Killer auf Samtpfoten: Katzen an die Leine
Katzen sind Jäger. Ihr Trieb, Beute zu machen, gehört zu den Urinstinkten der domestizierten Raubtiere. Verwilderte Hauskatzen sind auf Nahrung aus der Natur angewiesen. Auch satte Haustiere können dem Drang, Mäusen, Vögeln, Eidechsen und Großlibellen nachzustellen, oft nicht widerstehen.
Jetzt ist die Diskussion um den Killer auf Samtpfoten neu entbrannt. Niederländische Juristen haben europäisches Recht ausgelegt und kommen zu dem Schluss: Katzen gefährden die Artenvielfalt, vor allem die von Vögeln. Die Vierbeiner sollen daher künftig nicht mehr umherstreunern dürfen.
Arten durch Katzen ausgerottet
„Weltweit waren Hauskatzen an der Ausrottung von mindestens zwei Reptilienarten, 21 Säugetierarten und 40 Vogelarten beteiligt“, schreiben Arie Trouwborst und Han Somsen von der Uni Tilburg in der Fachzeitschrift Journal of Environmental Law: „Derzeit stellen Hauskatzen eine Gefahr für mindestens 367 bedrohte Arten dar.“
Die Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 schreibt die Erhaltung wild lebender Vogelarten vor. Sie betrifft sämtliche Arten in den europäischen Gebieten der EU ausgenommen Grönland. Verschiedene Anhänge konkretisieren die Richtlinie. So sind etwa 181 Arten, die aufgrund geringer Bestände oder kleiner Verbreitungsgebiete gefährdet sind, unter besonderen Schutz gestellt. Zudem sind Jagdgebiete eingeschränkt bzw. Verbote von Jagd- und Fangmethoden definiert. Die Vogelschutz-Richtlinie wird in Österreich in den jeweiligen Landesnaturschutzgesetzen umgesetzt.
Auch wenn die Zahlen teils veraltet, teils nur geschätzt sind, steht außer Zweifel, dass Freigänger das Ökosystem beträchtlich beeinflussen. In den USA kam eine Studie 2013 zum Ergebnis, dass Katzen jährlich 1,4 bis 3,7 Milliarden Vögel erlegen. In Großbritannien sollen hochgerechnet 275 Millionen Wildtiere, darunter 27 Millionen Vögel, betroffen sein. In Deutschland sterben pro Jahr um die 100 Millionen Vögel durch die verschmusten Fleischfresser.
Nicht Ursache, aber Gefahr
„In Österreich ist noch keine Tierart wegen Katzen ausgestorben“, sagt Univ.-Prof. Klaus Hackländer. Der Zoologe am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Boku Wien hat 2014 ein Gutachten über den „Einfluss von Hauskatzen auf die heimische Fauna und mögliche Managementmaßnahmen“ veröffentlicht. Sein Kommentar auch heute: „Katzen sind nicht die Ursache für das Vogelsterben. Aber jetzt, bei der geringen Vogeldichte, sind sie eine Gefahr.“
Bedrohungen
In erster Linie setzt der Verlust an Lebensraum den heimischen Singvögeln zu. Die Intensivierung von Land- und Forstwirtschaft, fehlende Hecken und allzu aufgeräumte Gärten erschweren Feldlerche, Braunkehlchen & Co. das Überleben. Auch das Insektenstreben dezimiert die Bestände der Überflieger. „Hauskatzen jagen je nach Angebot“, sagt Hackländer. Und: „Sie jagen viel mehr als ihre Besitzer glauben.“ Das zeigte ein Experiment mit britischen Streunern, die ihr Verhalten in Wald und Wiese mit einer Mini-Kamera filmten.
Spiel statt Jagd
Hausarrest? Leinenpflicht? Zwinger? „Es gibt keine Lösung für alle Parteien“, sagt KURIER-Tiercoach Katharina Reitl: „Wichtig ist, dass sich Katzenhalter Gedanken über die Triebe ihres Lieblings machen.“ Intensive Beschäftigung mit dem Vierbeiner verhindert, dass er den Jagdinstinkt voll auslebt. Spiele, bei denen Kunststoff-Federn und Quietschmäuse erfolgreich gefangen werden, lenken vom echten Beutetrieb ab. Das Austoben daheim macht müde und hält Streuner mitunter von Streifzügen nach Lebendfutter ab.
Leinenpflicht
„Bei manchen Katzen hilft leider nur ein Glöckchen am Halsband, um den Jagderfolg zu verhindern“, sagt die Tierärztin aus der Ordination Tiergarten Schönbrunn. Eine Sollbruchstelle beugt vor, dass sich die Streuner strangulieren. Das Klingeln warnt Vögel vor den Angreifern; es stresst aber auch gewaltig und mindert den Bruterfolg. Vogelhäuschen müssen selbstredend außerhalb der Reichweite der Räuber montiert sein (siehe unten). Eine rutschige Metallmanschette um den Stamm erhöht die Sicherheit im Nest. „Leinenpflicht wäre fair, wirft aber nicht nur die Frage nach der artgerechten Haltung auf“, ergänzt Hackländer. Er appelliert an Katzenbesitzer, Freigänger – gesetzeskonform – kastrieren zu lassen. Das verhindert zumindest die Vermehrung der Fressfeinde.
Zum Wohl von Katze oder Vogel
Die niederländischen Juristen fordern über die Leinenpflicht hinaus ein Ausgehverbot für die Haustiere; Katzen an der frischen Luft gehörten ins Gehege. Deutsche Rechts-Experten bezweifeln, dass dieser Vorstoß im Einzelfall juristisch standhalten würde. Trouwborst und Somsen bleiben bei ihrer „unpopulären“ Rechtsauslegung: „Es ist nicht nachvollziehbar, warum das Wohl von Haustieren über jenes von Wildtieren gestellt wird.“
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