KURIER: Welche Lehren haben Sie aus den vergangenen zwei Jahren gezogen?
Klaus Zierer: Wir haben gesehen, was die Kinder motiviert, in die Schule zu gehen: Es war nicht der Unterricht, sondern die Gemeinschaft, die Gleichaltrigen. Alleine vor dem Rechner zu lernen, ist doch eine Katastrophe. Ich kenne keinen Hollywoodfilm, der mich für vier Stunden am Bildschirm fesselt. Wie soll eine Lehrerin das schaffen? Man sieht jetzt, dass Bildung ein sozialer Prozess ist, und die Gleichaltrigen der wichtigste Motor des Lernen sind. Wenn der weg bricht, bricht alles weg: Wir müssen die Kinder wieder zusammenführen. Wenn wir einmal verstanden haben, wie wichtig das Soziale ist und das ins Zentrum von Unterricht holen, kann es uns gelingen, selbst das langweiligste Fach spannend zu machen, eben weil wir gemeinsam uns etwas anschauen.
Es ist also einiges schief gelaufen?
Ja, leider haben wir in der Pandemie die Bildung überhaupt nicht in den Blick genommen – wohl wissend, dass sie entscheidend für die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft und die Wirtschaftskraft eines Landes ist. Man hätte die Chance nutzen können und sagen: Lasst und die Lehrpläne neu denken, Lerninhalte rausnehmen, die nicht wichtig sind, und alles neu gewichten.
Was bedeutet für Sie, Schule neu denken?
Wir reduzieren Bildung auf das Kognitive und vergessen, dass das Psychosoziale immer mitspielt. Ein Fehler. Wir sollten uns fragen: Wie können wir es schaffen, dass Kinder Räume und Zeiten für ihre psychosoziale Entwicklung haben? Wie können wir ihre körperliche Verfassung stärken? Da muss ich in verschiedenen Richtungen denken: Die Lehrpläne überarbeiten und die musischen Fächer nach vorne bringen – und Projektarbeit sowie erlebnispädagogische Maßnahmen ganz nach vorne rücken. Sobald es die Corona-Zahlen zugelassen haben, hätte man die Schüler auf Klassenfahrten schicken müssen. Die Kinder müssen raus in die Natur und gemeinsam etwas erleben. Stattdessen haben wir sie hinter die Schulbänke gequetscht und noch mehr Mathematik, Deutsch, Englisch gemacht.
Da gibt es viele Baustellen. Was würden Sie tun, wenn Sie Bildungsminister wären?
Zwei Punkte: Ich würde zuerst einen Bildungsrat einberufen, in dem nicht nur die Wissenschaft vertreten ist, sondern auch Eltern, Lehrpersonen, Jugendliche, Schulleitungen und die Bildungsverwaltung. Die Personen setzen sich regelmäßig zusammen und überlegen, wie es ums Schulsystem steht. Die vielfältigen Perspektiven sind wichtig, wie ich aus eigener Erfahrung weiß – ich bin nicht nur Wissenschafter und Lehrer, sondern auch dreifacher Vater.
Und der zweite Punkt?
Aus unseren Studien wissen wir, wie zentral die Lehrperson für ein Schulsystem ist. Deshalb schlage ich eine Koalition der besten Lehrpersonen des Landes vor. An die könnte der Bildungsrat Fragen stellen und von ihnen Leitsätze entwickeln lassen, etwa wie guter Distanzunterricht funktioniert. Diese Lehrer könnten – unterstützt von Universitäten – auch evaluieren, was in der Krise gut und schlecht lief. Derzeit haben wir nur halbseidene Leistungserhebungen, aber tiefer gehende Fragen wurden nicht beantwortet, etwa: Was hat an Kommunikation stattgefunden, wie gut funktioniert die Digitalisierung, wie geht es migrantischen Kindern, was ist mit der Inklusion passiert?
Wie soll die Arbeit dieser Lehrerkoalition aussehen?
Sie sollte Netzwerke bilden und eine gemeinsame Schulentwicklung in einer Region anregen, sodass ein Austausch über die Schulen hinweg stattfindet. Das führt dazu, dass nicht das Glück entscheidet, ob ein Kind in eine gute Schule geht oder nicht. Das wäre ein wesentlicher Unterschied zur jetzigen Situation. Da läuft Schulentwicklung im Kern so, dass ein Kollege sich für etwas interessiert, eine Fortbildung macht, und man schaut, was passiert.
Da braucht es die Unterstützung der Direktionen – hier spielt die Parteipolitik eine große Rolle. Auf der anderen Seite wollen immer weniger diese Aufgabe übernehmen.
Das ist ein generelles Problem in der Bildungspolitik: Sie wird meistens als Parteipolitik gesehen und nicht zum Wohle der Kinder. Sobald die Farbe im Ministerium wechselt, wird alles bei Seite geschoben, was der andere gemacht hat, auch wenn es gut war. Ein Beispiel wie man es anders machen kann, ist das deutsche Bundesland Mecklenburg-Vorpommer, wo einst der Bildungsminister einen zehnjährigen Schulfrieden ausgerufen hat: Man wird die nächsten zehn Jahre nicht über das System diskutieren und stattdessen versuchen, die Qualität nach vorne zu bringen. Ein richtiger Ansatz. Die Parteipolitik muss raus aus der Schule, es geht um die Bildung der Kinder.
Um die Lerndefizite auszugleichen, schlagen Sie Sommerschulen vor. Wie müssten die aussehen, dass sie allen Kindern etwas bringen?
Sommerschulen sind besonders gut erforscht, weil es die in den USA schon lange gibt. Ein zentrales Ergebnis der Forschung ist: Sommerschulen dürfen KEINE Verlängerung der normalen Schulzeit sein, wo man die kognitive Lernleistung in den Mittelpunkt stellt. Man muss vielmehr das Miteinander und die körperliche Verfassung der Kinder in den Blick nehmen. Phasen des Lernens, des Sports und der Gemeinschaft sollten rhythmisiert werden. Gleichzeitig muss vieles auf den einzelnen Schüler fokussiert sein.
Die viel gepriesene Individualisierung.
Ja, damit diese erfolgreich ist, brauchen wir klare Diagnosen für jedes Kind. Wo sind seine Stärken und Schwächen? Wenn wir das wissen, können wir intensiv auf jeden Schüler eingehen. Bei uns in Augsburg haben wir digitale Diagnosetools entwickelt, die Defizite im Wissen, in der psychischen und der körperlichen Entwicklung identifizieren. Auf dieser Basis wird dann in Kleingruppen mit vier bis fünf Kindern gelernt.
Warum in Kleingruppen? Es heißt doch immer, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Klassengröße und Schulerfolg.
Die Reduzierung der Klassen macht im Regelbetrieb meist keinen großen Effekt, weil die Lehrpersonen genau so unterrichtet wie zuvor. Wenn wir aber gleichzeitig der Lehrperson klar machen, wie sie in der Kleingruppe didaktisch und methodisch anders arbeiten kann, kann das den Unterricht verändern.
Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg ist es, dass die Lernfreude bei den Kindern entfacht wird. Kann das eine Lehrkraft leisten?
Es gibt sicherlich hinderliche und förderliche Umstände. Eine Reihe von Situationen nimmt aktuell diese Freude. Wenn ich im kognitiven Bereich nur mit Druck arbeite und gleichzeitig den musischen und sozialen Bereich coronabedingt ausklammere, wenn ich Schulen wie Spitäler führe und nicht als pädagogische Lebensräume, dann ist die Freude schnell dahin.
Dennoch kann ein Pädagoge die Lernfreude fördern.
Ja, wir kennen die fünf Punkte im Kontext der Freude: Der erste ist der Bereich der Gefühle: Wir müssen die Schule auch als emotionalen Raum sehen. Eines der fragwürdigsten Erlebnisse in der Pandemie war, dass keines meiner drei Kinder je gefragt wurde, wie es ihnen geht. Die kommen nach dem Lockdown zurück und das erste, was sie hören: Nächste Woche ist Schularbeit.
Mit dem Gefühl verbunden ist der zweite Punkte: den Kindern aufzeigen, warum sie bestimmte Sachen können müssen. Wenn das Kind darauf keine Antwort hat, ist das Bulimielernen. Diese Bedeutung aufzuzeigen, ist ganz wichtig. Das gehört zur Professionalität des Lehrberufs.
Blieben noch drei Punkte.
Ja, Gestaltung und Gelingen: Dass Schule im Modus der Passivität ist, hat in Pandemiezeiten zugenommen – die Schülerinnen und Schüler hören zu, was die Lehrperson sagt. Wenn wir es schaffen, die Kinder ins Miteinander und in die Aktivität zu bringen, erzeugt das positive Emotionen. Und das ist der fünfte Punkt, über den wir schon gesprochen haben: Gemeinschaft. Bildung ist ein sozialer Prozess und Freude vermehrt sich, wenn man sie teilt. Konkret müssen wir gerade nach der Pandemie zusehen, das wir Feste und Feiern wieder in die Schulen bringen.
die Unterstützung der Direktionen – hier spielt die Parteipolitik eine große Rolle. Auf der anderen Seite wollen immer weniger diese Aufgabe übernehmen.
Das ist ein generelles Problem in der Bildungspolitik: Sie wird meistens als Parteipolitik gesehen und nicht zum Wohle der Kinder. Sobald die Farbe im Ministerium wechselt, wird alles bei Seite geschoben, was der andere gemacht hat, auch wenn es gut war. Ein Beispiel wie man es anders machen kann, ist das deutsche Bundesland Mecklenburg-Vorpommer, wo einst der Bildungsminister einen zehnjährigen Schulfrieden ausgerufen hat: Man wird die nächsten zehn Jahre nicht über das System diskutieren und stattdessen versuchen, die Qualität nach vorne zu bringen. Ein richtiger Ansatz. Die Parteipolitik muss raus aus der Schule, es geht um die Bildung der Kinder.
Um die Lerndefizite auszugleichen, schlagen Sie Sommerschulen vor. Wie müssten die aussehen, dass sie allen Kindern etwas bringen?
Sommerschulen sind besonders gut erforscht, weil es die in den USA schon lange gibt. Ein zentrales Ergebnis der Forschung ist: Sommerschulen dürfen KEINE Verlängerung der normalen Schulzeit sein, wo man die kognitive Lernleistung in den Mittelpunkt stellt. Man muss vielmehr das Miteinander und die körperliche Verfassung der Kinder in den Blick nehmen. Phasen des Lernens, des Sports und der Gemeinschaft sollten rhythmisiert werden. Gleichzeitig muss vieles auf den einzelnen Schüler fokussiert sein.
Die viel gepriesene Individualisierung.
Ja, damit diese erfolgreich ist, brauchen wir klare Diagnosen für jedes Kind. Wo sind seine Stärken und Schwächen? Wenn wir das wissen, können wir intensiv auf jeden Schüler eingehen. Bei uns in Augsburg haben wir digitale Diagnosetools entwickelt, die Defizite im Wissen, in der psychischen und der körperlichen Entwicklung identifizieren. Auf dieser Basis wird dann in Kleingruppen mit vier bis fünf Kindern gelernt.
Warum in Kleingruppen? Es heißt doch immer, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Klassengröße und Schulerfolg.
Die Reduzierung der Klassen macht im Regelbetrieb meist keinen großen Effekt, weil die Lehrpersonen genau so unterrichtet wie zuvor. Wenn wir aber gleichzeitig der Lehrperson klar machen, wie sie in der Kleingruppe didaktisch und methodisch anders arbeiten kann, kann das den Unterricht verändern.
Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg ist es, dass die Lernfreude bei den Kindern entfacht wird. Kann das eine Lehrkraft leisten?
Es gibt sicherlich hinderliche und förderliche Umstände. Eine Reihe von Situationen nimmt aktuell diese Freude. Wenn ich im kognitiven Bereich nur mit Druck arbeite und gleichzeitig den musischen und sozialen Bereich coronabedingt ausklammere, wenn ich Schulen wie Spitäler führe und nicht als pädagogische Lebensräume, dann ist die Freude schnell dahin.
Dennoch kann ein Pädagoge die Lernfreude fördern.
Ja, wir kennen die fünf Punkte im Kontext der Freude: Der erste ist der Bereich der Gefühle: Wir müssen die Schule auch als emotionalen Raum sehen. Eines der fragwürdigsten Erlebnisse in der Pandemie war, dass keines meiner drei Kinder je gefragt wurde, wie es ihnen geht. Die kommen nach dem Lockdown zurück und das erste, was sie hören: Nächste Woche ist Schularbeit.
Mit dem Gefühl verbunden ist der zweite Punkte: den Kindern aufzeigen, warum sie bestimmte Sachen können müssen. Wenn das Kind darauf keine Antwort hat, ist das Bulimielernen. Diese Bedeutung aufzuzeigen, ist ganz wichtig. Das gehört zur Professionalität des Lehrberufs.
Blieben noch drei Punkte.
Ja, Gestaltung und Gelingen: Dass Schule im Modus der Passivität ist, hat in Pandemiezeiten zugenommen – die Schülerinnen und Schüler hören zu, was die Lehrperson sagt. Wenn wir es schaffen, die Kinder ins Miteinander und in die Aktivität zu bringen, erzeugt das positive Emotionen. Und das ist der fünfte Punkt, über den wir schon gesprochen haben: Gemeinschaft. Bildung ist ein sozialer Prozess und Freude vermehrt sich, wenn man sie teilt. Konkret müssen wir gerade nach der Pandemie zusehen, Feste und Feiern wieder in die Schulen zu bringen.
Kommentare