Man warf einen Blick ins Hirn – und aufs Herz: Für Ersteres wurde die Elektroenzephalografie genutzt, um Hirnströme aufzuzeichnen. "An den Mustern, die sich dabei zeigen, lassen sich Erschöpfungszustände ablesen." Daten zur Herztätigkeit lieferte die Elektrokardiografie. "Wenn wir uns durch den Tag bewegen, verändern sich bei gesunden Menschen die zeitlichen Abstände zwischen den Herzschlägen, um die unterschiedlichen Versorgungsanforderungen des Körpers abzudecken – die Herzratenvariabilität steigt an." Ermüden Gehirn und Körper, verändert sich die Herzratenvariabilität.
Zur Datengewinnung stattete man Studierende mit Sensoren an Kopf und Brustkorb aus – und ließ sie einer 50-minütigen Vorlesung lauschen. Einerseits via Videocall, andererseits im Präsenz-Unterricht. "Wir haben eindeutig gesehen, dass die Menschen in der Videovorlesung schneller ermüdeten." Diese Daten deckten sich mit den Selbstauskünften der Probanden zu ihrem Energielevel. "In Summe ist das ein starker Beleg für die Videokonferenz-Fatigue – schon nach 50 Minuten."
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Trend zu Videokonferenzen hält an
Die Befunde haben angesichts der weltweit explodierenden Nutzerzahlen von Zoom, Microsoft Teams, Skype und Co. enorme Relevanz, betont Riedl. "Global gesehen nutzen Milliarden Menschen Videokonferenzen zur Kommunikation, da ist es wichtig, die Folgen zu kennen." Doch was genau zehrt derart an den Kräften, wenn man sich via Video austauscht? Auch das hat Riedl ergründet. Zum einen würden Videocalls immer eine gewisse Verzögerung in der Kommunikation mit sich bringen. Auch wenn die technische Übertragung des Gesagten nur den Bruchteil einer Sekunde ausmacht, reicht das aus, um automatisierte Hirnprozesse zu stören.
"Wir denken mehr darüber nach, was gerade passiert, betreiben einen höheren kognitiven Aufwand." Nonverbale Signale – Gestik und Mimik – werden über Bildschirme nicht vollumfänglich übertragen. Auch hier muss sich das Hirn bemühen, um fehlende Informationen aus anderen Signalen zu destillieren. "Wir sind einfach nicht für Videocalls gemacht“, bringt es Riedl auf den Punkt. Dass meist auch permanent das eigene Gesicht am Bildschirm prangt, strengt ebenso an. "Es ist unmöglich, nicht über sich nachzudenken, wenn man sich selbst gerade sieht."
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Videocalls – mehr Fluch als Segen? "Wir sagen nicht, dass man darauf verzichten sollte", stellt Riedl klar. Er plädiert für eine achtsame Nutzung: "Das Wichtigste ist, dass man die Sitzungen so kurz wie möglich hält." Auch regelmäßige Pausen – nach 30 Minuten – sind ratsam. Um die Ablenkung durchs eigene Gesicht einzudämmen, empfiehlt Riedl "die Videofunktion zu Beginn einzuschalten, das wirkt vertrauensfördernd, keinesfalls aber die ganze Zeit".
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