Warum manche Stechmücken das Stadtleben lieben

Nur Weibchen saugen Blut.
Haus-Gelsen nützen jede Lacke, Unterschlupf und das günstige Klima im urbanen Bereich. Der Herbst wird blutig.

Ein schlanker Körper, lange, dünne Beine und ein Mundwerk, das sich sehen lassen kann. „Zum Teil sind sie wunderschön“, schwärmt Carina Zittra – über Gelsen. Der Biologin am Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Uni Wien geht es tatsächlich um Äußerlichkeiten: Sie kann erwachsene Stechmücken unter anderem anhand der filigranen Beschuppung bestimmen.

Nur 50 der weltweit 3500 Arten sirren in Österreich, zehn mehr als 2005. Wer genau hinschaut, entdeckt Unterschiede. Ein paar Neue kommen immer wieder über Reiserouten, Transportwege oder mit Glücksbambus ins Land. Die Gruppe der Haus-Gelsen findet aufgrund der starken Regenfälle gerade in der Stadt perfekte Bedingungen für eine massenhafte Vermehrung.

Haus-Gelsen im urbanen Gebiet

Stechmücken leben belegt seit rund 80 Millionen Jahren auf der Erde; ausreichend Zeit, um sich an unterschiedlichste Lebensräume anzupassen. „Die Stadt und ländliche Siedlungsgebiete bieten viel für Gelsen an“, sagt der Ökologe Bernhard Seidel. Die Insekten, die es auf bis zu 2,5 Flugkilometer pro Stunde bringen, steuern die kleinsten Wasserstellen an. Im urbanen Bereich werden sie eher fündig als „in der Natur draußen“. Ob Vogeltränke, Friedhofsvase, Sandspielzeug oder Untersetzer für den Blumentopf – jede Lacke eignet sich zur Ei-Ablage. Dazu kommt, dass „die Stadt den Klimawandel vorwegnimmt“, sagt Seidel. Die Temperaturen beschleunigen die Entwicklung vom schwimmenden Schiffchen über die Larve und die Puppe zum Imago. In zwei bis drei Wochen geht sich eine Generation aus. Im Winter finden die Weibchen Unterschlupf in Dachböden, Kellern oder Schuppen. Kälte und Frost sind für die Kulturfolger hier keine Bedrohung. Nahrung gibt es im Überfluss.

Überschwemmungs-Gelsen je nach Hochwasser

„Bei den Überschwemmungs-Gelsen überwintern die Eier im feuchten Boden“, grenzt Zittra die Arten ab, die in ihrer Entwicklung auf Hochwasser angewiesen sind. Nährstoffe aus dem Wasser setzen den Schlupf der Larven in Gang. Sechs Wochen später ist der Spuk vorbei. Davor saugen die Weibchen, die Blut für die Brut brauchen, an Amphibien, Wild – und am Menschen.

„Im Vorjahr gab es Hochwasser an der Donau. Da waren verschiedenste Arten lästig unterwegs“, erinnert sich Seidel: „Jetzt vermehren sich Gelsen landesweit extrem, wo der Mensch nicht Ziel der Begierde ist.“ Noch nicht. Der Experte prognostiziert bis September mindestens fünf weitere Generationen an Haus-Gelsen.

15 Millarden Tierchen

„Zu Beginn dieses Jahres war es generell sehr trocken. Beim Monitoring wurden viel weniger Mücken gefangen als in den Vorjahren“, weiß Zittra. Doch: „Das Wetter jetzt hat einen Anstieg vor allem bei den Haus-Gelsen bedingt.“ Ein Weibchen sorgt im Schnitt für 150 Nachfahren; ergibt bis Saisonende summa summarum 15 Milliarden Tierchen.

Nützlich im Ökosystem

„Das Massenaufkommen ist auch nützlich“, sagt die Expertin. Mücken erfüllen im Ökosystem wichtige Aufgaben. Sie sind ein wesentliches Glied in der Nahrungskette. Selbst Nektar- und Pflanzensaftfresser sättigen sie, zu Wasser z. B. Fische und Frösche, zu Land Vögel, Libellen und Fledermäuse. Darüber hinaus tragen sie als diffuse Bestäuber zur ökologischen Vielfalt bei.

Mensch wird im Herbst vermehrt zum Wirt

Den Wirt Mensch freilich freuen die durstigen Überflieger weniger. Vor allem Städter werden sie „im Herbst deutlich zu spüren bekommen“, sagt Seidel voraus. Dann verirren sich die Zweiflügler nicht mehr in Häuser, sie suchen den Schutz für die kalte Jahreszeit vielmehr gezielt auf.

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