Ego-Shooter-Epidemie: Sind aggressive Computerspiele ansteckend?

Gamer
Gaming dominiert das moderne Freizeitverhalten. Insbesondere die Gewalt-Sparte wird mit Skepsis betrachtet.

"Wähle deine Lieblingswaffe und stürze dich in die Schlacht!" Es sind Sätze wie diese, die Gamer vor Spielbeginn in Stimmung bringen. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass bei Ego-Shootern – trotz potenziell komplexer Handlungsstränge – die Gewalt dominiert.

Doch sind aggressive Computerspiele auch ansteckend? Dazu gibt es auch nach vielen Jahren der Forschung keinen finalen wissenschaftlichen Konsens. Die einen halten es für plausibel, dass Spielerinnen und Spieler zwischen realer Welt und Videospiel differenzieren können. Andere betonen das kathartische Potenzial von Ego-Shootern: Aggressive Impulse würden durch Mediengewalt im echten Leben verringert.

Es gibt noch eine dritte Perspektive, die unter anderem der deutsche Sozialpsychologe Tobias Greitemeyer von der Universität Innsbruck vertritt. Greitemeyer erforscht Computerspiele schon seit vielen Jahren. Und er ist überzeugt, dass gewalthaltige Computerspiele Aggressionen schüren können.

Gefühlsansteckung

Schon 2014 konnte er das im Rahmen einer großen Metaanalyse demonstrieren. Vor Kurzem hat er ein Folgeprojekt abgeschlossen. Darin widmete er sich basierend auf dem Phänomen der sozialen Ansteckung einer noch komplexeren Fragestellung.

In der Psychologie weiß man: Menschen lassen sich von Gefühlslagen anderer anstecken. "Wenn ich jemanden kenne, der zugenommen hat, dann nehme ich mit höherer Wahrscheinlichkeit auch ein paar Kilo zu", sagt Greitemeyer. "Mich hat interessiert, ob die Effekte von Computerspielen ebenso ansteckend sind."

Das hieße zunächst: Wer jemanden kennt, der aggressive Videospiele spielt, fängt wahrscheinlich auch an zu zocken, und wird aggressiver. Aber gibt es noch eine zweite Ansteckungsstufe? Greitemeyer: "Was ist, wenn mein computerspielender Freund aggressiver wird? Werde ich dann auch aggressiver, selbst dann, wenn ich nicht spiele?"

Der Sozialpsychologe stellte seine Annahmen im Labor auf die Probe. Er spielte einer Gruppe von Erwachsenen zufällig entweder ein gewalthaltiges oder ein gewaltfreies Spiel vor. Bei der folgenden Messung waren die Probandinnen und Probanden mit Gewaltspiel etwas aggressiver.

Dann wurde das Aggressionslevel einer zweiten Gruppe von nicht spielenden Personen gemessen: Sie waren aggressiver, wenn sie einen Freund oder eine Freundin hatten, der oder die vorher ein gewaltvolles Computerspiel gespielt hatte. Bemerkenswert: Sie mussten gar nicht Opfer von deren Gewalt sein. Es genügte, wenn sie eine aggressive Handlung der befreundeten Person beobachteten.

Zusätzlich befragte er Probandinnen und Probanden, wie viele aggressive Computerspiele sie selbst spielen bzw. ihr Umfeld spielt und wie aggressiv sie sind. Greitemeyer verknüpfte anschließend die Aussagen und erstellte ein Art Netzwerk: Wer kennt wen, wer spielt aggressive Spiele – und wie aggressiv sind bzw. werden die Personen im Netzwerk?

Vervielfachung

Greitemeyers Resümee: "Unsere Studien zeigen den Effekt, dass Spielende aggressiver werden, wenn sie gewalthaltige Spiele spielen. Noch stärker scheint der Ansteckungseffekt zu sein, wenn Personen in meinem Umfeld aggressiv sind – dann werde ich das auch, selbst wenn ich das nur beobachte." Das soziale Umfeld des Spielers reagiere also mit gesteigerter Aggression. Zwischen den Geschlechtern – typischerweise sind Frauen weniger aggressiv als Männer – zeigten sich keine Unterschiede.

Zwar ist der Effekt bei einer einzelnen Person gering. Allerdings potenziert sich dieser durch die hohe Zahl an Gamern weltweit. Allein in Österreich gamen etwa fünf Millionen Menschen. "Mit Interventionen zur Reduktion von Computerspielkonsum kann man die Aggression der Spielenden reduzieren. Zusätzlich profitieren davon Personen, die selber nicht spielen, wie etwa Geschwister. Setzt man also beim Spielenden an, erreicht man aggressionsmindernd das komplette soziale Umfeld, das hat schon Relevanz."

Nicht schwarz-weiß

Allerdings – auch das konnte Greitemeyer in früheren Studien bereits belegen – kann Gaming auch prosoziale Effekte haben. Computerspielende, die allein oder im Team virtuellen Charakteren helfen, agieren demnach in der realen Welt hilfsbereiter. "Wenn ich an kooperative Spiele denke, so habe ich früher Fußball gespielt. Mein Sohn spielt heute mit seinen Freunden gemeinsam Computerspiele und unterhält sich darüber, hier muss man nicht vereinsamen, es gibt eine soziale Verbundenheit."

Generell hält Greitemeyer eine differenzierte Sicht für angebracht: Selbst Ego-Shootern kann er etwas Positives abgewinnen. Sie bereichern etwa das räumliche Vorstellungsvermögen.

Diskussionen über ihre schädliche Wirkung entstünden oft nach Amokläufen, wenn sich herausstellt, dass die Tatperson besagte Games konsumierte. Wobei Millionen Menschen dies tun, und die nicht Amok laufen.

Besorgten Eltern empfiehlt Greitemeyer: Genau hinschauen und auf die Altersempfehlungen achten, denn viele Spiele sind erst ab 18 Jahren erlaubt.

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