Größte Axolotl-Kolonie der Welt: Spitzenforscherin lässt in Wien Gliedmaßen wachsen
Kleine Kulleraugen, rosafarbene Außenkiemen und ein breites Maul, das aussieht als würde es ständig lächeln – der mexikanische Schwanzlurch Axolotl wirkt auf viele Menschen liebenswürdig. "Sie sind wirklich süß", sagt auch Biochemikerin Elly Tanaka schmunzelnd, als sie ein kleines Aquarium mit einem Axolotl anlässlich ihrer Vorstellung als neue wissenschaftliche Direktorin des größten Instituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), des IMBA (Institut für molekulare Biotechnologie), am Vienna BioCenter in Wien-Landstraße hochhält.
Die 58-jährige gebürtige US-Amerikanerin wechselt mit 1. April vom ebenfalls im Vienna Bio Center angesiedelten Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) zum IMBA. Mit im Gepäck hat sie einen Teil ihrer rund 3.000 Axolotl, die wahrscheinlich größte Kolonie außerhalb Mexikos. Der größere Teil der Lurche bleibt in den Räumlichkeiten des IMP. Etwa die Hälfte der Axolotl sind ausgewachsene Tiere, die anderen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien.
Fast jeder Teil des Körpers kann nachwachsen
Was die Salamander-Art interessant macht, ist aber nicht ihr niedliches Aussehen, sondern eine Besonderheit: Axolotl, lateinisch Ambystoma mexicanum, können fast jeden Teil ihres Körpers, darunter auch das Rückenmark und teilweise das Gehirn, nachwachsen lassen. Diese Regeneration komplexer Körperstrukturen, insbesondere die molekularen und zellulären Grundlagen der Regeneration von Gliedmaßen und des Nervensystems, sind Tanakas Spezialgebiet. Zwar können auch andere Tiere einzelne Körperteile nachwachsen lassen, Eidechsen etwa ihren Schwanz. Anders als beim Axolotl sind diese allerdings nicht ident mit dem ursprünglichen Körperteil.
Tanakas Ziel ist herauszufinden, wie dieser Prozess funktioniert und ob er eines Tages auf den Menschen übertragen werden kann. "Wir konzentrieren uns jetzt darauf zu verstehen, wie die Regeneration von Gliedmaßen mit dem Nervensystem zusammenspielt und stellen uns Fragen wie: Wie greifen die Regeneration der Gliedmaßen und die Bildung von Nervenverbindungen ineinander? Wie funktionsfähig sind regenerierte Gliedmaßen?", sagte Tanaka anlässlich ihrer Vorstellung als neue IMBA-Direktorin am Donnerstag.
Manche bezeichneten Tanakas Begeisterung für Axolotl als "verrückt"
Begonnen hat Tanakas Axolotl-Forschung mit ihrem ersten Weibchen Jacky. Mittlerweile vergibt sie nur noch einzelnen der Axolotl, die etwa 30 Zentimeter groß und 25 Jahre alt werden können, einen Namen. Während manche ihre Begeisterung für die Lurche anfänglich als "verrückt" bezeichneten, ist Tanaka heute eine mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin und führende Expertin in der Regenerationsbiologie. Mit Kolleginnen und Kollegen gelang es ihr u. a., das im Vergleich zum Menschen zehn Mal größere Erbgut des im Wasser lebenden Axolotl zu sequenzieren, die molekularen Grundlagen für seine Regeneration von Gliedmaßen und Rückenmark zu erkunden und die Nervenbildung im Zusammenhang mit Regeneration zu verstehen.
IMBA
Das Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften feierte kürzlich sein 20-jähriges Bestehen. Es wurde vom österreichischen Genetiker Josef Penninger gegründet und bis 2018 von Penninger geleitet. Ihm folgte interimistisch der Molekularbiologe Jürgen Knoblich nach. Mit Biochemikerin Elly Tanaka übernimmt nun erstmals eine Frau die Rolle der Direktorin
Forschung
Am Institut liegt der Schwerpunkt auf Grundlagenforschung, unterstützt durch die Förderung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Insgesamt 14 Forschungsgruppen mit mehr als 200 Mitarbeitern sind in den Bereichen Stammzellforschung, insbesondere der am Institut u. a. durch Jürgen Knoblich federführend mitentwickelten Organoidforschung, sowie der Erforschung der Organisation des Erbguts und der RNA-Biologie tätig
Sie ist Wirkliches Mitglied der ÖAW und wurde 2023 in die renommierte US National Academy of Sciences aufgenommen. Sie publiziert regelmäßig in hochkarätigen Fachjournalen und erhielt hoch dotierte Förderungen, darunter zwei mit bis zu 2,5 Millionen Euro dotierte "Advanced Grants" sowie im vergangenen Jahr im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit mehreren Partnern einen rund zehn Mio. Euro schweren "Synergy Grant"-Förderpreis des Europäischen Forschungsrats ERC.
Nach ihrem Studium u. a. an der Harvard University und der University of California in San Francisco kam Tanaka über Stationen am University College London und am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden vor sieben Jahren als "Senior Gruppenleiterin" an das IMP (Institut für molekulare Pathologie) am Wiener BioCenter. ÖAW-Präsident Faßmann würdigte Tanaka als "herausragende Wissenschafterin", deren Forschung "vielen Menschen Hoffnung" mache.
Tanaka fand etwa heraus, dass die Bindegewebszellen, die sogenannten Fibroblasten, die beim Menschen für eine Narbenbildung nach einer Verletzung sorgen, beim Axolotl Stammzellen bilden, die das jeweilige Organ oder die Gliedmaße vollständig wiederaufbauen. "Dieser Prozess dauert je nach Größe des Tieres sechs Wochen bis sechs Monate. Zuerst entsteht eine Mini-Gliedmaße, die dann auf die eigentliche Größe anwächst", erklärt Tanaka, die am IMBA die synthetische Biologie als neues Feld aufbauen möchte. Es gehe etwa darum, wie die Erkenntnisse der Axolotl-Forschung für die Entwicklung neuen Gewebes im medizinischen Kontext genutzt werden könnten, etwa zur Heilung von Querschnittgelähmten.
Bereits im 19. Jahrhundert war der Axolotl aufgrund seiner Regenerationsfähigkeit ein beliebtes Forschungsobjekt. Entdeckt hat das vom Aussterben bedrohte Tier Alexander von Humboldt, der es 1804 als Erster nach Europa brachte – als exotische Kuriosität für das Pariser Naturkundemuseum in Alkohol eingelegt. Heute leben mehr Tiere in Gefangenschaft als in freier Wildbahn – sie kommen nur noch in zwei Seen nahe Mexiko-Stadt vor. Jüngste Schätzungen gehen von rund 1.000 erwachsenen frei lebenden Axolotl aus. Hinter der Regenerationsfähigkeit wird ein evolutionärer Vorteil vermutet: Anders als ihr liebliches Aussehen vermittelt, verhalten sich Axolotl äußert aggressiv gegenüber ihren Artgenossen, sodass es das Nachwachsen von Armen und Beinen für ihr Überleben braucht.
Kommentare