Die Geschichte der Sommerferien: Als freie Zeit zu haben noch ein Privileg war

Die Geschichte der Sommerferien:  Als freie Zeit zu haben noch ein Privileg war
Bis vor 100 Jahren waren Ferien „Arbeitsurlaube“ und hießen „erntefrei“. Schonzeiten wurden erst eingeführt, als viele erschöpfte Burschen für den Militärdienst nicht mehr tauglich waren.

„Je mehr schulfrei, desto mehr Arbeit!" (Siegmund Kraus, Blindenlehrer an einer Wiener Schule, 1902)

Früher hatten es Lehrer auch nicht leicht: Müde und ausgelaugt seien die Kinder, sofern sie überhaupt in die Schule kämen, klagten sie. Wenn es ans „Säen, Ernten und Dreschen ging, standen die Dorflehrer im Sommer vor leeren Klassen“, berichtet die Historikerin Waltraud Schütz von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In Deutschland hießen diese „Arbeitsurlaube“ Kartoffelferien, Heuferien und Getreideferien, je nachdem, was gerade reif war.

 In Österreich nannte man diese Tage erntefrei oder Ernteferien.

von Waltraud Schütz

Historikerin, ÖAW

Drei Wochen lang durften die Kinder im 18. Jahrhundert zur Zeit der Sommerschule (siehe Grafik unten) dem Unterricht offizielle fernbleiben. De facto „schwänzten“ sie aber viel länger. Schütz: „Kinder mussten ab sechs Jahren – also, wenn die Schulpflicht für sie eigentlich begann – in der Landwirtschaft mitarbeiten.“

Ferien wie wir sie heute kennen? Fehlanzeige!

Die Ferienregelung wurde an die Erntezeiten angepasst. Wobei den Pädagogen bereits im 19. Jahrhundert klar war, dass mehr Schul-Freizeit für die Kinder, die zum Familieneinkommen beitragen mussten, mehr Arbeit bedeutete. Von Erholung also keine Rede. Das entsprach dem Zeitgeist, weiß die Historikerin: „Kinder sollten nie unbeschäftigt sein. Die Idee dahinter: Arbeit schafft Moral.“

Ferien als junges Phänomen

Seit Kaiser Joseph II. 1786 die Kinderarbeit in Fabriken gesetzlich gestattet hatte, wurde die Lage für Buben und Mädchen noch schlimmer. So klagte der Dechant von Klosterneuburg, Hieronimus Österreicher, 1839 über Kinder, die in Druckereien arbeiteten: „Den Körper derselben anlangend, so werden diese Kinder gänzlich vernachlässigt.“ Bis zu 16 Stunden rackerten die Kleinen – etwa in einer der großen Baumwollspinnereien des Industrieviertels. Unterricht gab es – wenn überhaupt – am Abend.

„Man hat viel Rücksicht auf die Industrie genommen. Bis in die 1880er-Jahre herrschte hierzulande die Ansicht, dass sie ganz stark leiden würde, dürften Kinder nicht arbeiten. Daher wurden trotz Unterrichtspflicht immer beide Augen zugedrückt. Wirklich freie Zeit zu haben, war ein Privileg, das nur wenige genossen“, sagt Schütz. Und weiter: „Ferien zur Erholung sind ein junges Phänomen.“

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Sommerferien, wie wir sie heute kennen, wurden erst 1875 eingeführt. Und unterlaufen, bis die Kinderarbeit verboten wurde. 1842 war zwar bereits ein diesbezügliches „Hofkanzleidekret“ erlassen worden, die Maßnahmen zur Durchführung wurden aber „vergessen“. Schütz: „Die Fabrikbesitzer verstanden es geschickt, Schutzgesetze zu verhindern und massiv zu verzögern.“

Als spät, aber doch, Kinderschutz und Ferien in der breiten Bevölkerung ankamen, war das weniger dem sozialen Gewissen geschuldet, als vielmehr der Erkenntnis, dass die schwere Arbeit die körperliche Entwicklung der Jungen oft so stark beeinträchtigte, dass sie für den Militärdienst nicht mehr tauglich waren.

Der Kaiser brauchte gesunde Soldaten und daher gesunde Kinder.

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