Es gibt Leute, die mit 75 noch drei Mal in der Woche auf dem Tennisplatz stehen oder ein Studium an der Universität anfangen. Und es gibt andere mit 75, die kommen ohne Rollator nicht mehr über die Straße und können sich nicht an den Namen ihrer Enkelin erinnern. Beide sind chronologisch gleich alt, aber in der Medizin leben wir davon, dass wir Dinge messen.
Und das gilt auch für biologisches Lebensalter. Dafür gibt es die epigenetische Uhr, „Horvath’s Clock“. Das sind epigenetische Markierungen auf unserer DNA, die mit dem Alter unpräziser werden. Und die kann man heranziehen, um biologisches Lebensalter relativ genau zu bestimmen.
Es kommt jetzt ganz viel auf den Markt: Supplemente, teilweise Medikamente, Lifestyle-Interventionen, die alle versprechen, dass man damit länger lebt. Mit so einem genetischen Test kann man gut überprüfen, ob das was gebracht hat. Das bringt die ganze Sache auch als Wissenschaftszweig voran.
Gibt es derzeit Anti-Aging-Therapien und Nahrungsergänzungsmittel, die nachgewiesen helfen?
Ja, es gibt zum Beispiel in Amerika die TRIIM-Studie. Da gab es eine Kombination aus Wachstumshormonen, DHEA und Metformin mit dem Ziel das Immunsystem zu stimulieren, weil zum Beispiel die Thymusdrüse regeneriert wird. Und da hat man vorher diesen Epigenetiktest gemacht, dann nach sechs Monaten und nach einem Jahr und da hat man gesehen, die Teilnehmer sind zwei bis drei Jahre biologisch jünger geworden.
Das ist jetzt aber nichts, was ich schon konkret in der Apotheke bekommen kann. Im Gespräch war zuletzt sehr oft Spermidin, das gerade als Verjüngungsmittel gepusht wird.
Genau. Es gibt so einiges, was jetzt akut diskutiert wird. Spermidin ist vor allem ein Autophagie-Booster und unterstützt den Abbau von molekularem Müll in unseren Zellen. Das ist eine schöne Sache, weil das ein wichtiger Alterungsfaktor ist.
Es gibt ein Medikament, Metformin: Das ist ein altes Diabetesmittel, was im Moment auch im Anti-Aging-Bereich eingesetzt wird. Auch da gibt es eine große Studie. Wir kommen jetzt in den Bereich, Altern medikamentös zu behandeln, und das ist natürlich eine neue Dimension. Wenn man das macht, braucht man harte Kriterien, um zu beurteilen, wirkt es oder wirkt es nicht.
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In der Epigenetik geht es ja auch darum, dass die Lebensweise der Eltern sich über die Gene auf die Nachfahren auswirkt. Das reicht bis hin zum Einfluss auf Krebserkrankungen, Depressionen usw. Können wir unseren Vorfahren die Schuld für unsere heutigen Probleme geben?
Es ist die alte Erkenntnis: Man kann in der Auswahl seiner Eltern nicht vorsichtig genug sein. Aber die wussten es ja damals teilweise nicht besser. Viele fragen mich, wann fängt man am besten mit einem Anti-Aging-Programm an? Und meine Standardantwort lautet, am besten im Mutterleib. Heute weiß man, wie die Mutter sich während der Schwangerschaft ernährt, sogar Außeneinflüsse wie Stress – all das prägt das Kind. Das hat Konsequenzen bis weit ins Erwachsenenalter und sogar bis in die nächste Generation. Diese epigenetischen Markierungen werden vererbt.
Die Psyche spielt ja auch eine starke Rolle. Kann man sich denn jung denken?
Tatsächlich sind unser geistiges Herangehen an den Alterungsprozess oder Verhaltensänderungen ganz wichtig für Anti-Aging-Therapie. Wir kennen aus der Psychologie die sich selbst erfüllende Prophezeiung: Wenn Altern für mich nur furchtbar ist und den Verlust von Funktionen, der Schönheit, etc. bedeutet, dann kann sich das bewahrheiten. Umgekehrt, wenn ich ein positives Bild vom Altern habe und sage: Toll, jetzt eröffnen sich dir neue Möglichkeiten – dann wirkt sich das natürlich deutlich positiver aus. Insofern ja, es kommt sehr darauf an, wie ich das Thema Altern angehe. Wenn ich sage, ich gehe mit 65 in Pension und mache nichts mehr, dann ...
… warte ich aufs Sterben?
Genau. Es gibt nichts Schlimmeres als Alterungsfaktor, als sich hinzusetzen und nichts mehr zu machen. Das heißt nicht, dass man in seinem Beruf immer weiterarbeiten muss, aber sich nur auf die Parkbank setzen – oder die Parkbank ist inzwischen für viele Deutsche der Liegestuhl auf Mallorca – und dann nichts mehr zu tun … da können Sie zusehen, wie die Synapsen abgebaut werden und wie Sie verdummen.
Also doch weiterarbeiten?
Die Diskussion über die Erhöhung des Pensionsalters wird viel zu einseitig geführt. Die Gewerkschaften beschwören dann den Dachdecker, der mit 67 entkräftet vom Gerüst fällt. Aber die meisten arbeiten in Berufen, wo sie körperlich nicht mehr sehr gefordert werden. Die können durchaus weiterarbeiten und sind noch fit. Die wollen aussteigen, weil ihnen der Beruf vielleicht keinen Spaß mehr macht, aber merken nach einem halben Jahr, gar nichts tun ist auch keine Lösung. Es gilt also Modelle zu finden, in seinem Beruf weiterzuarbeiten.
Viele Ärzte machen das zum Beispiel: Die müssen nicht mehr die 60 Stunden Schichten im Krankenhaus mit Nachtdienst und Wochenenddiensten machen, aber in der Praxis kann ich doch weiterarbeiten, vielleicht nur etwas weniger. Inzwischen gibt es ganze Studiengänge für die Generation 60-Plus. Ich kann nur dazu raten, eine neue Sprache oder ein neues Instrument zu lernen – all das sind Dinge, die uns im Kopf jung halten.
Der Mensch träumt seit jeher davon, unsterblich zu sein – wird das aus Ihrer Sicht in Zukunft möglich sein?
Unsterblich wird der Mensch nicht werden. Selbst wenn wir das Altern abschaffen, sterben die Menschen irgendwann, weil sie von einem Bus überfahren werden, in einen Tsunami kommen oder sonstiges. Was wir sicherlich sehen werden, ist eine deutliche Erhöhung des durchschnittlichen und des maximalen Lebensalters. Das durchschnittliche Lebensalter steigt ja schon seit 150 Jahren: Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Leute im Schnitt keine 40 Jahre alt. Heute liegt es bei 80 – das ist eine Verdoppelung. Das kann man aber jetzt nicht einfach so hochrechnen und sagen, in 150 Jahren werden wir durchschnittlich 160 Jahre alt. Die maximale Lebenserwartung ist begrenzt. Und die liegt beim Menschen im Moment wahrscheinlich bei 120 Jahren.
Aber wenn wir von der präventiven in die regenerative Medizin kommen – also nicht nur unsere Zellen und Gewebe vor schädlichen Einflüssen schützen, sondern die Möglichkeit haben, Gewebe und Zellen nachzuproduzieren, dann sind auch Lebensalter von 200 bis 250 Jahren möglich.
Das hat aber über das Gesundheitliche hinaus auch Konsequenzen: Wie sieht eine Welt aus, in der Menschen tatsächlich 200 Jahre alt werden? Wie sieht es mit den Generationen aus, wenn die Alten immer weiter auf ihren Arbeitsplätzen sitzen und keinen Platz machen? Das wirft viele gesellschaftliche Fragen auf.
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