Ein neuer Vertreter einer Spezies muss unverwechselbar identifizierbar sein. Ob Menschen, Tiere, Bakterien oder Viren: Das Kind braucht also einen Namen. Bei Viren, erklärt Virologe Norbert Nowotny, sei dies im Grunde einfach. „Die Virus-Taxonomie basiert vor allem auf dem Erbgut eines Virus. Die Genetik ist eine relativ klare Sache, da von ihr die Eigenschaften des Virus abhängen. Alles liegt im Erbgut begründet.“
Festgelegt wird der Name eines neuen Virus offiziell vom „International Committee on Taxonomy of Viruses“ (ICTV), dem Nowotny seit mehr als zehn Jahren angehört. „Die unterschiedlichen Studiengruppen besprechen regelmäßig die Taxonomie neu aufgetauchter Viren und entscheiden dementsprechend“, beschreibt er das Prozedere.
Warum dennoch verschiedene Namenssysteme in Umlauf sind, erklärt der Experte mit den vielen Subvarianten, die klassifiziert werden. Laut ICTV-Benennungen werden aber nur Virus-Familie, Genus und Spezies (alle kursiv geschrieben, siehe Grafik) festgelegt. „Wenn wir über die Varianten (wie B.1.1.7. oder B.1.153, Anm.) sprechen, liegt das unterhalb der offiziellen Taxonomie.“ Um unverwechselbare Eigenschaften von neuen Virusvarianten zu benennen, behilft man sich daher mit provisorischen Bezeichnungen. Man greift etwa auf Linien, Stämme, Cluster und ähnliches zurück – allerdings unterliegen diese keinen eindeutigen Definitionen.
Spitznamen
Und da nutzen Forscher mitunter Spitznamen. „Nelly“ steht etwa für die Mutation N501Y in der britischen Virusvariante oder „Erik“ für E484K. Allgemein üblich sind diese aber nicht, erklärt Virologe Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM). Er verortet sie eher in der „angloamerikanischen Community. „Mein persönlicher Eindruck ist, dass diese Verballhornungen vor allem im Wissenschaftsjournalismus in diesen Ländern verwendet wird.“ Die Basis ist Virologen jedoch vertraut: „Buchstaben wie N, Y, E oder K geben jeweils die Aminosäure als Teil des Virus-Spikeproteins wieder, die durch die RNA-Mutation verändert wird.“
B.1.1.7 und B.135 leiten sich etwa von den evolutionären Beziehungen zwischen den SARS-CoV-2-Stämmen ab: Jedes aufeinander folgende Zeichen bezeichnet eine Untergruppe der vorhergehenden. Entwickelt hat das ein Team rund um Oliver Pybus, Evolutionsbiologe an der britischen Universität Oxford. In Spektrum begründet er diese Version damit, dass es bereits Namensschemata für all diese Abstammungslinien gebe.
Im Gegensatz dazu 501Y.V2 (auch B.1.351): Das Team der Universität KwaZulu-Natal in Durban benannte die von ihnen entdeckte „südafrikanische“ Variante nach der 501. Aminosäure des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 und einer Aminosäure namens Tyrosin, das biochemisch kurz als „Y“ bezeichnet wird. Der Name habe die Arbeit hunderter Forscher bündeln geholfen, die die verschiedensten Folgen der Mutation untersuchten, betonen die Forscher. Auch haben Präsident und Gesundheitsminister gewünscht, dass Südafrika nicht im Namen der Mutation aufscheine (siehe hier):
In der Virologie ging es nicht immer so nüchtern zu. Nowotny: „Viele Virennamen stammen noch aus einer Zeit, als man Bezug auf die Morphologie der Viren unter dem Elektronenmikroskop nahm.“ Coronaviren erinnern an eine Krone, Rotaviren ähneln einem Rad und Herpesviren haben ihren Namen von „herpein“ (altgriechisch für kriechen), da sie sich langsam von Zelle zu Zelle ausbreiten.
Namen nach ihrem Entdecker wird man bei Viren nicht finden. Das sei eine Vorliebe der Bakteriologen, sagt Nowotny. Das Darmbakterium Escherichia coli (E. coli) etwa geht auf den Kinderarzt Theodor Escherich zurück. Nowotny liegt die virologische Benennungsart naturgemäß näher. Weniger verspielt als andere Disziplinen seien Virologen deshalb aber nicht. „Wir halten uns eher an die Fakten. Das ist klarer.“ Nachsatz: „Aber vielleicht auch trockener.“
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