Für unsere Studie haben wir Daten der Deutschen Alterssurvey verwendet. Bei dieser Längsschnittsuntersuchung werden Menschen befragt, die 40 Jahre oder älter sind. Und da sehen wir, dass hohes Alter im Schnitt zwischen 73 und 75 Jahren angesetzt wird. Allerdings gibt es, zum Beispiel je nach Alter der Befragten, erhebliche Unterschiede.
Welche wären das?
Je älter Menschen werden, desto weiter rücken sie den Beginn des Alters nach hinten. Faktoren wie die eigene Gesundheit und Fitness haben ebenso Einfluss: Für Menschen, die sich krank fühlen, beginnt das Alter früher. Dasselbe gilt für einsame Personen. Dann gibt es noch einen historischen Wandel: Auch das Geburtsjahr bestimmt mit, wie man Alter wahrnimmt. Für Personen, die 1931 geboren wurden und mit 65 befragt wurden, liegt der gefühlte Altersbeginn bei 74 Jahren. Die 1944 Geborenen setzen ihn bei 75 Jahren an.
Biologisch wird ein Mensch oft als alt eingestuft, wenn die Hälfte seiner Geburtskohorte verstorben ist. Wegen der steigenden Lebenserwartung sind heute weder die 60- noch die 70-Jährigen alt in diesem Sinne. Ist diese Verschiebung bei der Wahrnehmung von Alter relevant?
Das ist denkbar. Die Lebensspanne der Menschen ist heute bedeutend länger. Allerdings verläuft diese Ausdehnung nicht unendlich linear weiter. Schon jetzt beobachten wir eine Stagnation, in Teilen der Welt sogar einen Rücklauf bei der Lebenserwartung. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob und wie sich das auswirkt. Wir vermuten auch, dass das Rentenalter, in Österreich das Pensionsalter, als Anker herangezogen wird. Ist das Antrittsalter höher und Menschen länger erwerbstätig, sehen sie sich womöglich später als alt an.
Spielt das Geschlecht eine Rolle?
Frauen verorten den Beginn des Alters rund zweieinhalb Jahre weiter hinten. Das könnte damit zu tun haben, dass sie tatsächlich länger leben. Denkbar ist, dass hier Altersstereotype zum Tragen kommen.
Inwiefern?
Das gesellschaftliche Bild von älteren Frauen ist häufig negativer behaftet als das von Männern. Da macht es Sinn, dass Frauen einen stärkeren Drang haben, sich von der Gruppe der Alten abzugrenzen. Allgemein wollen in unserer Gesellschaft viele mit dem Altsein nichts zu tun haben.
Brauchen wir ein neues Bild vom Alter?
Ich würde sagen: auf jeden Fall. Die Abwertung ist nicht nur gesamtgesellschaftlich problematisch. Auch für den Einzelnen: Wer das Älterwerden und ältere Mitmenschen ablehnt, wird irgendwann zur Zielscheibe seiner eigenen Vorurteile. Denn wir altern alle. Das hat wiederum Folgen für das eigene Wohlbefinden. Es ist wichtig, Altersbilder zu hinterfragen und zu korrigieren. Hier ist nicht zuletzt die Wissenschaft gefragt, um auf Vielfalt und Potenziale des Alters hinzuweisen.
Welche wären das?
Das Alter bringt zweifellos viele Veränderungen mit sich. Doch der Mensch ist im fortgeschrittenen Alter im Allgemeinen gut in der Lage, sich an diese anzupassen und ein hohes Maß an Zufriedenheit aufrechtzuerhalten. Während der Corona-Pandemie konnten wir sehen, dass Ältere, obwohl sie eine Risikogruppe waren, mit den Strapazen und coronabedingten Einschränkungen besser klargekommen sind als Jüngere. Hier spielt die Erfahrung im Umgang mit Krisen eine Rolle. Man hat als alter Mensch oft schon Schlimmeres überstanden. Wir beobachten, dass die Resilienz, die psychische Widerstandsfähigkeit, bei älteren Menschen bemerkenswert ist.
Kann man über den Abbau von Vorurteilen eine bessere Beziehung zum Älterwerden pflegen?
Durchaus. Für dieses Hinterfragen ist es nie zu spät. Wir wissen mittlerweile: Ältere Menschen sind durchaus in der Lage, Neues zu lernen, auch wenn gängige Altersstereotype das häufig anzweifeln. Man sollte sich nicht vom chronologischen Alter, von einer Zahl, ausbremsen lassen. Sätze wie "Dafür bin ich zu alt" oder "Dafür ist es schon zu spät" nähren eine fatalistische Vorstellung, die zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann. Wenn man im Alter aufhört zu investieren, aktiv zu sein und etwas für seine Gesundheit zu tun, sind Abbau und ungünstige Entwicklungen vorprogrammiert. Wenn es einem gelingt, eine Neugier aufs Älterwerden zu bewahren, ist das eine wunderbare Basis.
Ist man wirklich nur so alt, wie man sich fühlt?
Tatsächlich hat das chronologische Alter oft keine so große Aussagekraft: Menschen, die sich jünger fühlen, leben länger, sind insgesamt gesünder und glücklicher. Inzwischen lässt sich über medizinische Parameter das biologische Alter bestimmen. Personen, die sich als jung wahrnehmen, sind es auch biologisch. Der Mensch scheint ein gutes Gespür für sein biologisches Alter zu haben.
Menschen tun heute viel dafür, das Altern aufzuhalten. Die meisten kümmern sich dabei primär um den Körper. Ein Fehler?
Natürlich ist der Körper wichtig. Häufig gehen ältere Menschen bei Beschwerden nicht mehr zum Arzt, weil sie es für eine unaufhaltsame und unbehandelbare Folge des Alterns halten. Das kann folgenschwer sein, da es ja häufig Therapieoptionen gibt. Bewegung ist bis ins hohe Alter relevant. Wenn man aber das Altsein nur aufs Körperliche reduziert und psychische Aspekte außer Acht lässt, ist das nicht sinnvoll. Gerade im Alter sind etwa enge soziale Beziehung besonders wesentlich für Wohlbefinden und Lebensqualität.
Kommentare