Jugendhaft neu: Viel Kosmetik

Vorher-Nachher-Vergleich: Statt Vier-Personen-Zellen ...
Ein gesperrtes Hallenbad, helle Fußböden und ein Mörder als Insassensprecher.

Seit im Sommer vergangenen Jahres ein 14-jähriger U-Häftling von Zellengenossen vergewaltigt wurde, reißt die Diskussion um die Haftbedingungen nicht mehr ab. Der 71-seitige Bericht der von der damaligen Justizministerin Beatrix Karl eingesetzten Taskforce beinhaltet „Mindeststandards für den Jugendvollzug“. Zum Beispiel „erlebnispädagogische Outdoor-Freizeitangebote“, maximal Zwei-Mann-Belegung statt Vierer- und Sechser-Hafträume und einen „Insassensprecher“.

Jugendhaft neu: Viel Kosmetik

Der KURIER hat sich angeschaut, was davon umgesetzt wurde, und wie viel noch zu tun bleibt. Ein Lokalaugenschein im Jugend-Trakt der Justizanstalt Wien-Josefstadt zeigt vor allem: viel Kosmetik. Die schwarzen Teerfußböden sind hellen Melan-Belägen gewichen. Der kleine Sportplatz im Hof wurde mit einem Kunstrasen ausgelegt, auf dem auch bei Nässe Ball gespielt werden kann. Die Hafträume sind neu ausgemalt und wurden mit klassischen Jugendzimmer-Holzmöbeln eingerichtet (früher gab es Stahlrohr-Stockbetten). Und sie sind nur zu zweit belegt. „Ob das der Weisheit größter Schluss ist?“, fragt Oberst Peter Hofkirchner, stellvertretender Anstaltsleiter. Bei ungeraden Gesamtzahlen der Insassen sitzt einer allein im Haftraum und ist rasch isoliert.

Hafträume offen

Apropos sitzt: Neuerdings sind die Hafträume tagsüber immer offen, es gibt mehr Beschäftigung, auch (bewachte) Gruppenausgänge zum Radiosender FM4 oder ins Haus des Meeres. Ob das schon „erlebnispädagogisch“ ist? „Es geht nicht darum, Fische vorzuzeigen“, sagt Hofkirchner. Sondern eher um die Beobachtung, „wie sich die da draußen benehmen.“ Zur Einschätzung des Risikos eines Freiganges vor der Entlassung.

In der Justizanstalt für Jugendliche in Gerasdorf, Niederösterreich, gibt es einen Fußball-, einen Basketball-, einen Beachvolleyballplatz und ein Hallenbad. Dieses ist aber seit einem Jahr gesperrt, die Renovierung zu teuer. Die „erlebnisorientierte Freizeit“ beschränkt sich auf eine fünf Meter hohe Kletterwand. Hier werden eigene Grenzen ausgelotet, Teamarbeit wird trainiert. Anstaltsleiterin Margitta Neuberger-Essenther (siehe Interview) schwebte eine Exkursion von ein paar Insassen mit zwei bis drei Beamten auf eine Berghütte vor, aber die Justizwache-Gewerkschaft habe den Plan abgedreht.

Sozialpädagogen

Ganz dringend gebraucht werden mehr Sozialpädagogen. „Ich kann von meinen Mitarbeitern nicht verlangen, den Insassen zu erklären, wie man die eigenen vier Wände sauber hält“, sagt Neuberger-Essenther: „Der Beamte sagt: ,Ram zsam!‘ Sozialpädagogen haben andere Möglichkeiten.“

Den im Bericht der Taskforce propagierten „Arbeitsrundlauf“ durch alle Lehrbetriebe in der Anstalt (in Gerasdorf sind es 15) für jeden neuen Insassen hält Psychologin Neuberger-Essenther eher für hinderlich: „Ein halber Tag bringt nichts, das müsste jeweils eine Woche sein, und das blockiert den Fortlauf des Lehrjahres.“ Manchmal rät sie dazu, einen Insassen nicht schon nach Verbüßung der halben Strafe (wie im Gesetz vorgesehen) zu entlassen, damit er in Gerasdorf etwas abschließen kann. Die Rückfallquoten für jene, die hier eine Lehre machen, sind geringer als sonst üblich.

In Gerasdorf wurde der von der Taskforce geforderte „Insassensprecher“ bereits eingeführt, erster Kandidat war ein zu 12 Jahren Haft verurteilter Mörder. Er konnte die Wünsche der Häftlinge artikulieren, spielte sich aber nicht als Kapo auf. Dann schmuggelte er Anabolika in die Anstalt, ein neuer Sprecher wurde ausgewählt, wieder ein Mörder.

„Die sind am längsten da, die können wir am längsten beobachten“, sagt Neuberger-Essenther, die sogar von einem Insassenparlament träumt.

1. Teil der Serie: Jugendhaft auf dem Prüfstand

KURIER: Sind die Justizwachebeamten im Jugendvollzug speziell ausgebildet?
Margitta Neuberger-Essenther:
Es gab mehrwöchige Lehrgänge mit Entwicklungspsychologie, Psychiatrie, Recht, Erlebnispädagogik. Die wurden abgespeckt auf eine Woche, dann auf drei Tage, 2011 fand der letzte statt. Zu wenige Beamte haben den Lehrgang absolviert. Heuer wird das reanimiert. Weil wir spielen ja hier nicht Schuld und Sühne, wir wollen die Insassen positiv weiterentwickeln.

Aus welchem Umfeld kommt der klassische Neuzugang in Ihrer Anstalt in Gerasdorf?
Zu uns kommen schon ganz junge, mit 14, die schon strafunmündig auffällig waren. Schulschwänzen, Raufereien, Diebstahl, die wenigsten haben Schulabschluss, aber alle Erfahrung mit Drogen. Prügelnde Eltern, zerbrochene Familien. 30 meiner 94 Insassen sind zwischen 14 und 17, bis 27 können sie bei mir bleiben.

Was fehlt denen, abgesehen vom funktionierenden Elternhaus?
Struktur. Mich wundert, warum das niemandem aufgefallen ist, dass die nicht in die Schule gegangen sind. Die lungern herum, und niemand merkt es. Die sind schon im Kindergarten auffällig, da muss man hinschauen. Das heißt nicht: mehr Anzeigen. Aber jeder kümmert sich nur ums eigene Leiberl.

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