen. Andererseits ist Mitterlehner der dynamischere Politiker. Es kommen beide in Frage.

Realistischerweise wird eine grüne Regierungsbeteiligung im Bund nur in einer Dreierkoalition möglich sein. Wie stehen Sie zu Neos?
Wenn man keinen Wertekompass hat, stolpert man durch die politische Landschaft, und das passiert Neos gerade. Mit manchen Neos- Werten kann ich gar nichts anfangen. So geht mir ihre Privatisierungslust zu weit. Aber man kann mit Neos sicher zu Verhandlungslösungen kommen. Die Zeiten von Zweierkoalitionen sind vorbei, aber ich sehe das als Chance zur Veränderung.

Die Grünen wollen bei kommenden vier Landtagswahlen ihre Erfolgsserie fortsetzen und die FPÖ nachhaltig von der Macht fernhalten. Diese Devise hat Bundessprecherin Eva Glawischnig am Sonntag beim Bundeskongress ihrer Partei in Wien ausgegeben. Die Grünen Fantasien gingen aber noch weiter: Ein Schlenker Glawischnigs Richtung Hofburg sorgte für lang anhaltenden Applaus.

Es sei ihr politisches Ziel, die Runde der Länder komplett zu machen, sagte Glawischnig unter Verweis auf die 2015 bevorstehenden Wahlen im Burgenland, der Steiermark, Oberösterreich und Wien. Die Grünen müssten in Österreich weiter zur gestaltenden Partei werden, sagte sie und warnte vor dem erneuten Drängen der FPÖ an die Macht. "Wenn man Schaden von diesem Land abwenden will in Zukunft, dann darf man die Freiheitlichen nie wieder regieren lassen."

Glawischnig sprach vom wachsenden Vertrauen der Bevölkerung in die Grünen, mit dem man behutsam umgehen müsse. Es gehe um die Glaubhaftigkeit der politischen Konzepte vom Umwelt- und Klimaschutz über Unbestechlichkeit und "saubere Hände" bis zur Kompromisslosigkeit im Bereich der Menschenrechte und der Flüchtlingspolitik. "Bleiben wir ungeduldig", sagte sie.

Als Beispiel für mangelnde Glaubwürdigkeit nannte Glawischnig den "situationselastischen" Umgang der SPÖ mit ihrer eigenen Frauenquote. Im Jahr 2006 habe der damalige SP-Chef Alfred Gusenbauer mit seinem grünen Gegenüber Alexander van der Bellen um eine Flasche steirischen Schnaps gewettet, dass seine Partei im folgenden Jahr die 40-Prozent-Hürde nehmen würde - was bis heute aber nie geschafft wurde.

Bekommen habe Van der Bellen den Schnaps nie. "Du, vielleicht schickt ihn dir Gusenbauer dann in die Hofburg", sagte sie zu ihrem Vorgänger an der Parteispitze, der eine verbindliche Äußerung zu einer möglichen Kandidatur bisher verweigert hat. Begeisterter Applaus war die Folge. "Das war eindeutig", meinte Glawischnig.

Zum Abschluss ist ein Antrag zur Stärkung von Frauen in der Politik mit einer einzigen - männlichen - Gegenstimme angenommen worden. Der Resolutionsantrag "für fairen und vernünftigen Handel" wurde einstimmig akzeptiert.

Gefordert wurde ein Bonus-Malus-System zur Stärkung von Frauen in der Politik. Parteien, deren Frauenquote im Nationalrat unter 50 Prozent liegt, sollen im Rahmen der Parteien-, Klub- und Parteiakademiefinanzierung "spürbare" finanzielle Abschläge erhalten, heißt es in dem Antrag.

Kommentare