Kolkraben im Visier der britischen Krone und der Wissenschaft

Kolkraben haben im Tower von London lange Tradition.
In Großbritannien bringt der Tod eines Vogels die Monarchie in Gefahr. In Österreich werden die schlauen Tiere beforscht.

Legenden über Legenden: John Flamsteed soll sich 1675 mächtig aufgeplustert haben. Kolkraben verdeckten und verdreckten dem königlichen Astronomen immer wieder die Sicht durch sein neues Teleskop am Weißen Turm. Zunächst wollte Charles II. das Ärgernis brutal lösen. Doch dann kam ihm zu Ohren: Sollten die Überflieger jemals den Tower von London verlassen, wäre das der Untergang des Empires. Umgehend ordnete der Monarch an, mindestens ein halbes Dutzend der schwarzen Vögel in der Festung zu halten.

Die Tradition, 1944 niedergeschrieben, gibt es heute noch. Doch aktuell rauschen nur sechs Riesen über die Sehenswürdigkeit. Merlina, die 13-jährige „Königin“ der prominenten Vögel, wurde wochenlang nicht gesehen.

Nicht mehr vom Aussterben bedroht

Auf dem europäischen Festland gibt es genug Kolkraben. Das war nicht immer so. Intensive Bejagung bis in die 1940er-Jahre rottete die Allesfresser fast aus. Mittlerweile konnten sich die Bestände erholen; auch in Österreich. Von den Bergen aus eroberten die Intelligenzbestien die Ebenen zwischen Boden- und Neusiedler See zurück. Manche genießen als Forschungsobjekte internationalen Ruf.

Rabe versus Krähe

„Kolkraben sind die mit Abstand größten heimischen Singvögel. Sie werden bis zu 1,5 Kilo schwer“, sagt Remo Probst von der Vogelschutzorganisation Birdlife. Während sich Krähen in der Stadt genauso wohlfühlen wie im freien Feld, ziehen Raben das Landleben vor. Zu trauten Familientreffen kommt es nicht; Krähen fürchten die große Verwandtschaft.

Von wegen Rabeneltern

„Kolkraben sind bessere Flieger“, sagt der Experte. Für die Futtersuche können sie in die Ferne schweifen. Mit dem imposanten Kropf transportieren sie Nahrung auch für den Nachwuchs über weite Distanzen. Schon Anfang März legen die Baumbrüter Eier in den gut gepolsterten Horst. Sind die Bedingungen günstig, stehen die Chancen für die drei bis fünf Küken gut.

Die Rabeneltern – von wegen – kümmern sich fürsorglich. „Sie betreuen die Jungen noch monatelang, auch wenn die mit zirka 40, 45 Tagen das Nest verlassen“, sagt Probst. Während die Erwachsenen zu echten Standvögeln werden und ihr Territorium aggressiv verteidigen, schließen sich die Jungtiere zu Trupps zusammen. Hier wird gelernt, verbrüdert, getratscht. 

Intelligentes Sozialleben

„Die Sozialstrukturen der Kolkraben lassen Rückschlüsse auf die Intelligenz der Tiere zu“, sagt Thomas Bugnyar vom Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Uni Wien. Er beobachtet die Schlaumeier nicht nur in der Natur. Er testet auch Individuen in weitläufigen Volieren im Haidlhof nahe Bad Vöslau und in der Konrad Lorenz Forschungsstelle im Almtal. Zahlreiche Studien belegen, dass die Vögel zu ähnlichen kognitiven Leistungen fähig sind wie Primaten.

Ausgeprägte Persönlichkeiten

Kolkraben pflegen enge Beziehungen; sie erkennen Freunde auch nach Jahren der Trennung. Sie schneiden Artgenossen, die sie nicht mögen. Sie manipulieren meisterlich. Jeder hat eine ausgeprägte Persönlichkeit.

„Raben sind dem sehr ähnlich, was Menschen machen“, sagt Bugnyar, der sich aktuell mit dem Gefühlsleben der Tiere beschäftigt. Die jüngsten Studienreihen zeigen, dass die Vögel Anzeichen von Empathie haben.

Zuchterfolge bei guter Haltung

Für seine Experimente trainiert er Nachwuchstalente. Mittlerweile kann er auf bis zu 11-jährige Schüler zurückgreifen. „Wenn sich die Paarpartner gut verstehen und die Haltung abwechslungsreich ist, ist die Zucht erfolgreich“, sagt der Biologe.

Das weiß auch der Ravenmaster in London. Seine Schützlinge können tagsüber frei um die Türme ziehen. So gab es 2019 vier Küken aus dem Zuchtprogramm des Towers. Die Krone dürfte nicht in Gefahr sein; zumindest nicht wegen des Federviehs.

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