Probesitzen im Gefängnis

Justizanstalt Wien-Josefstadt
Jugendrichterin öffnet ihren Angeklagten die Augen über den Haftalltag. Internet-Portal listet "beliebteste" Anstalten.

Die strengen Strafen bringen nichts“, sagt die Jugendrichterin Ulrike Nill aus Wels, OÖ. Bevor sie einen Jugendlichen einsperrt, vermittelt sie ihm lieber einen Begriff davon, wie sich das hinter Gittern anfühlt.

„Der glaubt ja, er kann eh den ganzen Tag PlayStation spielen.“ Eine Art „Schnupper-Haft“ treibt dem Jugendlichen die Flausen aus: Ein Justizwachebeamter nimmt ihn mit ins Gefängnis, demonstriert den Ablauf „bis zum Zufallen der Zellentür“ (Nill). „In der Zelle hat der Stärkste die PlayStation“, beschreibt der Beamte den Alltag: „Auch wenn sie dir deine Oma gekauft hat.“

Aufsätze schreiben

Bevor das „Probesitzen“ Schule machen konnte, wurde es von der nächsten Instanz aus rechtlichen Erwägungen einstweilen gestoppt. Ulrike Nill und Kollegen sind aber auch noch bei anderen Alternativen zur herkömmlichen Strafe erfinderisch. Beliebt ist die Weisung, einen Aufsatz zu schreiben: „Wie siehst du dich in einem Jahr?“ Ein 16-Jähriger schrieb: „Ich habe eine Wohnung und ein Auto, mit dem ich in die Türkei zu meinen Großeltern fahren kann.“ Über diesen Weg könne man erreichbare Ziele entwickeln, sagt Nill: „Dem war nicht klar, dass er in einem Jahr noch nicht einmal den Führerschein hat.“

Auch die Weisung, die abgebrochene Lehre fortzusetzen, wird gerne gegeben. „Wir können ihnen nicht anschaffen, die Prüfungen zu bestehen“, sagt Nill, sie ist aber sehr stolz, wenn es einer schafft.

Probesitzen im Gefängnis

Einem Neonazi-Mitläufer hat sie sechs Monate Haft erspart, nachdem er sich für Asylwerber engagiert hatte. Er begleitete sie bei Arztbesuchen, half bei Behördenwegen, „die waren ganz begeistert von ihm. Man will gar nicht wissen, was der früher über diese Asylwerber gesagt hätte.“ Ulrike Nill weiß natürlich: „Je abscheulicher eine Tat, desto höher wird die Strafe sein.“ Aber jene, die noch am Rand stehen, die könne man mit Alternativen zu herkömmlichen Strafen vom Abweg wegbekommen. „Neun von zehn schaffen das“, ist Nill überzeugt und setzt dabei auf die Unterstützung der Sozialarbeiter. Den von Neustart praktizierten außergerichtlichen Tatausgleich nennt sie eine „Erfolgsgeschichte“: „Der wirkt mehr als drei Monate bedingte Haft.“

Wobei gerade die kurzen Freiheitsstrafen für Jugendliche von Experten für besonders schädlich erachtet werden. Mangels personeller und räumlicher Ausstattung in vielen Justizanstalten (siehe Zusatzbericht) sind die Häftlinge nämlich vielfach ohne Beschäftigung und Therapie einfach nur weggesperrt. Der Kriminologe und langjährige Gefängnisleiter Wolfgang Gratz hält diesen „Verwahrvollzug“ für eine „Hirnstrafe“: Die Insassen (aber auch die Justizwachebeamten) stumpfen ab „und schalten auf Abwehr von Betroffenheit“. Es sei dies für beide Seiten eine „höchst funktionale Überlebensstrategie.“ Eine positive Weiterentwicklung dürfe man sich davon nicht erwarten.

Lesen Sie morgen: Alternative zur Haft – Lokalaugenschein in einer Wohngruppe.

Bisher erschienen:

Die Jugendhaft auf dem Prüfstand

Jugendhaft neu: Viel Kosmetik

Interview: „Weniger Haft ist uns ein Anliegen“

Man kann sich nicht aussuchen, in welchem Gefängnis man sitzen muss: Im Hochsicherheitstrakt, mit Streichelzoo oder „Kuschelzelle“. Auf persönliche/familiäre Umstände wird aber schon Rücksicht genommen.

Auf der deutschen Homepage knast.net findet sich ein „Hotelführer“ mit Bewertungen über Gefängnisse in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Insassen, Angehörige, Bedienstete können Kommentare abgeben und Sterne vergeben (stichprobenweise Auswahl oben). Die Verlobte eines in der Justizvollzugsanstalt Bad Reichenhall einsitzenden Häftlings beschwert sich über „viel zu wenig Essen. Mein Verlobter hat in sechs Wochen mega abgenommen.“

Franz P. befand sich als 16-Jähriger in der Justizanstalt Salzburg in U-Haft. Man habe ihn zu den Erwachsenen gelegt, schreibt er, und dass es in den Zellen stark nach Urin roch. „Man fängt sich Krankheiten ein, weil der Dreck überall klebt. Es waren die schlimmsten Tage meines Lebens.“ Die Justizverwaltung selbst gibt zu, dass die 1909 in Betrieb genommene Anstalt „im Hinblick auf einen qualitätsvollen Strafvollzug an seine Grenzen stößt“. Ein Neubau ist geplant.

In Innsbruck beschreibt ein Gefangener „Zustände wie im alten Rom.“ Die erst 2012 neu errichtete Justizanstalt Korneuburg NÖ, gehört zu den Top-Adressen. Ein Gefangener schwärmt: „Alles ist sehr modern, man hat einen Kühlschrank, Plasma-Fernseher, Dusche, Bodenheizung und Klima.“ Über Hirtenberg wird gepostet: „Leiwaundstes Hotel ever!“, und über Ried, OÖ: „Das Essen ist ein Traum, der Altstadtblick überragend. Ich wünschte, ich hätte ein paar Monate mehr gehabt“, aber das klingt eher nach Zynismus.

Die "beliebtesten" Gefängnisse in Österreich

Kommentare