Für diese Illusion und unsere Naivität zahlt nun die Ukraine einen bitteren Preis. Man muss daher kein bis ins Knochenmark überzeugter Pessimist sein, um zu ahnen, dass auch dieser Krieg nicht der letzte sein wird. Dass Diktatoren alle Regeln des Völkerrechts, der Freiheit und des Rechts auf Leben über den Haufen werfen können. Dass überrollt wird, wer sich nicht schützen und verteidigen kann. Und dass man sich an einem fast zweitausend Jahre alten Spruch des Kriegstheoretikers Vegetius orientieren sollte: „Wenn du Frieden willst, rüste für den Krieg.“
Auf Österreich umgemünzt soll das nun nicht heißen, dass wir morgen der NATO beitreten müssen. Aber auch wir sollten aus unserer glückseligen Zurückgelehntheit aufwachen, die uns bisher die Gewissheit bescherte: Uns wird schon nix passieren, wir sind neutral und außerdem durch die Nachbarschaft mit vielen NATO-Ländern geschützt.
Wir sind aber Teil eines europäischen Ganzen. Wir sind Mitglied einer Wertegemeinschaft, eines riesigen Binnenmarktes, einer Europäischen Union, die auch Österreichs Beitrag braucht, um sich gemeinsam besser gegen Rivalen und Gegner zu rüsten. Dabei müssen wir Brüssel keine Panzer liefern oder Elitesoldaten schicken. Ziel muss es vielmehr sein, die ganze EU zu stärken – durch mehr inneren Zusammenhalt und vor allem den politischen Willen, so manch nationale, souveräne Extrawürstel an das Gemeinsame abzugeben. Wie gut das funktionieren kann, hat die EU schon beim Handel gezeigt. Hier sind wir Großmacht.
Doch wer seine Handelswege nicht schützen kann, wird auf die Dauer ebenso verlieren, wie Staaten oder eine Union, die ihr eigenes Territorium nicht vor Feinden bewahren. Und während der Krieg keine paar Hundert Kilometer von unseren Grenzen entfernt tobt, müssen wir uns fragen: Wären wir Europäer jetzt in der Lage, uns gegen einen offensichtlich zu allem entschlossenen Aggressor zu wehren? Ohne die Hilfe der USA ganz sicher nicht. Die schon so manches Mal scheintot geredete transatlantische Allianz, die auf unseren gemeinsamen Werten beruht, ist kein naives Märchen: Sie ist die Lebensversicherungspolitik für unsere liberalen Demokratien. Ganz banal gesagt: Sie bedeutet Stärke. Und die Erfahrung lehrt: Den Frieden erhält derjenige am längsten aufrecht, der stark ist.
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