"Ein Designer muss ein guter Beobachter sein"
Wer künstlerisch arbeitet, muss sich den kindlichen Blick bewahren, das Spielerische, die Neugierde, die unbändige Freude am Entdecken - und dann einfach drauf los zeichnen! Erwachsene können das nicht. Zu stark sind die Zensoren im Kopf: Ein Stück Orangenschale, selbst wenn rüsselförmig, ist für uns eben doch kein Elefant. Und gezeichnet wird nicht, weil man könnte ja die perspektivische Verkürzung falsch berechnen - und wie sähe denn das dann aus? Kurz: Wer Künstler ist, ist Kind. Zumindest im Herzen.
Außer man steht an der Spitze einer Firma! Dann sollte man das mit dem Kind-sein rasch wieder vergessen. Da herrschen Excel-Tabellen vor, Verhandlungen mit Manufakturen und Vertrieb, kurz: jede Menge Realitäten, die es nötig machen, eine Orangenschale als Orangenschale zu sehen, nicht als Elefant. Und Perspektiven sollten - zumal in wirtschaftlich unsicheren Zeiten - tunlichst richtig berechnet werden.
Seit 1987 leitet die katalanische Künstlerin Nani Marquina das nach ihr benannte Textilunternehmen. Mit dem Spagat zwischen den Welten ist sie täglich konfrontiert. Wir haben nachgefragt, wie sie das macht.
Nani Marquina: Ich habe ein kleines Haus in den Bergen. Wenn ich designe, ziehe ich mich dorthin zurück. Da muss ich ganz alleine sein. Dabei geht es nicht um den tatsächlich handwerklichen Design-Prozess, sondern ums Ideen-Sammeln. Der Arbeitsprozess findet dann im Team statt, aber ich brauche davor diese Zeit zum Entspannen, um Visionen zu entwickeln, zu denken. Dafür suche ich immer die Stille. Wenn ich selber ruhiger werde, kommt die Inspiration.
Das heißt, Sie arbeiten lieber allein als gemeinsam mit anderen?
Ich brauche beides. Ich arbeite zuerst alleine, aber ich mag den Kontrast. Ich brauche mein Team als Referenzpunkt, ich muss andere mit meinen Gedanken konfrontieren. Ausserdem brauche ich sie für die Umsetzung der Ideen. Ein sehr wichtiger Teil der Arbeit ist die Aufbereitung, das erfordert Kontakt mit anderen Designern und nimmt viel Zeit in Anspruch.
"Am Tag danach kommen die Zweifel..."
Ich bin zu alt, um am Computer zu designen! [lacht]
Ich hab das nie gelernt. Ich stamme aus einer Zeit, in der man alles per Hand gemacht hat und so halte ich es weiterhin. Etwas anderes ist natürlich die Arbeit als Managerin der Firma. Die braucht viel Zeit und natürlich schon Computer.
Was inspiriert Sie?
Für mich ist das Beobachten wichtiger als die Inspiration. Ein Designer muss vor allem ein guter Beobachter sein. Und dann kommt der Zeitpunkt, an dem all die gesammelten Beobachtungen etwas Neues erschaffen - nicht auf Papier, aber im Kopf. Mich inspiriert die Natur, die Künste, Architektur, Reisen... Ich reise sehr gerne.
Und wie bekommen Sie die Idee dann aus dem Kopf und auf Papier?
Manchmal muss man sie gar nicht auf Papier bringen, weil sich die Inspiration mehr auf die Webtechniken, die Texturen und Materialien bezieht. Im Moment denke ich mehr über Stoffe nach als über Designs. Aber manchmal fertige ich Zeichnungen an von Dingen, bei denen ich mir denke: Hoppla, das könnte interessant sein. Dann mach ich Notizen, recherchiere nach... etwa bei einem Teppich, der von alten indischen Mandalas inspiriert ist. Da habe ich in Sansibar viel in verschiedenen Büchern recherchiert.
Mein Gehirn.
Gibt es Rituale, die für Sie wichtig sind in Ihrem Arbeits-Alltag?
Oft habe ich so viel zu tun, dass ich keine Ruhe finde zum Arbeiten. Die vielen offenen Aufgaben wirken bedrohlich. Dann mach ich To-Do-Listen. Sobald ich alles auf einer Liste habe, beruhigt mich das. So mache ich meinen Frieden damit und kann anfangen zu arbeiten.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Büro etwas über Sie aussagt?
Unbedingt! Ich hänge sehr gerne Fotos auf von Momenten, die für mich bedeutsam waren - zu den unterschiedlichsten Zeitpunkten in meiner Karriere. Hier hängen viele Bilder von Reisen, auch von Menschen, die hier früher gearbeitet haben und wichtig waren. Und natürlich von meinem Enkelkind.
Was waren denn für Sie die bedeutsamsten Momente in Ihrer Karriere?
Das waren zwei: 1993, als es der Firma sehr schlecht ging, bin ich nach Indien gefahren und habe die Chancen gesehen, die es dort für uns gab. Das hat uns ermöglicht, weiter zu machen. Und 2005 habe ich den National Designer Award bekommen. Der wird nur an sehr renommierte, gut etablierte Firmen vergeben, daher war das eine große Anerkennung für mich. Es war das erste Mal, das der Award an eine Firma vergeben wurde, die einer Frau gehört.
Früher gab es das häufiger. Es gab noch nicht so viel Konkurrenz. Der künstlerische Prozess stand mehr im Mittelpunkt, die Inspiration war oft explosiv. Man konnte sich kreativ austoben. Heute stehen wir mehr unter Druck. Wir müssen immer und besser werden, immer die vorhergehenden Designs übertrumpfen... Es wird schwieriger. Aber bei einem Teppich hatte ich das absolute WOW-Gefühl: Das war 1996 “Cuadros”. Da hatte ich einen ungeheuren Adrenalin-Schub als das Design fertig war. Natürlich hält so eine Euphorie immer nur einen Tag an. Am Tag danach kommen die Zweifel...
Und seit 1996?
Teppiche entstehen in einem sehr langsamen Prozess. Wichtig ist nicht die Zeichnung, sondern der Prototyp. Auf das erste Sample wartet man eineinhalb Monate. Und wir fertigen viele Prototypen an während sich die Idee langsam weiterentwickelt. Vom Gedanken zum Produkt dauert es extrem lange, daher gibt es kaum diese plötzlichen WOW-Erlebnisse, wenn man einen fertigen Teppich sieht.
In Ihrem Büro gibt es keinen Teppich. Warum nicht?
Hier drin mag ich es einfach und weiß.
Wie eine leere Leinwand?
Ja. Und ich sehe meine Teppiche gerne vertikal. Ich gehe nicht so gern darauf herum. Wir haben im Showroom viele aufgehängt. Aber bei der Arbeit will ich lieber keinen Teppich um mich haben.
Ja, aber der ist nicht von mir, sondern von zwei Designern, die mit uns zusammenarbeiten, Ronan und Erwan Bouroullec.
Wenn Sie sich jeden Ort der Welt als Arbeitsplatz aussuchen könnten: Wo wäre Ihr “Wunschbüro”?
Ich mag Sonne. Und ich liebe es, die Änderungen der Jahreszeiten in der Natur zu sehen. Ich hätte gerne ein Büro in Afrika. Die Natur ist dort sehr mächtig, instensives Grün und rote Erde.
Danke für das Gespräch.
Dieses Interview entstand anlässlich der "Orgatec 2012" (siehe KURIER Bericht) in Kooperation mit bene und ist auch in der Serie "Personalities" erschienen.
Die Geschichte des Unternehmens nanimarquina beginnt 1987 mit einer Handvoll Teppichen im Geometrie-affinen Stil der 80er Jahre. Die Designs stammen damals von Nani Marquina persönlich, ein Schwerpunkt liegt von Beginn auf der Erforschung von Rohstoffen und Produktionstechniken, nicht ausschließlich auf ästhetischen Gesichtspunkten. Das Unternehmen wächst, Kooperationen mit namhaften Designern entstehen - etwa mit Javier Mariscal, Ron Arad, Ana Mir, Emili Padrós und anderen.
Künstlerische Erfolge spiegeln sich jedoch nicht in wirtschaftlichen. In den 90er Jahren steht die Firma knapp vor einem Konkurs, erholt sich erst, als Nani Marquina die Produktion nach Nordindien verlegt. Die Rechnung geht auf: Heute zählt nanimarquina zu den Marktführern im Teppichgewerbe und stellt 80% der Produkte für den Export in 45 Länder her.
Künsterisch freut man sich über eine Reihe von Auszeichnungen, z.B. über den Red Dot Design Award für "Topissimo" (siehe Bildergalerie), sowie über Delta Awards für die Modelle "Cuks" und "Flying Carpet" (ebenda). Frau Marquina selbst blickt stolz auf eine nationale und eine internationale Auszeichnung als "Unternehmerin des Jahres".
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