... das bedeutet nicht, den Krieg zu legitimieren. Es ist wichtig, ihn als das zu bezeichnen, was er ist – völkerrechtswidrig und moralisch abzulehnen. Es geht aber darum aufzudröseln, warum es dazu kommen konnte. Diese Gründe dienen dazu, die Ursachen zu verstehen. Vor allem aber, zu erkennen, wo es Lösungsansätze gibt, sodass wir uns aufeinander zubewegen können und Auswege finden, die nicht nur ein fauler Kompromiss sind, sondern bei denen alle Akteure ein stückweit gewinnen können.
Das hilft den Ukrainern akut aber nicht.
Jetzt ist es am wichtigsten, eine Waffenruhe zu erreichen und ursachenorientiert an einer Lösung zu arbeiten. Ich denke, dieser Prozess wird ein unsteter sein. Und wir werden große Frustrationstoleranz entwickeln müssen. Wir sehen in der Konfliktforschung seit dem Zweiten Weltkrieg, dass militärische Siege immer seltener werden, und dass Verhandlungen stets erfolgreicher wurden, um einen Krieg zu beenden. Waren Vermittler eingebunden, erwiesen sich Friedensverhandlungen in den vergangenen 20 Jahren als besonders erfolgreich und nachhaltig.
Wer könnte aktuell vermitteln?
Ich bin nicht sicher, ob Gespräche auf US-amerikanischem Boden zustande kommen würden, aber sie haben in der Türkei stattgefunden. Akteure, die unterschiedliche Zugänge zu den Konfliktparteien haben, sind wichtig. Ich halte es für ein wesentliches Moment, dass zumindest gesprochen wird.
Was ist noch zu beachten, damit Frieden gelingt?
Es darf uns nicht nur um die Sicherheit für Staaten und Bündnisse gehen, sondern vor allem um die Sicherheit für Menschen. In letzter Zeit hat sich der Sicherheitsbegriff in einigen Aspekten verschoben. Wir reden viel über Sicherheit von Gesundheitssystemen, von Wirtschaftssicherheit oder Nahrungsmittelsicherheit.
Nach den Kämpfen der Friedensbewegung in den 1960ern war es unvorstellbar, dass Kriege in Europa ein Thema sein könnten. Was ist schief gegangen?
Leider ist das Vertrauen zwischen Ost und West im Laufe der vergangenen 25 Jahre massiv verloren gegangen. Deshalb halte ich die Stärkung von friedenstiftenden Institutionen, etwa der OSZE, für so wichtig. Sie hat 57 Teilnehmerstaaten, darunter Russland, und ein Jahresbudget von 138 Millionen Euro. Wenn man im Vergleich dazu das von Deutschland angekündigte Sondervermögen für Rüstung und Infrastruktur von 100 Milliarden anschaut, müssen wir uns schon fragen: Wie viel haben wir über die Jahre in kooperative und gemeinsame Sicherheitsinstitutionen gesteckt und wie viel sind wir gerade bereit, in nationale Rüstungskapazitäten zu investieren? Es macht einen großen Unterschied, worin man investiert – in Waffen oder in vertrauensbildende Maßnahmen. Ich halte gemeinsame Sicherheitsinstitutionen für viel effektiver als Drohung und Abschreckung. Wobei es mir nicht darum geht, den Konflikt zu verhindern, sondern das gewaltsame Austragen. Das Bearbeiten von Konflikten kann etwas Heilendes haben. Und Interessen und Bedürfnisse, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Bedeutet konkret was?
Die Regeln in den internationalen Beziehungen sind stark westlich geprägt. Jetzt bemerkt man im Verhältnis zu Russland, aber auch zu China, dass das an allen Ecken und Enden kracht. Ich denke, dass es ganz wichtig ist, international wetterfeste Ordnungen zu bauen. Wir befinden uns inmitten von Machtverschiebungen. Wenn wir in der Geschichte zurückschauen, erkennt man, dass große Machtverschiebungen in den meisten Fällen zu Kriegen geführt haben.
Was haben Friedensforscher sonst noch aus früheren Konflikten gelernt?
Im Vergleich zur Phase vor 200 Jahren stehen heute nicht nur Opferzahl und Zerstörung im Vordergrund, sondern Friedensbedingungen. Wir wissen mittlerweile, dass auch strukturelle und kulturelle Gewalt abwesend sein sollten; Gerechtigkeit, Menschenrechte, die Gewaltfreiheit unterstützende Wirkung des Handels müssen mitgedacht werden. Das ist ein Friedensbegriff, den wir vielleicht nie erreichen. Wenn es uns aber gelingt, Elemente davon umzusetzen, die allen ein gutes Überleben sichern, ist viel gewonnen. Wir sollten jetzt nicht zurückrudern und das Gewaltverbot aus dem Völkerrecht dahingehend auflösen, dass das Recht des Stärkeren gilt.
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