Ursprünglich hätte Günther Groissböck seinen ersten Bayreuther Wotan singen sollen, er zog sich aber im vergangenen Sommer zurück. Nach den vielen Corona-Absagen wäre er noch nicht „im Wettkampfmodus“, hatte es damals geheißen. Als Einspringer wurde John Lundgren gefunden, der sagte jedoch im Juni ab – „aus persönlichen Gründen“. Daraufhin wurde der Wotan geteilt, obwohl es ja nur einen Gott geben sollte. Egils Silins übernahm den „Rheingold“-Wotan (gar nicht übel), Tomasz Koniecny, der diese Partie schon seit Jahren durch viele Opernhäuser röhrt, den „Walküren“-Wotan.
Und dann kam wieder der zweite Aufzug, mühsame Debatte Wotans mit seiner Familie, ist echt nicht leicht als Clan-Chef mit so vielen aufmüpfigen Typen. Wotan will kurz in seinem Eames Chair durchatmen, diesem schönen Designerstück, das er sich stolz nach Walhall bestellt hat, der Inszenierung entsprechend vermutlich über Amazon, er kennt keinerlei Skrupel. Wotan lässt sich also fallen, die Rückenlehne fällt mit, der Stuhl bricht auseinander, und Wotan knallt auf den Boden, dabei hat Konieczny gar keine übertriebene Sängerfigur. Manche hatten wohl gedacht: Um Himmels Willen, schon wieder so ein Regieeinfall. Dabei kann Valentin Schwarz gar nix dafür, schlecht zusammengebaut das Ganze, und Konieczny hat sich bei diesem Bühnenunfall ordentlich weh getan.
Dennoch singt er, dem Ewigkeitsanspruch der Rolle folgend, tapfer bis zur Pause weiter, eine gute halbe Stunde noch, und das sogar beachtlich. Hochdramatisch, kraftvoll, mühelos über die Orchesterwogen hinwegkommend. Dass man kein Wort versteht, lag diesmal möglicherweise an den bereits zusammengebissenen Zähnen.
Wo nimmt man nun rasch einen Gott her, wenn man ihn dringend braucht? Bayreuth fand ihn, in der Person des Gunther, der erst zwei Opern später dran wäre. Er heißt Michael Kupfer-Radecky, war bei den „Walküren“-Proben dabei und rettet den Abend. Mit sonorem, schön geführtem Bariton, die Anbetung durch das Publikum war ihm gewiss.
Nach Adam Riese handelte es sich also bereits um den fünften Wotan dieser Produktion, bei „Siegfried“ am Mittwoch (Vorsicht, Spoiler!) kann man wieder auf den vierten zurück wechseln. Gott nimmt und gibt.
Szenisch fasziniert dieser „Ring“ in Bayreuth aber nicht nur mit Cliffhangern, sondern mit einer Überraschung nach der anderen. Und das Schöne daran: Valentin Schwarz, der polarisiert wie seit langem niemand mehr auf dem Grünen Hügel, entwickelt seine Sicht aus der psychologischen Analyse der Figuren, mit Hinterfragung der bekannten Wagner-Klischees und mit Kunstgriffen, die nicht gegen das Libretto eingesetzt werden, sondern die andere Seite der vielen Medaillen zeigen.
So gibt es in der „Walküre“ am Ende kein Feuer, das Loge legt, sondern nur eine Kerze, die von Fricka auf einem Servierwagen hereingeführt wird. Sie will sich mit Wotan versöhnen, hat Rotwein mitgebracht, ist leichter mit Alkohol. Ihr Gatte verweigert aber, wirft den Ehering ins Glas, schüttet den Wein aus und zieht mit Wandererhut ab. Ein schöner Übergang zu „Siegfried“. Davor hatte er sich verzweifelt und alleingelassen am Boden gewälzt – eines der besten Finali der jüngeren „Ring“-Geschichte.
Am Anfang dieser „Walküre“ steht eine bereits schwangere Sieglinde. Aber von wem ist das Kind? Kann nicht von Siegmund sein. Ist Hunding Siegfrieds Vater? Oder Wotan selbst, der ihr im zweiten Aufzug zwischen die Beine greift und den Slip herunterzieht? Jedenfalls will sie das Kind nicht und versucht es selbst abzutreiben. Brutalität gibt es ausreichend in dieser Produktion. Aber nicht plakativ oder als Selbstzweck.
Fabelhaft inszeniert sind die „Winterstürme“, wenn sich Siegmund und Sieglinde zurück in ihre Kinderzimmer träumen – erinnert an Thomas Manns „Wälsungenblut“. Hunding ist hier nur ein Lakai von Fricka und die meiste Zeit bemüht, den Elektrokasten zu reparieren – die Weltesche ist nämlich bei einem Sturm ins Haus gekracht, kein Strom seither. Und freilich steckt Nothung nicht im Stamm, sondern ist eine Pistole unter einer leuchtenden Pyramide unter Glassturz. Apropos Pyramide: Auch Walhall erinnert an die Pei-Pyramide beim Louvre (weiterhin optisch ansprechend: das Bühnenbild von Andrea Cozzi).
Im zweiten Aufzug wird Freia aufgebahrt, sie hat sich das Leben genommen, die Familie nimmt wie bei einem Mafia-Begräbnis Abschied. Und wieder sieht man, wenn alle im Raum sind, auch wenn sie mit der Geschichte nichts zu tun haben, wie gut die Personenführung von Schwarz ist.
Für Debatten sorgte auch der Walkürenritt, der diesmal in einer Beauty-Klinik stattfindet. Ist das antifeministisch oder nur eine Abrechnung mit fehlgeleiteten Schönheitsidealen in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe? Das Hojotoho erklingt am lautesten, wenn die neuen Schuhe eintreffen.
„Die Walküre“ in Bayreuth – szenisch eine Entlarvung all dessen, was in einer Familie falsch laufen kann. Als packende Opern-Serie aufbereitet.
Was jedoch Cornelius Meister am Pult des Festspielorchesters will, erschließt sich noch nicht. Primär geht es um unfallfreie Bewältigung, zwischendurch entstehen wunderschöne Passagen, die Lesart bleibt aber verborgen.
Musikalisch besser als im „Rheingold“ war es bei „Walküre“ allemal, vor allem auch sängerisch. Lise Davidsen ist ein Gottesgeschenk als Sieglinde (stammt auch von Wotan ab): höchst intensiv, präzise, berührend, traumhaft. Georg Zeppenfeld begeistert als Hunding mit noblem Bass.
Dem Tenor von Klaus Florian Vogt (Siegmund) tut gut, dass er nicht mehr nach Sängerknabe klingt, sondern reifer geworden ist. Iréne Theorin (Brünnhilde) hätte bestimmt gern eine weniger reife und schrille Stimme. Und Christa Mayer beeindruckt als ausdrucksstarke, zynische Fricka. Viele Buhs (für das große Ganze), viel Applaus (für die Sänger). Sterne gibt es erst am Ende. Und für dieses sorgt Alberich.
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