"Siegfried"-Premiere: Mei Bayreuth is ned deppat
Kennen Sie die amerikanische Fernsehserie „This Is Us“? Es handelt sich um eine der allerbesten am Markt, eine Familiengeschichte, die sich über Jahrzehnte erstreckt, in den Zeiten wild hin- und herspringt, neue Figuren einführt und oft erst eine Staffel später erklärt, wer diese überhaupt sind.
So ähnlich agiert Valentin Schwarz bei seiner Inszenierung von Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ bei den Bayreuther Festspielen. Du bist Familie, das gilt hier für alle. Es gibt keinen Ring, kein Gold, keinen Riesenwurm, keinen Bären, sondern ausschließlich menschliche Existenzen. Das ist manchmal schlimm genug.
Drei Abende, sagen wir drei Staffeln, sind nun vom Premierenpublikum bereits binge-gewacht und binge-gehört, und man beginnt mehr und mehr zu begreifen (und manche beginnen mehr und mehr zu buhen – das kann ja lustig werden am Freitag nach der „Götterdämmerung“).
Der entführte Hagen
Gelernt hat man mittlerweile: Der im „Rheingold“ entführte Bub ist der kleine Hagen, der Siegfried später erschlagen wird (wobei Letzteres noch nicht verbürgt ist). Dass er von Alberich, seinem eigenen Vater gekidnappt wurde, sagt einiges aus über die liebe Familie.
Gelernt hat man auch: Alberich und Wotan sind offenbar Zwillingsbrüder – optisch wohl keine eineiigen. Permanenter Streit zwischen Geschwistern, Kampf ums Erbe – soll in den besten Familien vorkommen. Wie die beiden in „Siegfried“ whiskytrinkend vor dem Kamin sitzen und zuschauen, wie Siegfried (hier der Sohn des Inzest-Wotan) Fafner tötet, ist eine schöne Familienstudie. Fafner wird von Valentin Schwarz allerdings nicht als Drache gezeigt, sondern als seniler, schwer kranker, die Pflegerinnen begrapschender Mann, dem Siegfried nur den Rollator wegnehmen muss – schon erleidet er einen Herzinfarkt.
Die frustrierte Pflegerin wiederum entpuppt sich als Waldvogel, der Siegfried lehrt, dass man im Umgang mit Frauen besser aufpassen sollten. Später, wenn Siegfried auf Brünnhilde trifft, wird ihm das nicht helfen: Er hat zunächst panische Angst vor ihr, will sie aber später vergewaltigen – der zwischenmenschliche Umgang ist in diesem „Ring“ ein echtes Problem.
Die Beauty-Kriegerin
Und eine weitere Erkenntnis: Brünnhilde war eigentlich nicht von Wotan jahrzehntelang in Tiefschlaf versetzt, sondern hat die Zeit für Schönheits-OPs genützt, um sich später einen Jüngeren zu angeln. Das erklärt auch, warum der Walkürenritt in der Beauty-Klinik stattfand. Siegfried muss ihr zuerst die Bandagen vom Kopf nehmen, und sie freut sich vor dem Spiegel, dass die Operationen gelungen sind.
Das eifersüchtige Pferd
Für Hard-Core-Wagnerianer ist das freilich ein Desaster, destruktiv und despektierlich. Die Buhs nach „Siegfried“ waren heftig. Dabei ist so gut wie alles aus dem Libretto entwickelt, weitergedacht und auf die Personen heruntergebrochen. Wie diese geführt sind, ist exzellent. Zum Beispiel der junge Hagen, der nun bei Fafner am Krankenbett sitzt, nicht in einer Höhle, sondern in einem Prunkhaus gegenüber jenem Wotans. Er ist es, der seinen einstigen Erzieher Mime tötet und willig mit Siegfried weiterzieht. In Sachen Gewaltbereitschaft treffen sie sich. Allerdings stellt sich Hagen als sehr eifersüchtig heraus, als Siegfried Brünnhilde begegnet. Aber das ist Grane, Brünnhildes Pferd, das hier von einem Mann gespielt wird, auch.
Slapstick-artig inszeniert Schwarz den ersten Aufzug in Mimes Hütte. Der Schmied ist ein Zauberer im Stil von Merlin, organisiert für Siegfried eine Geburtstagsparty, gaukelt ihm mit Puppen die Anwesenheit anderer Gäste vor und erzählt ihm aus einem Kasperltheater heraus von seiner Herkunft. Als Siegfried zur Feier kommt, ist er bereits stockbesoffen, so wie Edmund Sackbauer in der Silvesterfolge, durchaus mit ähnlicher Frisur.
Genauso chaotisch und absurd geht es auch weiter. Zunächst mit einer Wunderkerze auf einem Tortenstück, dann mit irren Funken eines Feuerwerkes beim Schmieden des Schwertes. Man kriegt Angst, dass ein Böller beim Nachbarn einschlägt.
Der Titelheld erweist sich als Brutalinski, der dauernd chinesische Nudeln isst, mit Waffen herumfuchtelt und von Mime ein Poster mit nackten Pin-up-Girls kriegt. Erinnert milieumäßig an „Ein echter Wiener geht nicht unter“ mit Wagner-Soundtrack. Mei Bua, der Siegfried, der Trottel. Aber: Mei Bayreuth is ned deppat, das ist durchwegs klug umgesetzt.
Vielen Beobachtern ist all das jedenfalls zu unpolitisch, zu weit weg vom Original. Doch was ist Politik? Haben nicht der Umgang miteinander, Gewalt in der Familie, Missbrauch, allzu liberale Waffengesetze, das Recht des Stärkeren, das Ignorieren von Göttern und Regeln, der Egozentrismus auch viel mit Politik zu tun? Ist nicht am Allerwichtigsten, welche kommende Generation wir auf die Erde loslassen? Und ist die Keimzelle nicht die Familie? Im „Ring des Nibelungen“ auf alle Fälle. Womit Schwarz doch nahe an Wagners Ideen ist.
Der Triumph des Tenors
Zu hören gibt es auch was in den Folgen des Bayreuther Wo-Tan-Clans rund um „The Godfather“, nicht nur zu denken. Andreas Schager singt den mundl-artigen Siegfried mit genauso viel stimmlicher Kraft, wie er sie hier körperlich hat. Von Anfang bis zum Ende attackiert er, stets sicher in der Höhe. Diese Partie steht ihm wesentlich besser als etwa der Tristan, wo mehr Nuancen gefragt sind. Als Jung-Siegfried ist er sängerisch unschlagbar und nach diesem Triumph am Zenit seiner Karriere angekommen.
Arnold Bezuyen als schriller, skurriler Mime spielt famos, Olafur Sigurdarson singt den Alberich mit voller Power. Tomasz Konieczny konnte nach seinem Bühnenunfall in der „Walküre“ wieder auf der Bühne stehen, als Wanderer – wie immer nicht wortdeutlich, diesmal aber schön, fast zurückgenommen, nur manches orgelnd. Szenisch toll, wie er, ehe er sich in Mimes Hütte auf einen Stiegenlift setzt, überprüft, ob dieser eh stabil ist.
Wilhelm Schwinghammer singt den Fafner in „Siegfried“ besser als in „Rheingold“, Okka von der Damerau die Erda weiterhin exzellent. Daniela Köhler kämpft als Brünnhilde anfangs etwas mit der Höhe, ist aber ausdrucksstark und weniger schneidend als ihre Vorgängerin Iréne Theorin, die in der „Götterdämmerung“ wieder ihre Nachfolgerin sein wird. Alexandra Steiner ist ein zarter, lyrischer Waldvogel. Branko Buchberger (junger Hagen) und Igor Schwab (Grane) spielen sehr gut.
Aber die Musik?
Musikalisch wird es unter der Leitung von Cornelius Meister von Staffel zu Staffel besser, es wackelt weniger, klingt etwas differenzierter, wenn auch manches sehr verschleppt, vielleicht gewöhnt man sich aber einfach nur daran. Bewertungssterne gibt es wie angekündigt erst am Ende, für das laut Libretto Alberich sorgt.
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