Asyl-Schock wirkt nach

Reinhold Mitterlehner, Werner Faymann: Angst vor einem FPÖ-Wahlsieg ist der Kitt der Koalition
Heute beraten ÖVP-Spitzen die prekäre Lage in der Koalition.

Der katastrophale Verlauf des Asylgipfels vom 24. Juni steckt den ÖVP-Landeshauptleuten immer noch in den Knochen.

Das Desaster führte ihnen vor Augen, wie schlimm es um die Bundesregierung tatsächlich bestellt ist. In so manchem Bundesland ist man bis heute peinlich berührt: „Da sitzen die Spitzen der heimischen Politik – die Bundesregierung und alle neun Landeshauptleute – zusammen. Sie beraten über die Flüchtlingsunterbringung – das akute Thema schlechthin – und haben nichts, aber auch gar nichts als Ergebnis vorzuweisen“, erinnert sich ein Augenzeuge beim Asylgipfel mit Schaudern. Die unprofessionelle Verhandlungsführung des Kanzlers und dessen Fokussierung auf einen medialen Erfolg anstatt einer sachlichen Lösung bringe die gesamte politische Führung des Landes in Misskredit, so die ÖVP-Nachlese.

Heute, Sonntag, treffen sich die ÖVP-Spitzen zu Beratungen über den Zustand der Koalition und zur Analyse der politischen Lage. Generalsekretär Gernot Blümel wird neue Umfragen präsentieren, und man wird eine Strategie für die Landtagswahlen festlegen.

Die wichtigsten Themen:

Oberösterreich Landeshauptmann Josef Pühringer fordert Rücksicht auf seinen Landtagswahlkampf in Oberösterreich: Neuwahl-Spekulationen seien zu unterlassen, die würden den negativen Bundestrend zusätzlich verschärfen.

SPÖ-Zustand Die ÖVP dürfte auch die Obmanndebatte beim Koalitionspartner erörtern. Darauf deutet hin, dass schwarze Spitzenpolitiker im Vorfeld der heutigen Sitzung bei roten Verbindungsleuten recherchierten, wie es SP-intern aussehe. Ein Recherche-Ergebnis: Die ÖVP rechnet nicht mit einer Ablöse Werner Faymanns vor den Landtagswahlen im Herbst. Was danach komme, sei zum heutigen Zeitpunkt nicht vorhersehbar, es sei aber durchaus möglich, dass Faymann auch SPÖ-Abstürze in Oberösterreich und Wien überstehe. Demnach könnte in der SPÖ-Wien das Pro-Faymann-Lager an die Macht kommen (Josef Ostermayer? Doris Bures?), womit der Kanzler fester denn je im Sattel säße.

Faktor 3, Hofburg Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll soll dem Vernehmen nach parteiintern signalisiert haben, er habe sich entschieden, für die Hofburg zu kandidieren. Offiziell gilt bis zum Spätherbst Prölls Standardsatz, wonach die Hofburg in seiner Lebensplanung nicht vorkomme. Auffallend ist, dass die ÖVP bei ihren internen Strategiespielen seit Kurzem stets bedenkt, was Erwin Pröll im Hofburg-Wahlkampf nutzen oder schaden könnte. Krachs mit Faymann fallen offenkundig nicht in die Kategorie „schädlich“, sonst würde Pröll wohl kaum vom Asyl bis zur Schulreform gut vernehmlich die Politik des Kanzlers kritisieren.

Ein großes Thema heute bei den ÖVP-Spitzenvertretern ist der Stillstand in der Regierung.

Abgesehen vom Flüchtlingsansturm harrt auch das Bildungssystem nach wie vor einer großen Reform. Und beim Megathema der steigenden Arbeitslosigkeit geht gar nichts weiter. Im Mai hat die Regierung wegen der alarmierenden Arbeitslosenzahlen einen „Arbeitsplatzgipfel“ angekündigt, zuerst für Juni, dann für Juli, inzwischen halten wir bei September.

Die Job-Partie steht, weil die Sozialpartner zerkracht sind. Der ÖVP-Wirtschaftsbund steht massiv unter Druck seiner Mitglieder: Die Steuerreform brachte der Wirtschaft Bürden, aber keine Strukturreformen oder Lohnnebenkosten-Senkungen. Die Gewerkschaft wiederum schaltet bei Pensions- und Arbeitsmarktreformen auf stur – womit die Kompromissfähigkeit der Sozialpartner derzeit gegen null tendiert.

Ohne die Sozialpartner ist die Regierung offenkundig nicht imstande, Arbeitsplatzmaßnahmen zu erarbeiten und scheitert nun schon zum zweiten Mal daran, wenigstens einen „Gipfel“-Termin einzuhalten.

Kommende Woche steht die Steuerreform auf der Tagesordnung des Nationalrats. Bis Freitag war noch nicht gesichert, dass alle ÖVP-Abgeordneten (Erwin Rasinger) zustimmen. Einwände gibt es auch bei der Grunderwerbsteuer, Gebäudeabschreibungen etc.

Bei den Finanzen gibt es ÖVP-interne Spannungen. Alles, was Finanzminister Hans Jörg Schelling bei den Gegenfinanzierungen zur Steuerreform nachlässt, fehlt ihm in der Staatskasse. Die Budgetzahlen und der Finanzrahmen, die Österreich nach Brüssel gemeldet hat, sind derzeit nur papierene Absichtserklärungen. „Da sind noch massive Anstrengungen nötig, dass wir diese Ziele auch erreichen“, sagt ein schwarzer Spitzenpolitiker. Schuldenmachen kann sich Österreich nicht mehr leisten. Mit 84,5 Prozent Staatsverschuldung gemessen am Brutto-Inlandsprodukt liegen nur mehr die südlichen Krisenländer sowie Frankreich, Italien und Belgien schlechter als Österreich. „Ihr seid auch schon auf dem Weg in den Club Med“, werden heimische Politiker in den Gängen des Brüsseler Ratsgebäudes von Vertretern anderer Euro-Zonen-Regierungen gepflanzt. Dem Vernehmen nach arbeiten Schelling und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nun an einem Reformpaket, mit dem sie die SPÖ unter Druck setzen wollen.

Der Kitt für die Regierung besteht derzeit hauptsächlich in der Angst, dass die FPÖ aus Neuwahlen als stärkste Partei hervor ginge. Doch trotz des FPÖ-Höhenflugs wird in ÖVP-Zirkeln nachgedacht, wie sie den „nervtötenden“ Koalitionspartner abschütteln könnte.

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