Stimme der Erde: Eine immerwährende Klangkulisse
„Ein Fels ist zu Stein gewordene Musik“, diese Worte soll Pythagoras vor über 2.500 Jahren gesagt haben. Heute messen Geologen diese Musik, die von der Erde unaufhörlich produziert wird. Denn alles was schwingt, klingt und die Erde ist in ständiger Bewegung.
Der Grund dafür liegt zum einen an äußeren Kräften, wie etwa den Gezeiten. Zum anderen an schlagartig auftretenden Ereignissen, wie etwa Erdbeben, Vulkanausbrüchen oder Stürmen. Völlig ruhig ist es nie, denn die Kontinentalplatten heben und senken den Erdboden im Minutentakt um wenige zehntausendstel Millimeter.
Das Ergebnis ist ein irdisches Brummen in Form von seismischen Wellen, die sich permanent über den gesamten Planeten ausbreiten. Für den Menschen ist das nicht wahrnehmbar. Denn die Vibration des Planeten bewegt sich im Millihertzbereich. Das menschliche Hörvermögen startet jedoch erst bei etwa 20 Hertz. Das heißt, die Erde müsste ihre Frequenz um ein Vielfaches erhöhen, um für den Menschen hörbar zu sein. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, das mikroseismische Rauschen in wahrnehmbare Klänge zu verwandeln.
Die Erde hören
Der Seismologe Stefan Mertl hat im Jahr 2012 in Grönland den Klang der Erde aufgenommen. Im Rahmen des Forschungsprojekts GlacioBurst beobachtete er mit Kollegen einen Gletscherseeausbruch und begab sich in ein 1 bis 2 Meter tiefes Schneeloch. Mit einem Mal hörte er gar nichts mehr. Kein Wind, kein Wasser, keine vom Menschen erzeugten Geräusche. Nichts. „Als Seismologe wusste ich, dass das Eis unter mir voll von akustischen Wellen war und ich fragte mich, welche Geräuschkulisse diese seismischen Wellen erzeugen würden.“ Mit einem Aufnahmenetzwerk bestehend aus fünf Seismographen zeichnete er durchgehend sechs Monate lang auf.
Um die Seismogramme später hörbar zu machen, transponierte er die tiefen, langsamen Schwingungen um fünf Oktaven nach oben. Dadurch wurden die für den Menschen lautlosen Frequenzen hörbar. Je höher die Frequenz, desto höher der Ton. „Für mich sind das weiche Töne, ruhig und langsam. Einzelereignisse wie Erdbeben sind verwischt.“
Den Ton beschleunigen
Seismische Aufzeichnungen gibt es seit 1895. Die irdische Eigenschwingung wurde erstmals am 22. Mai 1960 gemessen. Damals bebte die Erde in Chile in nie da gewesener Stärke, mit einer Magnitude von 9,5. Der Beginn einer neuen Forschungsrichtung, der Seismologie, war begründet. Zunächst dachten die Wissenschaftler, dass die Erde nur im Fall eines Erdbebens oder Vulkanausbruchs brummt. Vierzig Jahre später, im Jahr 1998, wurde erstmals nachgewiesen, dass die Erde ständig tönt.
Heute umspannt ein globales Netzwerk von seismischen, atmosphärischen und ozeanischen Sensoren den Globus, und zeichnet die geophysikalischen Schwingungen rund um die Uhr auf. In Österreich liefert die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) ihre Daten an alle Weltdatenzentren, von wo aus Forscher und Interessierte Zugriff auf diesen lautlosen Akustikschatz haben.
Der amerikanische Seismologe JT Bullitt nutzt dieses offene Datennetzwerk und verwandelt die Seismogramme in hörbare Phänomene. So kann man etwa dem Tohoku Erdbeben in Japan aus dem Jahr 2011 lauschen, das eine Magnitude von 9 hatte. Bullitt wählt die Methode des „beschleunigten Abspielens“, um den Klang der Erde zu erfassen. „Im Prinzip ist es das gleiche wie ein Kassettenrekorder, bei dem ich auf fast forward drücke“, erklärt Mertl. Die Zeit wird komprimiert und so verkürzt sich eine zweitägige Aufnahme zu einem 6-minütigen Soundfile.
Ein scharfer Knall kennzeichnet den Beginn des damaligen Bebens bei Sekunde sieben. Wobei gesagt werden muss, dass die Mess-Station in Australien stationiert war. Erst vier Stunden später bei Minute 1:40 in der Aufnahme, landet die erste seismische Welle in Australien und macht sich durch ein Donnern bemerkbar. „Durch die Beschleunigung des Klangs verliert man allerdings die zeitliche Komponente. Ein Erdbeben ist ein langes Ereignis, das so auf wenige Sekunden reduziert wird. Es ist dramatischer", erklärt Mertl.
Im September macht der KURIER den tiefsten Punkt Österreichs mittels der beschleunigten Abspielmethode hörbar. Beim Projekt Tiefenrausch wird im Traunsee erstmals seismisch aufgezeichnet. Im September geht es mit einem U-Boot 191 Meter in die Tiefe - und zwar live. Gemeinsam mit der ZAMG und dem österreichischen Bundesheer wird mit Hydrophonen und Seismographen erstmals an der tiefsten Stelle Österreichs der Klang der Erde aufgezeichnet. Erste Impressionen zu diesem spektakulären Event können unter www.kurier.at/Tiefenrausch gewonnen werden.
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