Erforscht: Warum nichts so fest wie ein Napfschneckenzahn

Erforscht: Warum nichts so fest wie ein Napfschneckenzahn
Leobener Physiker untersuchten erstaunliches Materialverhalten. Dieses Wissen kann die Industrie nutzen.

Die Zähne der Napfschnecke sind zwar winzig, aber enorm verschleißbeständig. Fest, fester, fest wie Napfschneckenzahn, müsste demnach laut jüngsten Studien die Steigerungsform heißen, wenn es um die Widerstandsfähigkeit eines festen Körpers gegen Verschleiß geht. Der Grund liegt in der Mikrostruktur des Zahns, wie ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Physikern der Montanuniversität Leoben herausgefunden und in "Science Advances" publiziert hat.

Meeresküste

Die Napfschnecke (Patella vulgata) führt an und für sich ein beschauliches Leben an der Meeresküste: Um sich zu ernähren, schabt sie mit ihren Mikrometer großen Raspelzähnen, die sich auf der Zunge der Schnecke befinden, Algen von Felsen in der Meeresbrandung. "Dazu braucht sie sehr harte und verschleißbeständige Zähne", betonte Michael Wurmshuber vom Lehrstuhl für Materialphysik an der Montanuniversität Leoben im Gespräch mit der APA. Diese haben sich im Verlauf der Evolution zu den stärksten biologischen Materialien überhaupt entwickelt.

Stärkstes Biomaterial

Der Physiker gehört - wie sein Arbeitsgruppenleiter Daniel Kiener - dem internationalen Team aus experimentellen und theoretischen Wissenschaftern an. Die Forscher untersuchen die winzigen Zähne der Tiere, die bereits 2015 in einer Studie als stärkstes Biomaterial erkannt worden waren, detailliert auf Zusammensetzung und Festigkeit. Dabei ist es ihnen gelungen, die nanoskaligen Ursachen für die außergewöhnlichen Eigenschaften des Napfschneckenzahnes zu erklären und in einem Modell zu beschreiben. Wurmshuber hat in Leoben mikromechanische Versuche durchgeführt.

Warum diese so fest sind

"Die ursprüngliche Fragestellung von Professor Sang Ho Oh in Korea war es, zu untersuchen, wieso Napfschneckenzähne eine solch hohe Festigkeit und Härte aufweisen", schilderte der Leobener Forscher. "Unsere Aufgabe war es, Nanohärtemessungen und mikromechanische Druckversuche im Elektronenmikroskop durchzuführen", schilderte Wurmshuber. In miniaturisierten Zugversuchen wurde auf der Nanoskala ein sehr unkonventionelles und seltenes Materialverhalten beobachtet: Im Normalfall würde etwa ein Material, das man in Längsrichtung zieht, sich ausdehnen und dünner werden. In diesem Fall nahm es jedoch an Dicke zu, wenn man es streckte. In solchen - seltenen - Fällen spricht man von auxetischen Materialien.

Bis jetzt wurde ein auxetisches Verhalten allerdings nur in sehr weichen Biomaterialien oder porösen Materialmodellen gefunden. "Mit unseren Versuchen konnten wir auf der Mikroebene beweisen, dass der Napfschneckenzahn eine unglaublich hohe Festigkeit und Steifigkeit - und eben auch dieses attraktive auxetische Verhalten aufweist", betonte Wurmshuber.

Mikrostruktur

Ein wesentlicher Aspekt ist die spezielle Mikrostruktur des Zahnes. Im speziellen Fall sind längliche Eisenhydroxid-Nanokristalle in eine silikatische Matrix eingebettet. Wenn der Zahn belastet wird, kommt es zu einer koordinierten lokalen Rotation dieser Nanostäbchen, wodurch ein sogenanntes auxetisches Verhalten entsteht: Einfach erklärt, wird das Material dicker, wenn man daran zieht.

Anwendungen für Materialien mit hoher Härte und Verschleißbeständigkeit gäbe es viele, schilderte der Leobener Experte: "Denken Sie etwa an den Bereich der Werkzeugindustrie, wo z.B. Bohrer oder Fräsköpfe mit Schichten aus sehr harten und verschleißbeständigen Materialien überzogen werden, um längere Lebensdauer und besseres Schneidverhalten zu garantieren. Mit dieser Studie haben wir nun bewiesen, dass auxetisches Materialverhalten in der Natur angewendet wird, um solche Eigenschaften zu erreichen", führte Wurmshuber weiter aus. Die nächste Herausforderung sei, das von der Natur Gelernte in technologisch relevante Werkstoffe umzusetzen. Dies sei etwa mit modernen Methoden der additiven Fertigung, dem 3D-Druck, im mikroskopischen Maßstab denkbar.

Nicht hart, sondern fest

Während der Versuche sind die Forscher auf ein weiteres interessantes Phänomen gestoßen: "Die mikromechanischen Messungen lieferten einen kleineren Wert für Härte als für Festigkeit, was normalerweise in keinem Material auftritt. In Metallen ist die Härte beispielsweise üblicherweise drei Mal so groß wie die Festigkeit", erläuterte der Forscher. Mit Kollegen aus Deutschland, die auf Computersimulation von biologischen Materialien spezialisiert sind und auch bei der jüngsten Studie beteiligt waren, untersucht er nun den Grund für dieses Verhalten. "Diese Studie befindet sich gerade im Endstadium und so viel kann ich verraten: Es hat wieder mit dem auxetischen Verhalten der Napfschneckenzähne zu tun", schloss der Forscher.

Wurmshubers Forschungsschwerpunkte liegen in den mikromechanischen Untersuchungen von verschiedensten Materialien. In seiner jüngst abgeschlossenen Doktorarbeit untersuchte er metallische Proben für den Einsatz in Kernfusionsreaktoren.

 

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