Neueste Forschungen: Lassen Schwangerschaften Frauen schneller altern?
Kinder kosten Kraft – das würden wohl die allermeisten Eltern bestätigen. Doch altert man auch tatsächlich schneller, wenn man Kinder in die Welt setzt? Zu dieser Frage liefert nun eine neue Studie Erkenntnisse: Demnach beschleunigen Schwangerschaften die biologische Alterung bei Frauen – um rund drei Monate pro Geburt.
Wie kam man zu der Erkenntnis? Und: Ist sie wissenschaftlich haltbar?
Um zu den Ergebnissen – sie wurden im renommierten Fachmagazin Proceedings of National Academy of Sciences veröffentlicht – zu gelangen, warf ein Team der Columbia University in New York mittels Blutproben einen Blick ins Erbgut von jungen philippinischen Müttern und Vätern. Neben DNA-Analysen flossen Daten aus Befragungen der 20- bis 22-jährigen Probandinnen und Probanden in die Studie ein. In Summe wurden 1.735 Datensätze aufgenommen. Erhoben wurden sie im Rahmen der "Cebu Longitudinal Health and Nutrition Survey", einer Langzeitstudie, die insbesondere Mütter, aber auch Väter, auf den Philippinen begleitet.
Zur Bestimmung des genetischen Alters, nutzte die Gruppe um Wissenschafter Calen P. Ryan, der sich der Erforschung der Effekte der Fortpflanzung auf das biologische Alter verschrieben hat, sogenannte epigenetische Uhren. Sie ermöglichen es, auf Basis von molekularbiologischen Veränderungen an der DNA unserer Körperzellen, das biologische Alter einer Person zu messen. In der aktuellen Studie griff man auf sechs verschiedene epigenetische Uhren zurück, die unterschiedliche Veränderungsmuster abbilden.
Bei Frauen zeigte sich, dass jede einzelne Schwangerschaft mit einer zusätzlichen biologischen Alterung von zwei bis drei Monaten verbunden war – im Vergleich zu kinderlosen Frauen. Frauen, die binnen sechs Jahren erneut ein Kind austrugen, zeigten außerdem deutlichere Alterungsanzeichen als Mütter, die nur ein Kind geboren hatten. Da etwa auch Rauchen, Alkoholkonsum, Schlafmangel oder eine unausgewogene Ernährung, allesamt Lebensstilfaktoren, Einfluss auf die biologische Uhr haben, beachteten die Forschenden diese Faktoren in ihrer Auswertung – kamen aber zum Ergebnis, dass sie nicht ausschlaggebend für die Unterschiede waren. Auch allgemeine Lebensumstände schienen nichts am Effekt zu ändern. Allerdings: Bei den männlichen Probanden konnte man keine Auswirkungen einer Vaterschaft auf das biologische Alter nachweisen.
Unter dem biologischen Alter versteht man die kumulative, also die sich ansammelnde, Schädigung von Gewebe und Zellen im Körper. Im Gegensatz dazu ist das chronologische Alter, auch kalendarisches Alter genannt, eine reine Zeitangabe: Die Anzahl der Jahre und Tage ab der Geburt.
Solide Studie mit Schwächen
"Rein von der Datenlage und der Methodik her ist die Studie solide und die Ergebnisse durchaus interessant", sagt Molekularbiologin Corina Madreiter-Sokolowski, die an der Med Uni Graz zu Alterungsprozessen forscht. "Allerdings muss man sagen, dass die epigenetischen Uhren vor allem bei der weißen Bevölkerung gut funktionieren. Bei Menschen aus anderen Regionen der Welt, etwa Asien oder Afrika, sind diese Modelle noch nicht gut genug erforscht", gibt die Expertin zu bedenken. Das könne die Aussagekraft der Ergebnisse schmälern.
Es sei zwar zweifelsfrei so, "dass eine Schwangerschaft das biologische Alter einer Frau nach oben schraubt. Fraglich sei aber, ob dieser Zustand wirklich anhaltend ist, oder nicht vielmehr reversibel." Zu diesem Ergebnis kamen auch Wissenschafterinnen und Wissenschafter in einer Studie, die vor wenigen Wochen im Fachblatt Cell Metabolism publiziert wurde. Schwangerschaften erwiesen sich darin als regelrechter "Stresstest" für den weiblichen Organismus: Gegen Ende der Schwangerschaften waren die Frauen auf Zellebene um bis zu zwei Jahre älter als zu Beginn. Allerdings bildeten sich die Alterungsprozesse rund drei Monate nach der Geburt wieder zurück. Bei stillenden Müttern schien sogar ein Verjüngungseffekt einzutreten.
In Studien habe sich laut Madreiter-Sokolowski außerdem gezeigt, dass oftmals nicht die Schwangerschaft selbst, sondern die Entbehrungen, mit denen Mütter nach der Geburt konfrontiert sind, Stichwort Schlafmangel, Alterungsprozesse im Körper befeuern.
Ryan sieht in seinen Ergebnissen "offensichtliche" Hinweise auf die epigenetischen Auswirkungen von Schwangerschaften. Sie hätten "großen Einfluss auf den Körper einer Frau", hält er gegenüber der Washington Post fest. Allerdings, das betont er selbst, müsse man die Erkenntnisse im Kontext sehen: So seien die Effekte bei sehr jungen Frauen festgestellt worden. Auf den Philippinen, wo Frauen deutlich früher Mütter werden als etwa in Europa, könnte eine frühe Mutterschaft besonders fordernd sein. Insbesondere, weil der Zugang zu medizinischer Versorgung und anderen Ressourcen oft eingeschränkt ist. Auf andere Bevölkerungen lassen sich die Ergebnisse nicht einfach so übertragen, befindet auch Madreiter-Sokolowski: "Die Frage ist, ob die beobachteten Unterschiede auch in einer Kohorte auftreten würden, die an unsere Lebensrealität angepasst ist – also Frauen umfasst, die um die 30 Jahre alt sind."
Schwangerschaften entfalten auch schützende Wirkungen
Ryans Interesse an der Thematik ist ungebrochen: "Wir müssen noch viel über die Rolle der Fortpflanzung im Alterungsprozess lernen", wird er im Guardian zitiert. Inwieweit sich "die beschleunigte epigenetische Alterung Jahrzehnte später in schlechterer Gesundheit oder erhöhter Sterblichkeit äußern" werde, sei unklar – weitere Forschungen dazu seien jedenfalls nötig.
Für Madreiter-Sokolowski ist die Studie jedenfalls Anlass genug, "um zu betonen, wie wichtig die Versorgung und Unterstützung von Schwangeren und Müttern ist". Für alle Frauen, die sich ob der neuen Erkenntnisse sorgen, hat Madreiter-Sokolowski gute Nachrichten: "Bei Frauen hat das Kinderkriegen erwiesenermaßen eine Reihe protektiver Wirkungen: Es reduziert bei Frauen beispielsweise das Risiko für Brustkrebs, Eierstockkrebs oder Gebärmutterkrebs und wirkt schützend auf das Herz-Kreislauf-System."
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