Es steht schlecht um die Welt, sagt Valentin Schwarz in seiner Inszenierung. Das wollten nicht alle sehen, es gab heftige Buhs. Damit ist der Regisseur in bester Gesellschaft
Wer als Regisseur in Bayreuth nicht ausgebuht wird, hat für gewöhnlich etwas falsch gemacht, sich etwa mit purer Ästhetik oder mittelalterlichen Ritterklischees vor einer Interpretation gedrückt, das mögen dann die traditionellen Wagnerianer, Hojotoho!
Hat demnach, wer in Bayreuth heftig ausgebuht wird, heftig viel richtig gemacht? Auf den 33-jährigen österreichischen Regisseur Valentin Schwarz trifft dieser Umkehrschluss jedenfalls zu.
Schwarz kam, nachdem schon alle Klein- und Kleinstrollen ihren Applaus abgeholt hatten, auf die Bühne – und sofort setzte ein Orkan ein, der sogar jenen, den Frank Castorf 2013 ausgelöst hatte, übertraf. Während jedoch der Berliner Theaterrevoluzzer die mächtigen Buhs genossen hatte, als hätte er es nur darauf angelegt, nahm Schwarz sie geduldig und demütig hin. Als würde er ausdrücken wollen: Sorry, Guys, in euren Smokings und Abendkleidern, ihr wollt es wohl nicht sehen, aber die Welt ist leider so, wie ich sie euch gezeigt habe. Eint ihn gewissermaßen mit Greta Thunberg. Operas for future.
Da kann man noch so laut und lange buhen – dieser „Ring des Nibelungen“ geht davon nicht weg. Er bleibt konkret noch Jahre und noch viel länger als fortan relevanter Teil der Festspielgeschichte.
Wenn man sich die letzten Bayreuther „Ringe“ in Erinnerung ruft – von Jürgen Flimm, Tankred Dorst und auch von Frank Castorf – erkennt man, wie mutig die Inszenierung von Schwarz ist. Und wie antipopulistisch, wie bei einem Politiker, der schonungslos die Wahrheit sagt und weiß, dass er damit keine Wahlen gewinnt. Irgendwann zeigt sich dann erst, wie recht jemand hatte. Auch bei diesem „Ring“ ist davon auszugehen, dass er demnächst zum Kult erklärt wird. Das Buh von heute ist der Jubel von morgen, kennen wir.
Die Interpretation
Aber was tut der zweitjüngste Bayreuther „Ring“-Regisseur nach dem legendären Patrice Chéreau, der sich 1976 als 31-Jähriger auf Industrialisierung und soziale Missstände fokussiert hatte, ganz konkret und so radikal? Schwarz zeigt keine Götter-, sondern eine Menschendämmerung. Wenn wir so weitermachen, wenn wir unsere Kinder so behandeln, wenn wir ihre Unschuld und ihr blindes Vertrauen ausnützen, wenn Macht und Geld wichtiger sind als alles andere, wenn die Gewaltbereitschaft derart zunimmt, wenn wir die Erde so ausbeuten, dann haben neue Generationen, dann hat die Welt keine Zukunft.
Das letzte Bild der „Götterdämmerung“ spielt in einem Pool ohne Wasser (in „Rheingold“ hatte es noch ein vergleichsweise idyllisches Planschbecken voller Wasser gegeben). Es sieht schrecklich trist aus an diesem verlorenen Ort, Siegfried fischt mit seiner Tochter (ja, er hat mit Brünnhilde eine gezeugt) in der letzten verbliebenen Pfütze und kippt sich ein Bier nach dem anderen rein.
Librettomäßig fast korrekt wird er von Hagen von hinten mit einem Messer erstochen. Brünnhilde entdeckt, während sie „Starke Scheite“ brüllt, einen Plastiksack mit dem Kopf des getöteten Grane (das geliebte Pferd ist hier ein Mensch), alles vorhanden also, was man an Schreckensmeldungen aus den Nachrichten kennt, von Wasserknappheit bis zu Hinrichtungen.
Am Ende brennt nicht Walhall, stattdessen geht die Erde unter und man sieht gut 100 Neonlichter auf der Hinterbühne und wieder ein Video wie bei „Rheingold“. Zu Beginn hatten Wotan und Alberich, bei Schwarz Zwillinge, als Föten um ihren Platz gekämpft. Nun umarmen sie einander – das berühmte Erlösungsmotiv gibt es also doch, die Hoffnung ist aber nicht groß. Das Gold (in Gestalt von Siegfrieds Kind) ist tot und kommt nicht mehr zurück in den Rhein.
Eine erschreckende, aber wohl nicht ganz falsche Bestandsaufnahme der Welt. Und wenn Bayreuth weiterhin jener Ort sein soll, an dem Musiktheater neu gedacht wird, passt diese Inszenierung wunderbar dorthin. Was sie auch zeigt: Wie sehr Wagner noch 150 Jahre später mit der Zeit geht – alles ist in seinem Werk vorhanden.
Optisch angelehnt ist die Arbeit von Schwarz an die besten Krimi-Serien im Streaming-TV und zeigt Wagner für die nächste Generation. Und zwischendurch ist es auch sehr lustig beim Zappen mit den Nibelungen. Gunther und Gutrune sind diesfalls neureiche Emporkömmlinge mit schlechtem Geschmack, Gunther trägt ein Glitzer-T-Shirt, auf dem „Who the fuck is Grane?“ steht, man denkt an die Geissens, wie man schon beim Prolo-Siegfried an Mundl gedacht hatte.
Schön in der „Götterdämmerung“ auch zu Beginn die Szene mit den Nornen, die im Albtraum von Siegfrieds und Brünnhildes Tochter auftauchen, während die Eltern aufkommende Beziehungskonflikte austragen. Ist ja nicht so leicht, mit einem Superhelden liiert zu sein bzw. mit jemandem, der so lange hinter einer Feuerwand schläft.
Noch etwas wird von diesem Psycho-„Ring“ bleiben: der Verzicht auf jede Mythologie und auf Fabelwesen, es geht um die „Menschliche Komödie“ oder eigentlich Tragödie. Hier ist die Gesellschaft auf der Couch, wir lauschen dem Wo-Tan-Clan bei den verordneten Therapiesitzungen.
Das Bühnenbild (Andrea Cozzi) ist ebenfalls fabelhaft, sorgt für tolle Verwandlungen, wie man sie sich für „Parsifal“ wünschen würde und trägt die Geschichte mit. Schwarz und Cozzi passen diesbezüglich genauso gut zusammen wie einst Chéreau und Richard Peduzzi.
Das Dirigat
Bei diesem „Ring“ wird aber nicht nur erzählt, sondern auch musiziert, das ist eine der Schwachstellen. Cornelius Meister, eingesprungen für den erkrankten Pietari Inkinen, schafft während der 15 Stunden Spielzeit nur ganz selten einen berührenden Moment. Er ist im Graben um Unfall-Freiheit bemüht. Ausdruck, Phrasierung, Differenzierung lassen zu wünschen übrig. Man gewinnt nicht den Eindruck, dass das (gute) Orchester und Meister einander sonderlich vertrauen.
Die Sänger
Der zweite Groß-Einwand – Sie ahnen es schon – betrifft Teile der Besetzung. Von der schrillen Iréne Theorin (Brünnhilde) versteht man kein Wort, Albert Dohmen (Hagen) ist stimmlich weit über dem Zenit, Olafur Sigurdarson ist beim Finale ein vor allem laut singender Alberich, die Rheintöchter sind besonders enttäuschend. Sehr gut: Michael Kupfer-Radecky als Gunther, Christa Mayer als Waltraute und Okka von der Damerau als 1. Norn. Igor Schwab (Grane) ist toll, ohne zu singen.
Siegfried selbst agierte quasi außer Konkurrenz, weil Stephen Gould krankheitshalber absagte, sein Ersatz ebenfalls nicht konnte und der Ersatz vom Ersatz, Clay Hilley, erst tags zuvor vom Urlaub aus Bari eingeflogen wurde, hoffentlich hat er die Pasta noch aufessen können. Dafür hielt er sich mit seinem klaren Heldentenor und ein paar rasch einstudierten Inszenierungsdetails beachtlich.
Mehrere Wotan-Einspringer, Dirigenten-Einspringer, Siegfried-Einspringer – dieser „Ring“ war musikalisch wirklich von Alberich verflucht. Der Großteil der Zustimmung geht daher auf das Konto der Inszenierung.
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