Ohne Motten, mit Foto: So sortiert das Naturhistorische Museum 19.000 Vögel ein
Der Adler ist gelandet: Die ersten Kisten mit präparierten Vögeln, darunter Gimpel, Eisvögel und Schnepfen, sind im Naturhistorischen Museum Wien eingetroffen. Der große Container mit knapp 19.000 Bälgen wartet noch in Großbritannien auf die Ausfuhr. Veterinärmedizinische Gutachten und die Genehmigung für den Handel mit geschützten Arten nach dem Brexit dauern. Spätestens im Februar 2023 soll die gesamte Harrison Institute Bird Collection aus Kent aber an den Burgring übersiedelt sein.
„Wir bekommen die Sammlung tatsächlich geschenkt“, freut sich Generaldirektorin Katrin Vohland über den „bedeutenden“ Zuwachs für ihr Haus. Paul Bates, Direktor der gemeinnützigen Stiftung in Südengland, verweist auf die lange, gute Zusammenarbeit. Und Swen Renner bestätigt, die gefiederten Häute samt Flügeln, Schnabel und Beinen zu entstauben und für die Wissenschaft nutzbar zu machen: „Wir haben mehrere Jahre Arbeit vor uns“, sagt der Leiter der NHM-Vogelsammlung. Erfahrungsgemäß spießt sich das Zusammenführen von Altbestand und Neuzugängen oft im Detail.
Renommiert
Schon jetzt zählt die Vogelsammlung des NHM mit 95.000 Bälgen, 10.000 Stopfpräparaten, 12.000 Skeletten, 10.000 Gelegen, 2.500 Gewebeproben, 1.000 Nestern und 4.500 Rupfungsblättern zu den renommiertesten der Welt. Etwa 70 Prozent der Objekte sind bereits digitalisiert und damit für die Forschung barrierefrei zugänglich. Die Erfassung im elektronischen Inventarbuch steht nun auch für die Bälge bevor, die die Hobbyornithologen James Harrison und Sohn Jeffrey über das Vereinigte Königreich hinaus gejagt, mit Arsen konserviert oder eingetauscht haben.
Ihre reiche Beute deckt 889 Vogelarten ab; das älteste Stück stammt aus 1840. Jedes Etikett – der wahre Schatz – weist Spezies, Geschlecht, Datum, Fundort und Sammler aus. Das ermöglicht Vergleichsstudien – nach Regionen oder zurück in vergangene Tage – und erlaubt damit nicht zuletzt Rückschlüsse auf evolutionäre Veränderungen. Arten kommen und gehen. Auch der Klimawandel lässt sich an den tierischen Zeitzeugen ablesen. Mit dem Anstieg der Temperaturen muss manch Überflieger nicht mehr so weit ziehen, um einen nahrungsreichen Zweitwohnsitz zu erreichen, die Flügel werden kürzer. „Vögel sind unglaublich wichtige Indikatoren dafür, wie es um die Umwelt im Ganzen bestellt ist“, sagt Vohland.
Harrison Institute Bird Collection
Die britische Sammlung, die vor allem von James Harrison (1892–1971) und seinem Sohn Jeffrey (1922–1978) in Kent aufgebaut wurde, besteht aus zirka 19.000 Bälgen – also der Haut eines Vogels mit anhängendem Gefieder, Schnabel, Beinen und Füßen. Der überwiegende Teil der Objekte kommt aus Großbritannien. Wichtige Herkunftsländer liegen zudem in Europa und dem Nahen Osten, sind aber auch Japan, USA und die Antarktis. Zuletzt wurde die Sammlung nur noch sehr eingeschränkt genützt. Das soll sich mit der Schenkung ändern.
Naturhistorisches Museum Wien
Die Schausammlung mit lebensecht präparierten Vögeln zeigt Besuchern die Artenvielfalt. Die wissenschaftliche Sammlung umfasst rund 130.000 Objekte, darunter auch Rupfungsblätter, das sind Papierbögen mit aufgeklebten Einzelfedern in standardisierter Anordnung. Sie enthält außerdem etwa 1.000 Typen, die als Referenzexemplare für die Zuordnung zu einer Art dienen; darunter der
ausgestorbene Dodo. Insgesamt lagern im NHM zirka 8.000 der weltweit 12.000 Vogelarten.
Quarantäne
Bevor die mit Moos, Zeitungspapier oder Baumwolle gestopften Vogelkörper jedoch genauer unter die Lupe genommen werden können, müssen sie für Wochen in Quarantäne. Ein Einschleppen von Motten oder Pelzkäfern wäre verheerend. Das anschließende Lagern bei Zimmertemperatur soll die Schädlingseier beleben, ein neuerlicher Zwischenstopp in der Stickstoffkammer den übrigen blinden Passagieren den Garaus machen.
Recherche zu einzelnen Objekten
„Wir brauchen für das Digitalisieren pro Balg fünf bis zehn Minuten. Sobald es aber z.B. eine unklare Bestimmung gibt oder unterschiedliche Schreibweisen bei der Ortsangabe, müssen wir recherchieren“, sagt Renner. DNA-Proben – heute meist aus den Zehenballen genommen – werden nur projektbezogen analysiert. Wenn schließlich das Fotoshooting abgeschlossen ist, dürfen die toten Tiere zu ihren Artgenossen bzw. nahen Verwandten in die Laden der hohen Metallschränke im Archiv. Kein Zutritt für Besuchermassen.
Referenz für weitere Forschung
„Für uns muss es nicht bunt sein. Wissenschaftler schätzen die kleinen und unscheinbaren Vögel. Sie sind besonders spannend“, sagt Bates. Mit seiner umfangreichen Schenkung kommen auch zwölf Typen nach Wien. Wie der Buchfink Fringilla coelebs syriaca sind sie Erstbeschreibungen ihrer Art und dienen als Referenz für andere Exemplare. Entwicklungen im Generationenlauf freilich lassen sich nur aus möglichst vielen Sammelstücken ableiten. Ändern sich Erbgut, Anatomie, Gefieder und Gesang, ist eine Neubewertung angebracht. Mit einer derartigen Überraschung ist bei den Harrison-Bälgen wohl nicht zu rechnen; dass die Fusion die Ornithologie global beflügelt allemal.
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