Rabenforschung in Österreich: So schlau sind die fliegenden Affen
„Bleiben Sie vom Gitter weg. Es sind ein paar dabei, die schlitzohrig sind“, sagt Thomas Bugnyar grinsend, während er die schwere Schiebetür öffnet, um seine „Gang“ zu begrüßen. Bereits auf dem kurzen Fußweg vom alten Haidlhof zu den Volieren – vorbei an aufgeregten Krähen, bunten Sittichen und einer erfinderischen Bergpapageien-Kolonie aus Neuseeland – sind die Rufe der Kolkraben zu hören. „Ich bin cool“, heißen sie den renommierten Wissenschaftler willkommen, der die Außenstelle der Uni und Vetmeduni Wien vor mehr als zehn Jahren zu einer weltweit anerkannten Forschungsstation für die Intelligenzbestien der Lüfte aufgebaut hat.
Kooperativ
Schon sitzt Leichtgewicht Nobel imposant auf Bugnyars Arm und zupft an seiner Jacke. Als eine der Ältesten hier weiß die „absolut netteste“ Rabendame genau, dass es in den Säcken oft Hundefutter zu holen gibt. Enttäuscht von einem Papiertaschentuch hüpft sie Richtung George davon, um ihrem Partner die Federn zu kraulen. Die beiden werden heuer vielleicht das erste Mal brüten. Gibt es Nachwuchs, bleiben sie lebenslang ein Paar. Und erweitern mit ihrem Familienleben das Forschungsfeld.
Handzahm und Freigeister
Jetzt steuert das dreijährige Pubertier Quito von hinten auf Bugnyar zu. Ein Anflug von vorne – so wie in Horrorfilmen gerne inszeniert – wäre im echten Leben ohne Überraschungsmoment viel zu riskant. Auch der jüngste der 14 schillernden Bewohner des CorvidLabs nahe Bad Vöslau/NÖ weiß das. Wie die anderen ist er aufwendig per Hand aufgezogen. Zahme Raben – Null Interesse am Ausbruch – kooperieren bei der Beantwortung wissenschaftlicher Fragen besser als die Freigeister der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau/OÖ. Die Beobachtungen der etwa 500 beringten Überflieger in ihrem natürlichen Umfeld ist aber mindestens genau so wichtig, sie sichern die Ergebnisse aus den Experimenten erst ab.
„Raben. Das Geheimnis ihrer erstaunlichen Intelligenz und sozialen Fähigkeiten“ von Thomas Bugnyar ist soeben im
Brandstätter Verlag erschienen (25 Euro). Auf 224 Seiten liefert der Leiter des Departments für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Uni Wien sowie der Forschungsstation Haidlhof einen Überblick über den aktuellen Stand der Intelligenz-Forschung. Im Erzählton beschreibt der 51-Jährige nicht nur die Ergebnisse seiner Raben-Studien, sondern auch die Gedanken und Umstände, die dazu geführt haben.
Der Autor präsentiert sein Werk am 28.9. um 19.00 bei Thalia 1030 Wien Mitte. Infos: https://www.brandstaetterverlag.com/stories/veranstaltungen/erstpraesentation-raben-thalia-wien-mitte-w3/
Internationaler Austausch
Vor der Nachbarvoliere gewöhnt gerade eine Studentin die künftigen Mitarbeiter an ihre Anwesenheit – und an Neues. Die kluge Joey, skeptisch wie alle Raben, mag prinzipiell keine Frauen, sie keift, plustert sich auf und schmeißt mit Rindenmulch. Abstand halten, Anfüttern, Geduld bewahren. Kameras mit Rundumblick ermöglichen zudem eine Überwachung von oben. Bild- und Tonmaterial werden längst in einer riesigen digitalen Bibliothek archiviert; einzigartige Dokumente für unzählige Forschungsarbeiten. Sie sollen nicht zuletzt Aufschluss über die Evolution von Mensch und Tier geben.
Famos durch komplexes Sozialleben
Schon jetzt ist klar, dass die famosen Leistungen der Vögel in ihrem komplexen Sozialleben begründet sind. Ein Leben in großen Gruppen fordert – und fördert die sozialen und kognitiven Fähigkeiten. So können sich Kolkraben in Artgenossen hineinversetzen. Sie bedenken z.B. mit, dass sie beim Verstecken von Futter beobachtet werden, und führen die Konkurrenz gezielt in die Irre. Kolkraben sind redselig. Zum einen unterhalten sich die „Sprechvögel“ mit den stets selben Rufen über Futter, zum anderen dienen die Lautäußerungen der Selbstdarstellung. Darüber hinaus hat jedes Individuum einen eigenen Wortschatz, bei dem auch Geräusche von Traktor oder Frosch imitiert werden. Diese Markenzeichen setzen sie v.a. beim Tratsch mit engen Freunden ein.
Kompetent
Heute steht der seltene Gast im Mittelpunkt. „Ich bin mittlerweile mehr Manager als Forscher“, sagt Bugnyar, der auch die Departments für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Uni Wien leitet. Doch seine rabenschwarzen Schützlinge würden ihn selbst noch nach Jahren erkennen – Elefantengedächtnis quasi. So wie sie sich lange an bekannte Stimmen erinnern, merken sie sich befreundete Artgenossen und missliebige Mitglieder im sozialen Gefüge.
„Ich zerbreche mir leidenschaftlich gern den Kopf darüber, wie ich meine Methoden ändern könnte, um das Unerklärliche doch zu ergründen.“
Vögel haben durchaus menschliche Züge
Genau diese sozialen Kompetenzen wollen erkundet sein. Dafür stehen vor dem Ludus – dem Spiel-Gehege – auch winzige Wägelchen. Dass die Versuchskaninchen wissen, wie sie an die Leckerlis darauf kommen, steht außer Zweifel. Am Schnürchen ziehen, und es läuft; die Schlauheit der großen Singvögel ist legendär. Doch wie verhält sich der durchtriebene Heinz im Team? Hilft wer dem Außenseiter? Raben lieben es, zu tricksen, zu täuschen, zu manipulieren. Wer teilt die Belohnung? Wer versteckt sie raffiniert?
Thomas Bugnyar wird es gemeinsam mit Kollegen herausfinden. Sein druckfrisches Buch, das er in Händen hält und Quito, dem Cover-Model präsentiert, fasst eindrucksvoll zusammen, was es schon jetzt über die „fliegenden Affen“ zu wissen gibt.
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