Künftig haben wir um ein Drittel weniger Verwandte

Künftig haben wir um ein Drittel weniger Verwandte
Wenn die Zahl der Verwandten abnimmt, hat das Auswirkungen auf die Struktur von Familien und letztendlich auch auf die Gesellschaft.

Die Zahl der Cousins und Cousinen, Nichten, Neffen und Enkelkinder wird stark abnehmen, während die Zahl der Urgroßeltern und Großeltern deutlich zunehmen wird. 1950 hatte eine 65-jährige Frau im Durchschnitt 41 lebende Verwandte. Im Jahr 2095 wird eine gleichaltrige Frau im Durchschnitt nur noch 25 lebende Verwandte haben. Das ergab eine aktuelle internationale demografische Studie, die die Entwicklung der menschlichen Verwandtschaftsbeziehungen weltweit prognostiziert und im Fachjournal PNAS veröffentlicht wurde.

"Wir haben uns gefragt, wie sich der demografische Wandel auf die Verfügbarkeit der Verwandtschaft in der Zukunft auswirken wird", erklärt Diego Alburez-Gutierrez, der die Forschungsgruppe Ungleichheiten in Verwandtschaftsbeziehungen am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock leitet. "Wie sahen Größe, Struktur und Altersverteilung der Familien in der Vergangenheit aus und wie werden sie sich in Zukunft entwickeln?" 

Verwandtschaftsverläufe in verschiedenen Ländern analysiert

Für die Studie haben die Forscher historische und prognostizierte Daten aus der 2022 Revision der World Population Prospects der Vereinten Nationen ausgewertet. "Wir verwenden mathematische Modelle, um die Beziehung zwischen einer Person, ihren Vorfahren und ihren Nachkommen über einen bestimmten Zeitraum darzustellen. Das Modell liefert durchschnittliche Alters- und Geschlechtsverteilungen für verschiedene Arten von Verwandtschaft für jedes Kalenderjahr", sagt Alburez-Gutierrez. Für jedes Land wurden 1.000 Verwandtschaftsverläufe berechnet.

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Familien werden kleiner - der Landesvergleich

Die Forscher dokumentierten weltweit Unterschiede in der Familiengröße, die sie als Anzahl der lebenden Urgroßeltern, Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel und Urenkel, Tanten und Onkel, Nichten und Neffen, Geschwister und Cousins definierten. "Wir erwarten, dass die Gesamtzahl der Familien in allen Regionen der Welt dauerhaft abnehmen wird. Den größten Rückgang erwarten wir in Südamerika und der Karibik", sagt Alburez-Gutierrez. 

Dort hatte 1950 eine 65-jährige Frau im Durchschnitt 56 lebende Verwandte. Im Jahr 2095 werden es voraussichtlich nur noch 18,3 Verwandte sein - ein Rückgang um 67 Prozent. In Nordamerika und Europa, wo die Familien schon heute vergleichsweise klein sind, werden die Veränderungen weniger ausgeprägt sein. Hier hatte eine Frau im Alter von 65 Jahren im Jahr 1950 etwa 25 lebende Verwandte, im Jahr 2095 werden es nur noch 15,9 sein. 

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Die weltweiten Familiengrößen werden sich bis 2095 angleichen. Während 1950 der Unterschied zwischen dem Land mit der höchsten Familiengröße (Simbabwe) und dem Land mit der niedrigsten Familiengröße (Italien) 63 betrug, wird dieser Unterschied 2095 nur noch 11 betragen.

(Ur-)Großeltern könnten bei der Kinderbetreuung entlasten - wenn sie nicht selbst pflegebedürftig werden

Vorhersagen über die Verwandtschaftsverhältnisse sind im Zusammenhang mit der raschen Alterung der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung, da kleinere Geburtskohorten zunehmend für ältere Erwachsene aufkommen müssen, die weniger oder keine Verwandten haben. "Unsere Ergebnisse bestätigen, dass die Verfügbarkeit verwandtschaftlicher Ressourcen weltweit abnimmt." 

Da der Altersunterschied zwischen den Menschen und ihren Verwandten zunimmt, werden die Familiennetzwerke der Menschen nicht nur kleiner, sondern auch älter. "Nehmen wir den Fall der Großeltern und Urgroßeltern, die in Zukunft durch die strukturellen Veränderungen in Familien wahrscheinlich in größerer Zahl zur Verfügung stehen werden. Während dies theoretisch dazu beitragen könnte, die Eltern bei der Kinderbetreuung zu entlasten, könnten diese (Ur-)Großeltern in der Realität selbst pflegebedürftig werden."

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Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit, in soziale Unterstützungssysteme zu investieren, die das Wohlergehen der Menschen in allen Lebensphasen gewährleisten. Ein großer Teil der Weltbevölkerung hat derzeit keinen Zugang zu hoch entwickelten sozialen Unterstützungssystemen. Für sie sind familiäre Bindungen nach wie vor eine wichtige Quelle der Unterstützung und informellen Pflege, und dies wird wahrscheinlich auch in Zukunft so bleiben. 

„Diese seismischen Verschiebungen in der Familienstruktur werden wichtige gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringen, die von politischen Entscheidungsträgern im globalen Norden und Süden berücksichtigt werden sollten", sagt Alburez-Gutierrez.

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