Sie blockieren Straßen, beschütten Gemälde mit Suppe und kleben sich am Rollfeld eines Flughafens fest – die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" haben es geschafft, mit ihren Aktionen in aller Munde zu sein. Vor allem Straßenblockaden nahmen zu, nach Angaben der Organisation waren es in Summe bisher rund 400 Aktionen, mit denen sie auf den "Klimanotfall" aufmerksam machen wollen. Dass sie sich dabei meist festkleben, brachte ihnen die Bezeichnung "Klimakleber" ein.
Neue Proteste angekündigt
Nach einer fünftägigen "Welle" Mitte Jänner wollen Aktivistinnen und Aktivisten rund um die „Letzte Generation“ ab 13. Februar erneut mehrere Tage hindurch den Frühverkehr in Wien möglichst stark stören, indem sie sich auf Fahrbahnen kleben. Die Aktionen im Jänner sorgten nicht nur für viel Kritik seitens der Politik, 52 Festnahmen und mehr als 200 Anzeigen, sondern offenbar auch für regen Zuspruch für die "Letzte Generation". "Über 300 Menschen haben unser Kontakt-Formular ausgefüllt, 70 bis 80 davon sind sogar bereit, sich auf die Straße zu kleben", sagte ein Sprecher gegenüber der APA.
Ihre Forderungen, etwa Tempo 100 auf der Autobahn oder ein Fracking-Verbot, beruhen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel. Diese sind nicht neu, dennoch gelang es der Wissenschaft bisher nicht, Politik und Bürger in vielen Lebensbereichen zum Umdenken und Handeln zu bewegen. Politisch vereinbarte Klimaziele wurden nicht umgesetzt.
Der KURIER fragte bei Klimaexperten nach, warum das so ist, wie sie zu den Aktionen stehen und ob sie selbst teilnehmen.
Franz Essl: "Die Aktionen sind Ausdruck großer Sorge"
Der Biologe der Universität Wien setzt sich für Naturschutz ein und wurde kürzlich zum Wissenschafter des Jahres gekürt.
Was halten Sie von den Aktionen? Können sie etwas bewirken?
Die Aktionen sind Ausdruck großer Sorge. Es sind meist junge Menschen, die verstehen, dass es bei Klima- und Umweltschutz um die Zukunft unserer Gesellschaft geht. Und dass die Politik in Österreich und anderswo säumig ist. Daher wird versucht, mit neuen Formen des Aktivismus aufzurütteln. Ich halte es in einer lebendigen Demokratie für ganz wichtig, friedlich dieser Sorge Ausdruck zu verleihen. Die Frage nach der politischen Wirksamkeit ist derzeit schwer zu beantworten.
Braucht es Aktivismus, um Klima-Erkenntnisse aus der Wissenschaft zu verbreiten?
Es scheint so, dass wissenschaftliche Fakten alleine nicht ausreichen, um das notwendige Momentum zu einem Ausstieg aus dem fossilen Pfad zu erzeugen. Daher ist es wichtig, dass es eine breite gesellschaftliche Bewegung von Fridays for Future bis zur Letzten Generation gibt. Die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel, wie sie in den Berichten des Weltklimarates vorliegen, waren die Basis für die Pariser Klimaziele, also die Erderwärmung auf maximal 1,5 °C zu begrenzen. Was nun fehlt, ist die Umsetzung dieser ja politisch am Papier auch breit unterstützen Ziele. Dafür braucht es Druck aus der Gesellschaft, der zeigt, dass die Bürger die Bedeutung des Klimawandels verstehen, und Veränderung einfordern.
Werden Sie an Aktionen teilnehmen?
Vielen Umweltwissenschaftern ist es aufgrund ihrer Forschung ein Bedürfnis, auch persönlich für diese Veränderungen einzustehen. Dabei ist es wichtig, eng an den wissenschaftlichen Fakten zu argumentieren. Dies ist ein schmaler und nicht immer einfach auszulotender Grat. Klimaproteste unterstütze ich weiterhin, ich würde jedoch aktivistischere Formen des Protests anderen Akteuren überlassen.
Was halten Sie davon, wenn die Aktivisten als Terroristen bezeichnet werden?
Menschen, die sich friedlich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen, als Terroristen zu bezeichnen, halte ich für absurd.
Die Klimaforscherin von der Universität für Bodenkultur in Wien befasst sich seit Jahrzehnten mit dem Klimawandel.
Was halten Sie von den Aktionen? Können sie etwas bewirken?
Ich verstehe, dass Menschen neue Wege suchen, die Politik zum Handeln zu bringen. Der Wissenschaft ist das in 30 Jahren nicht gelungen. Jedenfalls wird wieder über Klimaschutz gesprochen; vielleicht brauchte es Irritation, damit sich etwas bewegt.
Braucht es Aktivismus, um Klima-Erkenntnisse zu verbreiten?
Es gibt sicher verschiedene Möglichkeiten, sie zu verbreiten, die Letzte Generation hat sich entschieden, den Weg des gewaltlosen zivilen Ungehorsams zu gehen. Das ist in einer Demokratie eine legitime Form, Diskurs anzustoßen. Angenehm ist es für sie sicher nicht.
Warum gelingt das der Wissenschaft selbst nicht?
Einerseits sind viele Wissenschafter und Wissenschafterinnen der Meinung, dass ihre Aufgabe ist Wissen zu generieren – abholen kann sich das, wer will. Diese Haltung wird angesichts der Relevanz der Erkenntnisse in der Klimawissenschaft, in Fragen der Biodiversität für die Zukunft unserer Zivilisation zunehmend infrage gestellt. Andererseits sind sie nicht im politischen Spiel geschult und dachten, dass Wissen genügt, um Handeln zu leiten. Das tut es nicht. Es geht um kurzfristige partikuläre Interessen von Geldgebern, um Rücksicht auf den vermeintlichen Wählerwillen und vielleicht auch Weltbilder.
Werden Sie an Aktionen teilnehmen?
Ich habe bisher an Klimademonstrationen der Fridays for Future teilgenommen und werde das wieder tun. Und ich war Teil einer Pressekonferenz am Praterstern, bei der wir die Anliegen der Letzten Generation bestätigt haben.
Was halten Sie davon, wenn die Aktivisten als Terroristen bezeichnet werden?
Das ist eine demokratiepolitische Entgleisung, die zeigt, dass man keine inhaltliche Antwort auf die Anliegen der Gruppe hat. Es ist nicht vertretbar, die Zukunft um kurzzeitiger Zustimmungswerte bei genervten und offenbar uninformierten Autofahrern willen zu verspielen.
Günter Emberger: "Mit dem Klima kann man nicht verhandeln"
Der Verkehrsplaner ist Leiter des Forschungsbereichs für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien.
Was halten Sie von den Aktionen? Können sie etwas bewirken?
Ich halte sie für wirkungsvoll. Wenn es sie nicht gäbe, würden Sie mich jetzt nicht um meine Meinung fragen und ich könnte nicht zum Klimaschutz aufrufen. Die Medien holen nun die Meinung der Wissenschaft ein.
Braucht es Aktivismus, um Klima-Erkenntnisse aus der Wissenschaft zu verbreiten?
Scheinbar schon, da die Medien und die Menschen leider immer Sensationelleres brauchen, um aufmerksam zu werden – hier ist es zu einer Überreizung gekommen. Leider wird nicht verstanden, dass wir uns mittlerweile in einer permanenten Multikrisensituation befinden, es ist schwierig, die wirklich großen Krisen herauszufiltern und Problemstellungen richtig zu priorisieren. Beispiele sind Klimaveränderung, Ukraine-Krieg, Covid-Pandemie, Treibstoffpreisänderungen, Gaskrise, Versorgung mit Medikamenten, Arbeitskräftemangel, Migration, Gewalt gegen Frauen und Letzte-Generation-Aktionen – was ist wichtiger?
Warum gelingt das der Wissenschaft selbst nicht?
Politiker sind es gewohnt, Kompromisse auszuhandeln, und wollen wiedergewählt werden. Mit dem Klima kann man keine Kompromisse verhandeln. Die Folgen des Klimawandels sind ja nicht direkt einzelnen Handlungen zuzuordnen – treten also räumlich und zeitlich versetzt auf. Daher kann man sich leicht vor der Verantwortung drücken, bis es zu spät ist.
Werden Sie an Aktionen teilnehmen?
Ich sympathisiere mit diesen Menschen, weil sie gewaltfrei für Aufmerksamkeit sorgen, die leider anders nicht erzielbar ist. Ich würde wieder zu solchen Veranstaltungen gehen und die Medienpräsenz nutzen, um auf die Klimaproblematik hinzuweisen.
Was halten Sie davon, wenn die Aktivisten als Terroristen bezeichnet werden?
Nichts! Das ist vollkommen überzogen. Es sind gewaltfreie Aktionen, die darauf aufmerksam machen, dass es ums Überleben der Menschheit geht.
Hainburger Au
Der geplante Bau eines Wasserkraftwerks samt Baumrodungen führte im Dez. 1984 zur Besetzung und Auseinandersetzungen mit Polizei/Gendarmerie. 1985 das sog. Konrad-Lorenz-Volksbegehren zur Au-Rettung. Seit 1996 als Naturlandschaft Teil des Nationalpark Donauauen.
Anti-Atomkraft-Bewegung
Weltweit formierte sich in den 1970er-Jahren Widerstand von Zivilgesellschaft und Umweltorganisationen gegen Atomkraft. In Österreich beim Bau des Atomkraftwerks Zwentendorf ab 1972. Es ging nach einer Volksabstimmung 1978 nie in Betrieb.
Friedensbewegung
Um 1970 weltweit Proteste gegen den Vietnamkrieg, in den 1980er-Jahren gegen den Kalten Krieg, in Österreich gingen 1982 70.000 auf die Straße. In der BRD erfolglose Proteste gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen (1981-83).
Menschen
Mahatma Gandhis Salzmarsch leitete 1930 die Unabhängigkeit Indiens ein. 1955 weigerte sich Rosa Parks, ihren Bus-Sitzplatz für Weiße frei zu machen, die Folge war der Aufstieg der Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King und das Ende der Rassentrennung in den USA.
(kurier.at, ege)
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Aktualisiert am 24.01.2023, 15:15
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