"Putin verteidigt Europas Zivilisation"

Marine Le Pen: Die Rechtspopulistin will ein „Europa der Völker“ und nimmt Wladimir Putin in Schutz.
KURIER-Interview: Marine Le Pen will Frankreich aus der EU führen und lobt Russlands Präsidenten.

Laut Umfragen könnte die Rechtspartei „Front National“ bei den EU-Wahlen nächsten Sonntag mit 20 bis 26 Prozent der Stimmen zur relativ stärksten Partei Frankreichs werden. Dem KURIER erläuterte die FN-Vorsitzende Marine Le Pen (im Anschluss an eine Wahlversammlung in der Stadt Evreux in der Normandie) ihren Fahrplan für den EU-Austritt Frankreichs. An den Landesgrenzen will sie einen „intelligenten Protektionismus“ anwenden. Der EU wirft sie einen „kalten Krieg“ gegen Russland vor. Putin gilt ihr als vorbildlicher Patriot und Europäer. Hingegen habe sich Frankreich bei den Präsidentenwahlen 2002, als ihr Vater, Jean-Marie Le Pen dem bürgerlichen Kandidaten Jacques Chirac unterlag, des „Wahlschwindels“ schuldig gemacht.

KURIER: Madame Le Pen, Sie haben mir in einem Interview im Juni 2012 erklärt, Sie wünschten den „Zusammenbruch der EU“, und Sie bezeichneten sich damals selber als „überzeugte EU-Phobikerin“. Ist das weiterhin Ihre Position?

Marine LePen: Ja, ja das ist weiterhin meine Position. Ich glaube an das Europa der freien und souveränen Nationen. Das ist auch das einzige Europa, das funktioniert hat, etwa beim Airbus-Konsortium oder dem Ariane-Raketenprogramm. Also ein Europa der Völker, die über ihre Teilnahme an Projekten frei entscheiden können, die ihren Interessen entsprechen. Es ist unmöglich, die jetzige EU in ein demokratisches Europa umzuwandeln.

Welche europäische Institution wollen Sie als erstes auflösen?

Ich habe keine Möglichkeit so etwas zu tun. Ich kann nur die EU blockieren. Ich kann die Verabschiedung von Direktiven verhindern, die sich gegen die Interessen der Franzosen richten. Eine zusätzliche Erweiterung blockieren, also Richtung Mazedonien, Albanien und natürlich der Türkei. Ich kann neue sparpolitische Diktate blockieren.

Aber angenommen, Sie gelangen ans Ruder. Welche europäische Institution wollen Sie auflösen? Das EU-Parlament?

Wenn ich an die Staatspitze gelange, unternehme ich nichts in Hinblick auf das EU-Parlament. Wenn ich zur Präsidentin Frankreichs gewählt werde, organisiere ich ein Referendum. In der Zeitspanne bis zum Referendum, werde ich mich an die EU wenden, damit uns die vier grundlegenden Hoheitsrechte zurück erstattet: die ökonomische, die währungspolitische, die gesetzgebende und die territoriale Hoheit. Wenn die EU mir diese nicht zurückgibt, schlage ich den Franzosen beim Referendum vor, aus der EU auszutreten.

Nochmals bezüglich der EU-Institutionen, weil Sie sich ja für diese Wahlen zum EU-Parlament mit anderen Parteien verbünden, namentlich der FPÖ. Diese ist ja noch immer Ihr bevorzugter Verbündeter?

Ich habe keine bevorzugten Verbündeten. Wir haben mit der FPÖ schon seit langem Arbeits- und Vertrauensbeziehungen.

Also in der EU blockieren Sie gewisse Entscheidungen, aber anschließend, weil Sie ja für einen Zusammenbruch der EU eintreten, welche Institution wollen sie auflösen, wenn sie die dazu Möglichkeit hätten?

Mein lieber Herr, wir haben diese Möglichkeit nicht. Ich gehöre nicht zu der politischen Klasse, die irgendetwas daherredet. Wir haben diese Möglichkeit nicht im EU-Parlament, wir werden sie erst haben, wenn wir die Präsidentenwahlen (in Frankreich) gewinnen. Was ja in Erwägung gezogen werden könnte. Dann könnten wir alles ändern.

Also im EU-Parlament, was wollen Sie …

(Erhebt ärgerlich die Stimme) Aus der EU hinausgehen. Voilà. So wie Norwegen sein. Aus der EU hinausgehen.

Warum haben Sie eine TV-Debatte mit Martin Schulz, dem Spitzenrepräsentanten der europäischen Sozialdemokraten, abgelehnt?

Monsieur Schulz muss mit Madame Merkel debattieren. Ich sehe nicht, was er in Frankreich zu suchen hat.

Sieht man einmal von der EU ab, was wäre Ihr erster politischer Schritt als Präsidentin Frankreichs?

Da gibt es viele. Es muss eine unmittelbare Aktion in der Migrationspolitik geben. Man muss dringend den wirtschaftlichen Patriotismus, einen intelligenten Protektionismus an unseren Grenzen in Kraft setzen.

Sie unterhalten Beziehungen zur russischen Staatsspitze. Deren Repräsentanten haben Ihrer Partei Erfolg gewünscht. Sie haben Ihrerseits Sympathie für Putin geäußert.

Ich möchte an der Spitze eines blockfreien Staates stehen, der weder den USA noch Russland unterworfen ist. Um mit diesen beiden Mächten von Gleich zu Gleich zu reden. Ohne einen kalten Krieg zu betreiben, wie ihn die EU gegenüber Russland führt in einer absolut stupiden Weise und in völligem Gegensatz zu den Interessen der europäischen Völker. Gute Beziehungen mit einer Macht wie Russland zu unterhalten, ist das Mindeste in Hinblick auf den Frieden, weil man in der EU viel vom Frieden spricht, aber viel Krieg betreibt. Einen Krieg der Worte, der Diplomatie, der Wirtschaft. Ich möchte Frieden.

Wie erklären Sie die Sympathie, die Putins Lager für Ihre „Front National“ äußert?

Weil Monsieur Putin ein Patriot ist. Er hält die Souveränität seines Volks hoch. Es ist ihm bewusst, dass wir gemeinsame Werte verteidigen. Das sind die Werte der europäischen Zivilisation. Wahrscheinlich findet er diese Qualitäten des Mutes, der Aufrichtigkeit und des Respekts für die Identität und die Zivilisation nicht bei anderen politischen Bewegungen in Frankreich.

Also finden Sie Ihrerseits, dass Putin diese Werte repräsentiert?

Ja ja, ich glaube es. Also (zögert leicht), alles drückt das zumindest aus. Die Art wie er das Land führt, das ist ein Mann, dem die Werte wichtig sind. Vorausgesetzt man anerkennt diese Werte. Die sozialistische Partei anerkennt diese Werte nicht.

Die europäischen Werte?

Ja, die Werte der europäischen Zivilisation. Die Werte unseres christlichen Erbes (lacht auffällig). Weil wir das christliche Erbe der europäischen Zivilisation nicht in Frage stellen.

Putins Verstöße gegen die Demokratie …

Nämlich?

Wahlschwindel

Seien sie so nett und erzählen sie mir nichts über Wahlschwindel, weil wenn man 2002 erlebt hat, gibt man der Welt keine Lektionen. Weil in Sachen Wahlschwindel niemand erfolgreicher handeln kann, als Frankreich in der Stichwahl für die Präsidentschaft 2002 (*).

An dieser Stelle erschallen Bravo-Rufe und Applaus seitens der Le Pen-Anhänger, die während des Interviews die Politikerin und den Kurier-Korrespondenten umringt hatten.

(*) Bei den französischen Präsidentenwahlen 2002 gelangte Jean-Marie Le Pen, der vormalige Chef der FN und Vater von Marine, im ersten Durchgang auf Platz zwei mit 16,86 Prozent der Stimmen. In der anschließenden Stichwahl wurde Le Pen vom bürgerlichen Amtsinhaber Jacques Chirac mit 82,21 Prozent geschlagen.

Es ist eine One-Women-Show, der rund 200 Anhänger der „Front national“ in der Stadt Evreux, im westlichsten Einzugsgebiet der Pariser Metropole, beiwohnen. Die Straße vor dem Saal ist durch Polizei abgeriegelt, die eine hundertköpfige linke Gegenkundgebung auf Distanz hält. Drinnen lauschen die Zuhörer, ein mittelständisch-volkstümliches Publikum, bis zum Schluss konzentriert der über einstündigen Performance von Marine Le Pen.

Die stehend und gehend, mit kehliger Stimme dargebrachte Rede gipfelt in einer fast flehenden Bitte, man möge sich doch am Wahlsonntag „nicht durch Langschlafen und Schwimmbad“ vom Urnengang abhalten lassen. „Und auch nicht durchs Grillen“, ergänzt ein Zuhörer. Andernfalls, so Le Pen, drohe „nach 1500 Jahren Geschichte Frankreichs das Wort Ende“. Frankreich sei gefangen in einer „Kerkerzelle“ der europäischen „Technokratie“ und „Oligarchie“, und vornehmlich der deutschen. Der Euro, „für und von Deutschland fabriziert“, sei ein „Einheitsanzug“ der Frankreich „ersticke“. Der zu starke Euro, so sagt Le Pen auf die Deutschen gemünzt, sei „ihr Glück und unser Unglück“. Und dann folgt eine wirre Erklärung, wonach die von ihr erdachte französische Ersatzwährung, zwar um 20 Prozent gegenüber dem Euro abgewertet, aber trotzdem dem Wert eines Euro entsprechen würde: das sei günstig für Frankreichs Unternehmen, würde aber „für euch (gemeint ist das Publikum) nichts ändern“.

Neue Umfrage

Laut jüngster Umfrage wird Le Pens Euro-Austrittsprojekt, als Sprung ins Ungewisse, von 79 Prozent der Franzosen abgelehnt. Aber gleichzeitig tendieren fast alle Parteien, vom sozialistischen Regierungslager bis hin zur konservativen Opposition, zu Kritik am starken Euro und dem EU-Fahrplan für Sparmaßnahmen. Wobei prominente Konservative auch das Schengener Abkommen über den freien Personenverkehr anprangern, während SP-Minister der EU mangelnden europäischen Wirtschaftspatriotismus vorwerfen. Marine Le Pen wird von dieser Welle getragen und versucht sie gleichzeitig zu überbieten.

Das macht sie zwar aktuell nicht mehrheitsfähig: laut Umfrage schließen über 70 Prozent der Franzosen weiterhin eine Stimmabgabe für sie aus. Aber die anhaltende Stagnation der französischen Wirtschaft, der dramatische Einbruch der Exportbilanz und das nicht enden wollende Industriesterben schwächen kontinuierlich die Glaubwürdigkeit und Abwehrkraft der Parteien, die die EU, und sei es nun in kritischer Weise, für unverzichtbar erachten.

Kommentare