Bahnbrechend: IMBA-Forscher züchten erstmals komplexes Herz im Labor

Herzorganoide im IMBA
Das Herzorganoid mit mehreren Kammern eröffnet neue Einblicke in die Entwicklung von Fehlbildungen und ermöglicht die Erforschung neuer Therapien gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit die häufigste Todesursache: Jedes Jahr sterben rund 18 Millionen Menschen an Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems. Um neue Therapien entwickeln zu können, braucht es realistische Modelle, an denen experimentiert werden kann. Bisher gab es kein physiologisches Modell des gesamten menschlichen Herzens. Das ändert sich jetzt. 

Der Gruppe von Sasha Mendjan am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist es gelungen, ein Herzorganoid-Modell mit mehreren Kammern zu entwickeln, das die komplizierte Struktur des Herzens widerspiegelt. Damit können Forschende Screening-Plattformen für die Entwicklung von Arzneimitteln und toxikologischen Studien vorantreiben und die Entwicklung des Herzens besser verstehen. Die neuen Erkenntnisse wurden in der Zeitschrift Cell veröffentlicht.

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Neue Behandlungsperspektiven für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzfehler öffnen sich

Das ermöglicht nicht nur neue Perspektiven für die Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern zum Beispiel auch für die Behandlung von angeborenen Herzfehlern. Diese treten immerhin bei jedem 50. Neugeborenen auf. Auch hier gibt es nur wenige Therapien, da die Entstehung dieser Herzfehler bisher kaum verstanden wurde. 

Was zum Verständnis von Herzerkrankungen und Herzfehlbildungen fehlt, ist ein Modell, das die wichtigsten Regionen des menschlichen Herzens nachbildet. Das Mendjan-Team stellt nun das erste physiologische Organoidmodell vor, das alle wichtigen sich entwickelnden Herzstrukturen umfasst und den Forscherinnen und Forschern ermöglicht, Herzerkrankungen und -entwicklung zu untersuchen.

Der Grundstein wurde schon vor zwei Jahren gelegt

Im Jahr 2021 präsentierte das Mendjan-Labor das erste kammerartige Herzorganoid, das aus menschlichen Stammzellen gebildet wurde. Diese selbstorganisierenden Herzorganoide, auch Kardioide genannt, zeigten die Entwicklung der linken Herzkammer in den allerersten Tagen der Embryogenese. "Diese Kardioide waren ein Grundsatzbeweis und ein wichtiger Schritt nach vorn", sagt Mendjan. 

"Während die meisten Erkrankungen bei Erwachsenen die linke Herzkammer betreffen, die sauerstoffreiches Blut durch den Körper pumpt, sind bei angeborenen Defekten meist andere Herzregionen betroffen, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung des Kreislaufs wichtig sind."

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Ein Herzmodell, das schlägt wie das frühe menschliche Herz

In der neuen Studie baute das Team am IMBA seine früheren Arbeiten aus. Die Forschenden erstellten zunächst Organoidmodelle der einzelnen Herzstrukturen. "Dann fragten wir: Wenn wir alle diese Organoide gemeinsam entwickeln lassen, erhalten wir dann ein Herzmodell, das koordiniert schlägt wie das frühe menschliche Herz?", erklärt Mendjan.

Nachdem die Forschenden Organoide der linken und rechten Herzkammer und des Vorhofs zusammen gezüchtet hatten, bot sich ihnen eine Überraschung: "Tatsächlich breitete sich ein elektrisches Signal vom Vorhof in die linke und dann in die rechte Herzkammer aus - genau wie in der frühen fötalen Herzentwicklung bei Tieren", erinnert sich Mendjan. "Diesen grundlegenden Prozess haben wir nun erstmals in einem menschlichen Herzmodell mit all seinen Kammern beobachtet."

Während das frühere Kardioidmodell es den Forschenden ermöglichte, die Form und die Gewebeorganisation der Kammern zu untersuchen, können sie mit den neu entwickelten Mehrkammer-Kardioiden noch weiter gehen.

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Erste Erkenntnisse zeigen, wie das menschliche Herz zu schlagen beginnt

Die Forschenden haben bereits Einblicke in die frühe Herzentwicklung gewinnen können, insbesondere wie das menschliche Herz zu schlagen beginnt - was bisher nicht verstanden wurde. "Wir haben gesehen, dass die Organoidkammern im Laufe ihrer Entwicklung einen komplizierten Tanz des Führens und Folgens durchlaufen. Zunächst führt die linke Herzkammer die entstehenden rechten Herzkammern und den Vorhof in ihrem Rhythmus. Wenn sich dann - zwei Tage später - der Vorhof entwickelt, folgen die Herzkammern der Führung des Vorhofs. Dies spiegelt wider, was bei Tieren zu beobachten ist, bevor die Schrittmacher den Herzrhythmus endgültig kontrollieren", erklärt Alison Deyett, Doktorandin in der Mendjan-Gruppe.

Ausblick auf künftige Einsatzmöglichkeiten

In Zukunft können Mehrkammer-Herzorganoide für toxikologische Studien und zur Entwicklung neuer Medikamente mit herzkammerspezifischen Wirkungen eingesetzt werden. "Zum Beispiel sind Vorhofarrhythmien weit verbreitet, aber wir haben derzeit keine gute medikamentöse Behandlung. Ein Grund dafür ist, dass es bisher keine Modelle gibt, in denen alle Regionen des sich entwickelnden Herzens koordiniert zusammenarbeiten", so Mendjan weiter. Und obwohl Herzfehler weit verbreitet und sogar die häufigste Ursache für Fehlgeburten sind, bleibt die individuelle Ursache oft unbekannt.

Aus Stammzellen von Patienten entwickelte Herzorganoide könnten in Zukunft Aufschluss über den Entwicklungsfehler geben und darüber, wie er behandelt und verhindert werden kann. Die Mendjan-Gruppe ist besonders daran interessiert, Mehrkammer-Herzorganoide zu verwenden, um die Herzentwicklung besser zu verstehen: "Wir haben jetzt eine Grundlage, um das weitere Wachstum und das Regenerationspotenzial des Herzens zu untersuchen."

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