Mehr als Umweltschutz: Was sind nachhaltig produzierte Möbel?

Dan Badstuber und Alois Hechinger (re.) eröffneten vor vier Jahren ein Möbelstudio für nachhaltiges Wohndesign und Innenarchitektur
Betriebe, die Nachhaltigkeit arbeiten, achten längst nicht nur auf eine energie- und ressourcenfreundliche Herstellung.

Beim letzten Werksbesuch unterbrach Alois Hechinger seinen Rundgang, um sich gezielt die Kantenanleimmaschine anzusehen. „Für die Kunststoffkanten bei Küchenfächern können verschiedene Materialien zum Einsatz kommen“, so der gebürtige Innviertler. „Manche Hersteller verwenden dafür das umweltverträglichere Polypropylen. Billiger ist aber PVC, ein echtes Umweltgift, das bei der Entsorgung als Sondermüll behandelt werden muss. Verarbeitet sehen die Materialien gleich aus. Nur wenn man in der Werkshalle zur Maschine hingeht und sich die im Magazin bereitgestellten Kanten ansieht, erkennt man den Unterschied.“ Was der Küchenhersteller hier im Einsatz hat, ist ein Detail, das für Hechinger durchaus relevant ist. In diesem Fall stimmte es mit dem überein, was der Techniker ihm zuvor gesagt hatte: Polypropylen.

Gemeinsam mit Dan Badstuber eröffnete Alois Hechinger vor vier Jahren unter dem Namen JOHAN ein Möbelstudio für nachhaltiges Wohndesign und Innenarchitektur in Wien. Die Firmenphilosophie: modernes Interieur mit dem Anspruch der Nachhaltigkeit zu verbinden und nur mit Partnern und Herstellern zusammenzuarbeiten, die diese Einstellung teilen. Geht es um Nachhaltigkeit in der Möbelbranche, weiß Hechinger aus Erfahrung: „Es ist ein sehr komplexes Thema.“ Eines, das hier aber aufgerollt werden soll. Denn wie alle gesellschaftlichen Veränderungen spiegelt sich das wachsende Bewusstsein für nachhaltiges Handeln auch im Wohnen wider.

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Schon 2015 hat das Zukunftsinstitut, das sich der Trend- und Zukunftsforschung in Deutschland und Österreich widmet, die „Nachhaltigkeit 2.0“ ausgerufen. Demnach würde tatsächlich ein großer Teil der Gesellschaft sein Leben in Richtung Nachhaltigkeit ausrichten. Parallel dazu habe der Begriff einen Imagewandel vollzogen: Er werde nicht mehr so sehr mit Verzicht, mit schlechtem Gewissen oder militanten Hardlinern in Verbindung gebracht, sondern stünde für ein positives Lebensgefühl. Kurz gesagt: Nachhaltigkeit darf jetzt auch Spaß machen.

Möbel mit Geschichten

„Wir haben von Anfang an ein bestimmtes Publikum angesprochen; ein design-affines und ökologisch interessiertes", so Alois Hechinger. Was sich aber verändert habe, ist, dass dieses nun öfter aktiv nach der Produktionsweise nachfrage.

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Um eine Antwort ist der Fachmann selten verlegen: „Es gibt für jedes Möbel eine Story, eine kleine Geschichte. Wir können genau erzählen, wer der Designer ist, aus welchem Material es ist, von welchem Hersteller es wo produziert wird und welche Transportwege es zurückgelegt hat.“ Was weniger oft vorkäme, ist die Frage nach Gütesiegeln oder Zertifikaten: „Das liegt wohl daran, dass Wohnen an sich eine emotionale Sache ist. Ein Innenarchitekt zum Beispiel, der nicht das Vertrauen seines Klienten gewinnt, wird den Auftrag nicht machen. Besteht aber eine Beziehungsebene, vertraut der Kunde quasi darauf, dass ich weiß, dass die Kunststoffkanten beim Regal aus umweltverträglichem Material gefertigt sind. Dann benötigt er keine Extra-Bestätigung durch Zertifikate.“

Power-Trio

Im Prinzip gilt: Kauft man nachhaltig produzierte Möbel, unterstützt man ein System, das auf einem Drei-Säulen-Modell basiert. Es verfolgt gleichzeitig und -berechtigt umweltbezogene, wirtschaftliche und soziale Ziele.

Es ist wichtig, dass auch beim Wohnen Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit geschaffen wird. Dass darüber geredet und diskutiert wird.“

von Alois Hechinger

Möbelstudio JOHAN Natur Design Wohnen, www.johan-wohnen.at

Ist dieser Dreiklang harmonisch, entsteht ein sinnstiftendes Handeln, das der Gesellschaft und idealerweise auch den nachfolgenden Generationen zugute kommt. Eine Art Checkliste, die es abzuarbeiten gilt, gibt es nicht. So müssen Möbelstudios wie Johan ständig einzelne Faktoren abwägen. Die Auswahl der Partnerbetriebe ist ein Beispiel: „Die meisten unserer Lieferanten sind inhabergeführte Familienunternehmen, die eine etwas andere Zielsetzung haben als börsennotierte Konzernunternehmen“,  so Hechinger.

Dass letztere vor allem gewinnbringend orientiert sind, weiß man – sollte aber auch nicht voreilig verteufelt werden: „Ist man als Familienunternehmen ökonomisch nicht überlebensfähig, nutzen einem alle umweltbewussten oder sozialen Bestrebungen nichts.“

Dauerbrenner

In Sachen Möbel sind gerade Design und Optik nicht zu unterschätzen, stellen sie doch einen wichtigen Aspekt für die sogenannte Dauergebrauchstauglichkeit dar, so Hechinger: „Nutzen zwei oder drei Generationen ein Möbelstück und erfreuen sich an dessen Schönheit, ist das höchst ressourcenschonend und umweltfreundlich." Und über die Jahre der Nutzungsdauer gerechnet käme es den Kunden günstiger als Billigware.

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In der Vergangenheit haben viele heute renommierte heimische Unternehmen, darunter etwa Team 7 oder Grüne Erde, dazu beigetragen, dass nachhaltiges Design sein „Birkenstock-Image“ abgelegt hat. Ein Verdienst, den Hechinger auch Zeitraum zuspricht: Seit rund 30 Jahren entwirft Zeitraum im bayerischen Voralpenland schicke Massivholzmöbel, die von Schreinerbetrieben aus der Umgebung hergestellt werden. Damit steht zwar eine Firma auf der Partnerliste, die nicht regional ist, das widerspricht aber für Hechinger nicht unbedingt dem mweltbewussten Geist der Nachhaltigkeit: „Freilich fällt ins Gewicht, wo produziert wird. Setzt aber ein weiter weg liegender Hersteller insgesamt mehr nachhaltige Ziele um als eine vergleichbare Firma in der Nähe, werde ich ihn in Erwägung ziehen.“

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Konzerndenken

Dass das Polstersofa von einem regionalen Handwerksbetrieb mit fünf Mitarbeitern stammt, mag für das umwelt- und sozialorientierte Gewissen eine schöne Sache sein. „Die große Masse aber wird beim Möbelkauf immer das industriell hergestellte, günstigere Produkt bevorzugen“, gibt Hechinger zu bedenken. „Aber dort hat man dann auch den größten Hebel, um etwas zu verändern: Steigt etwa ein großer Betrieb auf umweltfreundliche Materialien um, hat das eine andere Dimension als beim kleinen Tischler.“ Was man als Endverbraucher tun kann, ist, Interesse an nachhaltiger Produktion zu zeigen und sich auch in großen anonymen Einrichtungshäusern nach der Herstellung zu erkundigen.

Letztlich hat jeder seine eigenen Erwartungen in Sachen Nachhaltigkeit: „Es gibt Leute, die sich für den veganen Lebensstil entschieden haben“, gibt Hechinger ein Beispiel. „Persönlich finde ich das sehr sympathisch, ich kann auch akzeptieren, wenn man nicht nur auf Lebensmittel tierischen Ursprungs verzichtet, sondern auch auf Lederprodukte." Käme aber jemand, der ein Ledersofa kaufen möchte, würde man das ebenfalls akzeptieren: "Wir wissen aber genau, wo und aus welcher Produktion das verwendete Leder herkommt.“

Zwischen dem Abwägen, wie welche Kriterien erfüllt werden, ist die Achtsamkeit im Nachhaltigkeitssystem wohl der stabilste Faktor: „Ein Bewusstsein für die Umwelt und die Menschen im Alltag an den Tag zu legen, erscheint mir wichtig. Nehmen wir Rücksicht, auch auf die nächsten Generationen, dann ergibt sich vieles von selbst“, ist Hechinger überzeugt.

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