Recyclingmöbel: Nachhaltig und stylish wohnen

Recyclingmöbel: Nachhaltig und stylish wohnen
Viele internationale Designer inszenieren ausrangierte Möbel neu, machen aus Müll moderne Wohnaccessoires und setzen damit ein Zeichen gegen die Wegwerfkultur.

Für seine Möbel muss kein Baum gefällt werden: Innenarchitekt Oliver Schübbe von der OS2 Designgroup arbeitet mit dem Material, das auf Bauhöfen entsorgt wird – und möchte somit den ökologischen Kreislauf aufrechterhalten. Im Interview erzählt er von seiner Herangehensweise im Upcycling-Prozess und wie sich die Möbelbranche verändert hat.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Recycling und Upcycling?
Oliver Schübbe: Upcycling bedeutet, eine Wertsteigerung in der Wiederverwendung von Materialien im Vergleich zum Ausgangsprodukt zu erzielen. Recycling wäre da eher die generelle Wiederverwendung, wie z.B. bei Glas, Papier und Metallen. Als Downcycling könnte man z.B. die Verwendung von Plastikbechern für Lärmschutzwände bezeichnen.

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Inwiefern hat sich das Image von Recyclingmöbeln in den vergangenen Jahren verändert?
Es geht bei Upcyclingmöbeln mehr in Richtung Materialforschung. Es wird von den Gestaltern mehr hinterleuchtet, was es an sogenannten Abfällen oder Produktionsresten gibt, die mir zur Verfügung stehen.

Und wie hat sich die Möbelbranche dadurch verändert?
Für große Hersteller ist es natürlich schwierig, mit gebrauchtem Material zu arbeiten. Oftmals sind es da ganz andere Produktionsweisen, mit viel höherem handwerklichen Anteil und viel mehr „Manpower“. Da ist es für viele eher eine Nische, wenn z. B. Tischhersteller mit Balken aus alten Fachwerkhäusern neue Tische bauen und das auch kommunizieren. Einfacher ist es für die Möbelfirmen, die sogenannte Fehlerästhetik zu faken.

Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an Recyclingmöbeln?
Das Besondere an den Möbeln ist natürlich der Unikatcharakter oder auch teilweise der Vintagecharme. Es ist die Einzigartigkeit der Objekte, oftmals verbunden mit einer Geschichte " ... ich war einmal".

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Leuchte „Lattenrost“ von Oliver Schübbe besteht aus aufgesägten Lattenrostlatten
 

Wie gehen Sie als Designer an ein Möbelstück heran?
Beim Entstehungsprozess gehe ich immer vom Material aus, das genauestens unter die Lupe genommen wird. Manchmal kommt mir die Idee für neue Dinge auch beim Auseinanderbauen von Altmöbeln, da sehe ich genau, was für ein Potenzial das mir zur Verfügung stehende Material noch hat. Also mal nicht angefangen von der Skizze auf dem leeren Blatt Papier, wie es im Studium propagiert wird.

Welches ist Ihr Lieblingsmaterial?
Mein Lieblingmaterial ist Holz, was als mir in entsorgten Altmöbeln aktuell fast unbegrenzt umsonst zur Verfügung steht. Und ich liebe den Ausspruch: "Wenn ein Tischler durch den Wald geht, sieht er keine Bäume sondern Möbel". Und für meine Möbel muss nicht einmal ein Baum gefällt werden, der wurde schon im vorherigen Leben gefällt.

Welches ist Ihr Lieblingsmaterial für Upcycling-Möbel?
Holz, was in entsorgten Altmöbeln aktuell fast unbegrenzt gratis zur Verfügung steht. Ich liebe den Ausspruch, „wenn ein Tischler durch den Wald geht, sieht er keine Bäume, sondern Möbel“. Und für meine Möbel muss nicht einmal ein Baum gefällt werden, der wurde schon im vorherigen Leben gefällt.

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Leuchte „Silversurfer“ hat Schübbe aus Satellitenschüsseln und Thermoskanneninlays produziert

Kritische Stimmen sprechen davon, dass Recyclingmöbel nicht massentauglich sind und nicht in Serienproduktion gehen können. Was sagen Sie dazu?
Da kann ich bei aktuellem Sperrmüllaufkommen aus Altmöbeln mal deutlich widersprechen. Von meinem Regalentwurf „Frank“ wurden mittlerweile ca. 40.000 Stück verkauft , selbst die Caritas in Wien hat schon in Lizenz gebaut. Da ist vieles möglich.

Sie sind auch Juror beim Recycling Designpreis. Nach welchen Kriterien bewerten Sie, was ist besonders wichtig?
Bei dem Designpreis geht es natürlich um die Nachhaltigkeit der Produkte, sozusagen in unserer derzeitigen Wegwerfgesellschaft versteckte Ressourcen zu erkennen. Aber auch ein Umdenken der neuen Generation an Gestaltern zu fördern, alternative Wege zum Massenkonsum von Produkten zu suchen. Dennoch kommt es, wie bei allen gestalten Dingen, auf die Innovationskraft bei der Gestaltung an, es muss eine Neuentwicklung oder ein neuer Herstellungsprozess sein.

Internationale Designstücke

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Mit Meeresrauschen

Der belgische Designer und Aktivist Sep Verboom stieß auf den Philippinen auf ein Projekt, bei dem im Wasser treibende Seile in den Häfen eingesammelt, in ihre Fasern zerlegt und neu  versponnen werden. Aus diesem neu entstandenen Seeseil-Garn lässt Verboom in Zusammenarbeit mit Livable Teppiche weben und unterstützt so die heimischen Betriebe.  Die  Garne weisen noch immer  praktische Eigenschaften der ehemaligen Schiffseile auf – sie sind robust, wasserfest und können in der Wohnung   wie auch im Garten aufgelegt werden.

 

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Die Protagonisten Venedigs

Tisch „Venice“ von Designer Claudio Bellini für Riva 1920 baut auf Briccole auf. Diese sind Eichenpfähle, die im Meeresboden verankert sind, um den Schiffen die Wasserstraßen und die Gezeiten zu kennzeichnen. Nach spätestens zehn Jahren müssen die Pfähle aufgrund von Verschleiß und Bruch ausgetauscht werden. 33 namhafte Designer haben für die italienische Firma Riva 1920 eine Briccole-Kollektion entworfen, die den Pfählen neues Leben einhaucht, darunter auch Philippe Starck und Matteo Thun.

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Nicht nur gegen Muskelkater

Magnesium ist 30 Prozent leichter als Aluminium, erlaubt dabei schlankere Konstruktionen und wird hauptsächlich als Alternative zu Kunststoff verwendet. Das israelische Design-Duo Gilli Kuchik und Ran Amitai haben für das italienische Unternehmen Magis den Sessel „Vela“ aus Magnesium gestaltet,  der stapelbar ist und nur 2,5 kg wiegt. „Unser Ziel war, einen haltbaren, nachhaltigen und eleganten Stuhl zu designen“, sagen die Entwerfer. Sie hoffen, dass Magnesium  Plastik als Rohstoff ablösen wird, weil  es sich recyceln lässt  und   als  eines der häufigsten Elemente der Erdkruste auch reichlich vorhanden ist.

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Ölfässer in Form gebracht

Die Blechmöbel von Ko-j sehen sich als  Schnittstelle zwischen Kunst und Design, sie werden nur gekantet und gefalzt, nicht geschweißt, was den Objekten ihren typischen Charakter verleiht. Die Optik der Objekte ist durch jahrelangen Gebrauch der Fässer entstanden und nicht reproduzierbar, wie etwa beim Couchtisch aus Ölfassblech. Ko-j  produziert die Entwürfe in geringer Stückzahl in einer kleinen Manufaktur in Indonesien unter fairer Bezahlung.

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Hitze und Handwerk

Der „RD (Roughly Drawn) Legs chair“ ist handgewebt – und zwar aus 100 Prozent recyceltem Plastikmüll. Für das Projekt des britischen Nachhaltigkeitsdesigners – wie ihn der Telegraph nennt – Richard Liddle wurde weder Klebstoff noch ein anderes Material fürs Zusammenhalten verwendet, nur Hitze und menschliches Talent. „Ich sage nicht, dass der RD Chair das weltweite Plastikproblem lösen wird, aber er macht eine leichte Vertiefung im Müllberg“, sagt Liddle selbst zu seinem Designobjekt.

 

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Schiff ahoi

Die beiden Wiener Unternehmer Clemens Hollerer und Georg Heinz fertigen seit 2017 für ihr Start-up Oceanwood Möbelunikate aus  ehemaligen indonesischen Fischerbooten an. Das Holz, das durch das Meer besondere Farbnuancen bekommen hat, wird durch  handwerkliches Know-how zu Bänken, Regalen und Tischen verarbeitet. Neben dem  Upcycling-Gedanken ist dem Unternehmerduo auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen sowie faire Arbeitsbedingungen für ihre Partner in Indonesien ein zentrales Anliegen.

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PET-Flaschen in neuer Optik

„Re-fresh, Re-cycle, Re-use“ lautete das Credo bei diesem Projekt: Coca-Cola ließ die Designlegende, den millionenfach verkauften Navy Chair aus Aluminium von 1944, re-designen.  Der Stuhl legte damals den Grundstein für den Erfolg der US-amerikanischen Firma Emeco. Die nachhaltige Version des Sessels namens „111 Navy Chair“ besteht aus 111 Stück recycelten PET-Coca-Cola-Flaschen, flammenhemmenden Stoffen, Pigmenten sowie Glasfasern. Emeco und Coca-Cola peilen bei dieser Zusammenarbeit an, jährlich drei Millionen Plastikflaschen für die Produktion des 111 Navy Chair zu nutzen.

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Bauholz und soziale Projekte

2015 gründete der gebürtige Niederländer Mike Raaijmakers das Berliner Upcycling-Unternehmen Johanenlies. Gemeinsam  mit Creative Director  Coco Prange sowie regionalen Produzenten fertigt er Möbelstücke und Accessoires aus recyceltem Bauholz in Handarbeit. Das Besondere: Jedes Möbelstück kann vom Kunden in Bezug auf Materialien und Maße mit dem Designteam individuell angepasst werden. Und: Johanenlies unterstützt die Stiftung Plant-for-the-Planet, die seit 2014 für jeden gespendeten Euro einen Baum auf Mexikos Halbinsel Yucatán pflanzt  und Kinder in Akademien zu Botschaftern für Klimagerechtigkeit ausbildet.

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Stichfest

Ausgangsmaterial für den Beistelltisch „Hilt“ vom niederländischen Interieur-Designer Reinier de Jong ist ein Schaufelstiel. Der Griff des Stiels hilft dabei, den Tisch überallhin zu transportieren, wo er gerade am besten gefällt – etwa neben die Couch oder das Bett. Der abgewinkelte Edelstahl-Streifen bringt den geschwungenen Spatenstiel in Balance und sorgt für die notwendige  Stabilität. Für seinen Klappsessel „Steel“ verwendet de Jong alte Holzstiele von Besen, Rechen, Spaten oder Fahnenstangen und erhält ihre natürliche Patina.

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Vom Hamburger Hafen

Seit 2004 gibt es beim Hamburger Produktdesign-Label Lockengelöt Schränke und Couchtische aus Ölfässern vom Hamburger Hafen, Wandleuchten aus farbigen Schallplatten oder Schlüsselbretter aus Büchern. Die Unternehmer benutzen zu etwa 70 bis 100  Prozent recycelte Materialien. Bei den Tischplatten, die man in die Ölfassdeckel legen kann, lassen sie zu jedem verkauften Exemplar einen zertifizierten Baum pflanzen. Neu ist Couchtisch Betty  mit Recycling-Holz aus Gerüstbohlen.

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Unaufdringlich ökologisch

Die Restore Baskets der skandinavischen Marke Muuto sind nicht nur schön anzusehende Aufbewahrungskörbe,  sondern aus recycelten PET-Flaschen hergestellt und somit äußerst robust. Designerin Mika Tolvanen  sagt über ihr Produkt: „Ich wollte, dass der Korb von unaufdringlicher Natur ist. Polymerfilz, kombiniert mit einer sanften Form, gibt dem Korb eine freundliche Erscheinung. Der Name Restore ist von dem Fakt inspiriert, dass die Körbe aus  recycelten PET-Flaschen hergestellt sind.“

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Lade auf!

Die Deutsche Franziska Wodicka, eigentlich Landschaftsarchitektin, erweckt alte Schubladen seit 2007 zu neuem Leben. Diese Möbelstücke werden  nach ihren Entwürfen in zwei kleinen Berliner Handwerksbetrieben angefertigt. So entstehen Sideboards, Kommoden und Schränkchen aus wieder verwendeten Schubladen.Die Möbel sind nur auf Anfrage erhältlich unter www.schubladen.de

 

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Altkleider neu gedacht

Durch die  Zusammenarbeit des Kopenhagener Circular-Economy-Unternehmens Really mit dem renommierten dänischen Textilproduzenten Kvadrat ist ein Werkstoff aus rezyklierten Stoffabfällen aus Textilindustrie wie Haushalten entstanden. Designer Claesson Koivisto Rune wurde von den beiden Firmen eingeladen, mit seinem Regalsystem „Bibliothèque“ das Potenzial des Werkstoffs aufzuzeigen.  Sein innovatives Design, produziert von Asplund, fand bei der Mailänder Möbelmesse Gehör und gewann den dänischen Design Award 2018.

 

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Niemals enden wollend

Der Name ist Programm: Sessel „On & On“ ist ein zeitloser, lang haltender Stuhl aus rPET, einem recycelten Material, das immer wieder recycelt werden kann. Edward Barber and Jay Osgerby vom Londoner Industriedesignstudio Barber & Osgerby haben  für ihr Projekt  für das US-Unternehmen Emeco 70 % rPET (Plastikflaschen, die sonst in der Deponie landen würden) verwendet – außerdem 10 % nicht-toxische Farbstoffe sowie 20 % Glasvlies für die Stabilität. „Der Sessel wurde so designt, dass er möglichst wenig Material benötigt und sehr leicht ist. Die effiziente Nutzung von Plastik garantiert weniger CO₂-Emissionen beim Transport, was den Sessel komplett nachhaltig macht“, sagt das Design-Duo.

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Alltag trifft Design

Laura Jungmann hat sich in  ihrer Diplomarbeit an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe mit Upcycling als  nachhaltige Produktalternative zu Über- und Neuproduktion beschäftigt. In Zusammenarbeit mit der Korbflechterin Monika Nickel entstanden Sitzmöbel aus Gebrauchsgegenständen. Die seit 2013 selbstständige Produkt- und Grafikdesignerin setzt bei ihrer Arbeit vorrangig auf regionale, ökologische und soziale Aspekte. 2018 gewann sie für ihre Karaffe No. 02 aus einer umgestalteten Glaspfandflasche den German Design Award 2018.

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