Eine Frage der Schulstufe
"In den unteren Schulstufen gibt es tatsächlich keine nachgewiesenen positiven Effekte auf die Leistung“, sagt er. "Was dafürspricht, sie dort abzuschaffen." Anders in höheren Klassen: Hier wurde in Studien der Nutzen demonstriert.
In der Diskussion sei laut Götz nicht nur der Leistungsaspekt relevant. Man dürfe nicht vergessen, dass Hausübungen auch andere Funktionen erfüllen: die Befähigung zu selbstständigem Arbeiten etwa. "Hier geht es um eigenhändiges Planen, Überwachen und Optimieren des eigenen Lernens. Außerdem sind Hausübungen im Hinblick auf Feedback wichtig." Allerdings: "Wenn Kinder dennoch lernen, selbstständig zu arbeiten, beispielsweise in entsprechender Freiarbeit in der Schule, und sie Rückmeldung für diese individuelle Arbeit bekommen, können Hausübungen obsolet werden."
Ob Hausübung oder nicht: Dass alle Schülerinnen und Schüler dieselben Aufgaben bekommen, sei vor dem Hintergrund des Individualisierungsgedankens "definitiv nicht mehr zeitgemäß", betont Götz. Modernere Modelle für den Unterricht gibt es bereits: So setzen manche Lehrkräfte etwa auf das sogenannte "Fundamentum-Additum-Modell". Hier gibt es Aufgaben, die alle bearbeiten und zusätzlich Aufgaben für besonders motivierte und interessierte Kinder. "Das ist sinnvoll", sagt Götz, "noch besser wäre eine Differenzierung nach Fähigkeiten und Interessen".
Chancengleichheit leidet unter Hausaufgaben
Problematisiert wird häufig, dass sich Lehrkräfte aus verschiedenen Fächern nicht bezüglich der Hausübungen absprechen, Kinder also an manchen Tagen sehr viele Aufgaben bekommen, an anderen Tagen kaum. An Letzteren leiden Freizeit und Familienleben. In höheren Klassen, wo Hausübungen tatsächlich sinnvoll sind, sei weniger die Menge, vielmehr die Regelmäßigkeit wichtig, erklärt Götz.
Bei Hausübungen kommen nicht zuletzt auch soziale Ungleichheiten zum Tragen: Schwächere Schülerinnen und Schüler, bei denen Eltern wenig unterstützen können, werden weiter benachteiligt. Kinder aus bildungsstarkem Milieu profitieren hingegen von elterlicher Hilfe oder professioneller Nachhilfe. Ein Dilemma, dem man beikommen könnte, wenn Hausübungen in den Schulalltag integriert werden: "Vieles spricht hier für Ganztagsschulen oder für das Angebot einer professionellen Nachmittagsbetreuung."
Haben Eltern das Gefühl, dass ihr Kind von Hausaufgaben überfordert ist, oder die Menge überhandnimmt, rät der Bildungspsychologe zum Gespräch: "Man sollte mit Kindern darüber sprechen, wie es ihnen mit den Hausübungen geht, bei Auffälligkeiten auch mit Lehrkräften." Wichtig: Strauchelt das Kind, können auch Unterforderung oder Interesselosigkeit dahinterstecken.
Auch auf gesellschaftspolitischer Ebene plädiert Götz für Austausch: "Es ist wichtig, die Debatte bezüglich der Primarstufe ergebnisoffen zu führen – und die Tradition der Hausübungen nicht einfach unreflektiert weiterzuführen."
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