Vielmehr sei der Satz "Das triggert mich" im Sinne von "Das regt mich auf" in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen: "Aufkommende Gefühle des Frustes oder ein Ärgernis sollten aber am besten als solche benannt werden."
Statt von einem Trigger zu reden, könne man auch schlicht von Erinnerungen sprechen – "das können schöne, aber auch schmerzhafte sein".
Leichtfertiger Umgang mit psychologischen Fachbegriffen
Inzwischen fast omnipräsent ist auch der Begriff "Trauma". Davon, mit diesen Begrifflichkeiten prägenden Erlebnissen in der Biografie Bedeutsamkeit zu verleihen, rät Haid ab. "Nicht jede Erschütterung im Leben ist ein Trauma. Viele Erfahrungen mögen traurig oder dramatisch sein, ein gebrochenes Herz, der Verlust eines geliebten Menschen, ein Scheitern. Solche Krisen können einem den Boden unter den Füßen wegreißen und lange nachwirken, aber traumatisch müssen sie nicht sein."
Woher kommt der Trend zur Pop-Psychologie, wie die laienhafte Verwendung solcher Termini oft genannt wird, eigentlich? Die Wurzeln des Phänomens verortet Psychotherapeutin Haid in einem gesteigerten Bewusstsein dafür, "dass neben körperlichen auch psychische Leiden existieren". Dass – nicht zuletzt durch die seelisch strapaziöse Corona-Pandemie – inzwischen mehr über psychische Gesundheit gesprochen wird, sei "begrüßenswert". Auch prominente Persönlichkeiten finden immer öfter offene Worte für ihre Krisen. "Das trägt zur Entstigmatisierung psychischer Probleme bei."
Dass dieser Tabubruch eben auch seltsame Blüten treibt, sieht Haid kritisch. "Wenn jemand in ein Stimmungstief rutscht, zwischenzeitlich nicht so lebensfroh oder lustlos ist, und dann davon spricht, dass er 'depri' sei, verharmlost das Symptome, unter denen Menschen mit Depressionen leiden. Diese Bagatellisierung wird Betroffenen nicht gerecht."
Ernsthaftes Leid wird bagatellisiert
Gefährlich wird es, wenn Diagnosen zur Abwertung anderer missbraucht werden. Dass Wörter wie "schizo" als flapsiger Ausdruck im Jugendsprech angekommen sind, sei problematisch, sagt Haid. "Wenn solche Störungsbegriffe benutzt werden, um andere wegen ihres womöglich auffälligen oder unangepassten Verhaltens auszugrenzen, wird eine rote Linie überschritten." Bei einer Schizophrenie handle es sich um eine schwere psychiatrische Erkrankung mit großem Leidensdruck.
"Gleichzeitig ist jemand, der egozentrisch aufritt, womöglich nicht sonderlich sympathisch oder sogar kränkend, aber deswegen noch lange kein Narzisst. Hier sollte unsere Alltagssprache präziser werden." Tatsächlich liegt der Prozentsatz an Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung im einstelligen Prozentbereich. Stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein oder Egoismus fallen unter Persönlichkeitseigenschaften, wie Geselligkeit, Ordentlichkeit, Schüchternheit oder Intelligenz auch. "Wir alle besitzen diese Eigenschaften in irgendeiner Ausprägung."
Auch mit der Diagnose ADHS wird im Netz sehr beliebig umgegangen. Leiche Konzentrationsprobleme, eine gewisse Fahrig- oder Vergesslichkeit reichen oft aus, um sich als vermeintlich Betroffener zu inszenieren. "Dabei braucht es eine umfangreiche Diagnostik, um ADHS feststellen zu können", mahnt Haid, die Aufklärung befürwortet, die Phologisierung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale aber mit Skepsis beäugt. "Das kann weite Kreise ziehen und Eltern aufgeweckter Kinder unnötig unter Druck setzen." Dass gerade ADHS auf Social Media als Schlagwort derart boomt, findet Haid, die auch Bildungswissenschafterin ist, übrigens paradox: "Wissenschaftlich belegt ist nämlich, dass gerade enorme Bildschirmzeiten Unruhe und permanente Erregungszustände fördern."
Der Psyche mit angemessener Sprache zu begegnen, sei laut Haid jedenfalls lohnenswert: "Wir können Kummer, Schmerz, Frust und Verzweiflung empfinden – und es lohnt sich, diese Emotionen bewusst so zu benennen."
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