Im Häfen ist kein Platz mehr frei

Im Häfen ist kein Platz mehr frei
Deutschland und die Schweiz setzen auf Geldstrafen, der Rückfall ist überall gleich.

Das im Jahr 2008 in Kraft getretene Haftentlastungspaket wurde als justizpolitischer Meilenstein gefeiert. Mehr bedingte Entlassungen sollten die Gefängnisse leeren. Die notorisch unterbesetzte Justizwache atmete auf, liberale Justizpolitiker applaudierten.

Der Effekt des Pakets ist heute allerdings nicht mehr spürbar: Mit Stichtag 7. April befanden sich 9066 Häftlinge im Vollzug – inklusive der Fußfessel-Träger. Nur kurz vor dem Haftentlastungspaket war der Wert geringfügig höher. Ansonsten ist bis 1980 keine derartige Rekordzahl dokumentiert.

Zehn Mann in Zellen

In den Haftanstalten im Osten Österreichs ist die Platznot akut. Brennpunkt ist, wie so oft, die Josefstadt: In dem für maximal 990 Insassen ausgelegten Bau sitzen 1223 Personen ein. "Es wurden Stockbetten aus dem Keller geholt", berichtet Justizgewerkschafter Albin Simma (FCG). In manchen Zellen schmachten bis zu zehn Personen. In der Vollzugsdirektion bestätigt man das, es seien aber einzelne Räume für mehr Personen ausgelegt. Das Konzept dazu stamme allerdings aus den 1970er-Jahren. "Es bemühen sich zwar alle, aber unter diesen Rahmenbedingungen ist ein moderner Strafvollzug nur bedingt möglich", sagt Christian Timm von der Vollzugsdirektion.

Im Häfen ist kein Platz mehr frei

In den Räumen "kocht es wie in einem Kessel", sagt Simma. Das würde "Probleme heraufbeschwören", bestätigt Timm. Auch andere Justizanstalten platzen aus den Nähten: Garsten, Stein, Wr. Neustadt. Dazu kommt Personalmangel. Simma will jetzt Dienst nach Vorschrift, sollten die 350 beantragten Planstellen nicht kommen. "Dann steht der Häf’n."

Rezepte, um die Gefängnisse zu entlasten, gibt es:

Weniger U-Haft

Stichwort: "Gewerbsmäßigkeit" (die Annahme, der Täter verdiene durch wiederholte Delikte seinen Unterhalt). Diese wird oft vorschnell angenommen. Simma nennt ein Beispiel: "Wir haben einen, der vier Packungen Rasierklingen gestohlen und keinen Aufenthaltsort hat." Er sitzt in U-Haft. Der Kriminologe Wolfgang Gratz befürchtet keine Beseitigung dieses Haftgrundes vor der geplanten Reform des Strafgesetzbuches im Jahr 2015.

Mehr Geldstrafen

Der Kriminalsoziologe Arno Pilgram (siehe Interview) hat die Strafpraxis in Deutschland, Österreich und der Schweiz verglichen. Bei unseren Nachbarn wird vier bis fünf Mal so häufig die Geldstrafe verhängt, während in Österreich die Freiheitsstrafe im Zunehmen ist. Wobei 42 Prozent aller Inhaftierten eine sozial schädliche kurze Haftstrafe von unter einem Jahr absitzen, in denen ein Resozialisierungsprogramm nicht greifen kann.

Der Effekt ist jedenfalls gleich null: Die Rückfallquoten sind in Deutschland (36%) und der Schweiz (33%) sogar niedriger als hierzulande (38%).

Ausbau der Alternativen

Die im Jahr 2000 eingeführte Diversion (Auflagen bzw. Geldbußen statt Vorstrafe) hat kurzfristig zur Entlastung geführt. Doch während die Zahl der klassischen Verurteilungen gleich bleibt, gehen jene der alternativen Formen (von 638 im Jahr 2009 auf 537 im Jahr 2011) wieder zurück.

Verbüßung im Heimatland

EU-Täter sollen die von österreichischen Gerichten verhängte Strafe in ihrem Heimatland verbüßen. Seit 2012 müssen sie nicht mehr zustimmen. Strafrechtsexperte Gratz sieht die Politiker in der Pflicht: "Die glauben immer, ihre Kompetenz beweisen zu können, wenn sie für mehr Einsperren sind."

Kriminalsoziologe Arno Pilgram über die Wirkung von Strafen.

KURIER: Haben Sie eine Erklärung für die hohen Haftzahlen?

Es dürfte eine neue Sensibilität bei Aggressionshandlungen im familiären Bereich geben, auf welche die Richter meinen, mit präventiven Strafen reagieren zu müssen. Dabei wird aber zu wenig Rücksicht auf empirische Studien über die Wirksamkeit genommen.

Und wirken die Strafen?

Im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz wird bei uns ordentlich in den Schmalztopf gegriffen (Jargon für hohe Strafen, Anm.). Daher sind die Gefängnisse bei uns voller. Die Rückfallzahlen sind aber ähnlich. Man könnte ohne großes Risiko die Freiheitsstrafen in Österreich zurückdrängen und bei den Alternativen weitergehen.

Warum passiert das nicht?

Das sind lang eingeschliffene Muster. So wie ein Ost-West-Gefälle (höhere Strafen in Ostösterreich, geringere in Westösterreich, Anm.) gibt es auch ein Gefälle zu Deutschland und der Schweiz. Die Strafen in Tirol und Vorarlberg sind ungefähr im Mittelwert der deutschen Strafenpolitik.

Was kann man aus dem Ländervergleich lernen?

Dass Österreich kriminalpolitisch ein Ausreißer ist. Es gibt durch die Diversion zwar weniger Verurteilungen, aber wenn, dann kommt es extrem häufig zu – überwiegend kurzen – Freiheitsstrafen. Die Geldstrafen verlieren an Bedeutung, wir nähern uns den Werten von 1975, vor der großen Strafrechtsreform.

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