Wissenschafterin des Jahres erforscht Mann-Frau-Unterschiede
Wie unterscheidet sich das Risiko für bestimmte Krankheiten bei Frau und Mann? Gibt es unterschiedliche Symptome? Wirken bestimmte Arzneimittel bei Frauen bzw. Männern anders? Sind auch die Nebenwirkungen andere? Antworten auf diese Fragen zu finden ist Ziel der geschlechtsspezifischen Medizin, der "Gender Medizin". Der "Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten" wählte die Gender-Medicine-Spezialistin Univ.-Prof. Alexandra Kautzky-Willer zur "Wissenschafterin des Jahres 2016".
"Beide Geschlechter im Auge"
Die Diabetologin Kautzky-Willer, 54, ist seit 1.1.2010 Professorin für Gender Medicine in Österreich - damals war das die erste derartige Professur in Österreich (seit 2014 gibt es auch an der MedUni Innsbruck einen Lehrstuhl für Gender Medicine). Sie gründete und leitet auch die "Gender Medicine Unit" an der MedUni Wien. Gleichzeitig ist sie Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen an der MedUni Wien. Mit der Auszeichnung "Wissenschafterin des Jahres" wird vor allem auch ihr Einsatz dafür gewürdigt, ihren Forschungsbereich einer breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen.
"Gender-Medizin hat immer beide Geschlechter im Auge", betont Kautzky-Willer. "Es geht um die optimale medizinische Versorgung von Mann und Frau."
"Die MedUni Wien verstärkt damit ihren Schwerpunkt bei geschlechtsspezifischer Medizin", hießt es 2010 in einer Aussendung der Uni anläßlich der Berufung von Kautzky-Willer. Seit damals sei "in der Forschung sehr viel weitergegangen. Fast täglich erscheinen neue wissenschaftliche Publikationen", sagt die Medizinerin heute.
Beispiel Diabetes
Eine zentrale Erkenntnis: Männer haben zwar ein grundsätzlich höheres Risiko, an Diabetes zu erkranken. Bei Frauen braucht es in der Regel mehr Risikofaktoren, bis sie Diabetes bekommen, und er tritt bei ihnen auch erst in höherem Alter auf: "Aber wenn sie ihn einmal haben, ist bei ihnen der Anstieg des Risikos für einen Schlaganfall oder Herzinfarkt viel höher."
Viele solcher Unterschiede seien heute bekannt. Probleme gebe es allerdings bei der Umsetzung der Ergebnisse in den medizinischen Alltag." Kautzky-Willer nennt ein plakatives Beispiel: "Man weiß schon lange, dass sich bei Frauen die Herzinfarkt-Symptome oft nicht so dramatisch äußern wie bei Männern und dass es länger dauert, bis sie im Herzkatheter-Labor die richtige Therapie - die Aufdehnung des verschlossenen Gefäßes - erhalten.
Und trotzdem zeigen jetzt ganz neue Untersuchungen, dass sich da nicht viel geändert hat, dass die Zeit von den ersten Symptomen bis zur richtigen Therapie noch immer länger ist."
Auswirkung auf Mutter-Kind-Pass
Mehrere der Erkenntnisse von Kautzky-Willer haben allerdings bereits Eingang gefunden in den medizinischen Alltag. Ein plakatives Beispiel: Eine Studie unter ihrer Leitung gab letztlich den Ausschlag dafür, dass im Mutter-Kind-Pass zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche ein "oraler Glukosetoleranztest" verankert ist.
Dabei trinkt die schwangere Frau rund einen Viertelliter Zuckerwasser. Vorher, eine und zwei Stunden danach wird der Blutzucker in einem Blutstropfen gemessen. Ist nur einer der drei Zuckerwerte erhöht, spricht man von Schwangerschaftsdiabetes. Rund jede fünfte Schwangere ist davon betroffen.
Alexandra Kautzky-Willer wurde am 18. April 1962 in Wien geboren. Ihr Mann Michael Kautzky ist HNO-Facharzt, ihr Sohn Alexander ist ebenfalls Mediziner. Die Top-Medizinerin wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, 2015 erhielt sie den Gabriele Possanner-Staatspreis für Geschlechterforschung.
Sie war auch wesentlich an der Etablierung des ersten Universitätslehrganges für Gendermedizin beteiligt.
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