Datenanalystin Rosling: "Wir leben in der besten aller Zeiten"
Anna Rosling Rönnlund, Co-Autorin des Bestsellers "Factfulness", über die menschliche Sucht nach Schwarzmalerei, warum Statistiken Grund zu feiern geben und früher eben nicht alles besser war.
Krieg, Krankheit, Katastrophen. Der Blick auf das aktuelle Weltgeschehen macht Zuversicht schwer. Sind wir endgültig im Zeitalter der Krisen angelangt? Mitnichten, sagt Anna Rosling Rönnlund. Noch nie war es um die Welt besser bestellt als heute. Dabei sei sie gar keine Optimistin, sagt die schwedische Datenanalystin und Designerin. Sie stützt diese Einschätzung auf Fakten und Statistiken. Und diese zeigen ihr: Nie zuvor war die Welt gesünder, wohlhabender und gebildeter.
Auch fünf Jahre nach Veröffentlichung des internationalen Bestsellers „Factfulness“, das sie gemeinsam mit ihrem Schwiegervater Hans Rosling und ihrem Ehemann Ola Rosling geschrieben hat, habe diese Bewertung über den Zustand der Welt nicht an Aktualität verloren.
KURIER: Sie wollen den Menschen zeigen, dass die Welt besser ist, als es scheint. Was übersehen wir denn?
Anna Rosling Rönnlund: Uns entgeht, wie sehr sich das Leben auf der Welt im Laufe der Zeit verbessert hat, da wir uns auf die negativen Dinge konzentrieren. Es ist also nur logisch, dass sich manche schwer damit tun, positiv zu bleiben. Vor allem im Moment, wo sich die negativen Nachrichten häufen.
Warum haben wir einen so düsteren Blick auf die Welt?
Erstens, weil wir ständig negativen Nachrichten ausgesetzt sind. Das ist es, worüber die Medien berichten. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild von der Welt. Denn eigentlich sind negative Ereignisse immer noch die Ausnahme. Mehr positive Berichte in den Medien würden das Problem aber nicht lösen. Denn – und das ist der andere Grund – wir Menschen lieben dramatische Geschichten. Fröhliche Nachrichten über positive Langzeitentwicklungen würden wir in der Zeitung überfliegen. Bis wir auf etwas stoßen, das unsere Aufmerksamkeit erregt. Denn unser Gehirn sucht nach dem Drama. Und neigt dazu, sich besser an das Drama zu erinnern, als an die positiven Dinge.
Inwiefern hat sich die Welt verbessert?
Noch vor 50 Jahren ist fast die Hälfte der Kinder weltweit vor dem fünften Lebensjahr gestorben. Jetzt sind es nur mehr ein paar Prozent. Auch die Lebenserwartung ist gestiegen und so viele Kinder wie nie zuvor besuchen eine Schule. So gesehen leben wir in der besten aller Zeiten. Und denken wir an die Covid-19-Pandemie. Als das angefangen hat, hätte niemand gedacht, dass wir in so kurzer Zeit einen Impfstoff haben werden. Aber durch die globale Zusammenarbeit in der Forschung war es möglich. Das ist doch erstaunlich.
Hat der Krieg in der Ukraine die positive Entwicklung gestoppt?
Abgesehen von dem furchtbaren Leid sorgt er natürlich für neue Machtverhältnisse und Allianzen. Auch wenn wir noch nicht wissen, in welche Richtung es genau gehen wird. Aber in der Geschichte hat es immer wieder Kriege gegeben. Wir haben uns in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg einfach nur an die friedlichen Zeiten gewöhnt. Die Situation in der Ukraine bringt diesen Zustand zwar ins Wanken. Und es wird eine Herausforderung sein, den Krieg und seine Folgen zu überwinden. Aber es ist nichts Neues.
Anna Rosling Rönnlund studierte Soziologie und Fotografie. Von 2007 bis 2010 arbeitete sie als Senior Usability Designer bei Google.
Gapminder: 2005 gründete die Schwedin mit ihrem Schwiegervater Hans Rosling, Professor für Internationale Gesundheit, und ihrem Ehemann, dem Statistiker Ola Rosling, die Organisation Gapminder. Diese widmet sich der Aufklärung mithilfe von Statistiken.
Das Buch: Gemeinsam fassten sie ihre Erkenntnisse in „Factfulness“ zusammen, das 2018 kurz nach dem Tod von Hans Rosling erschien.
Das Gleiche gilt wohl für die Klimakrise. Auch hier kann man den eindeutig negativen Trend nicht abstreiten.
Es wäre dumm, zu sagen, dass es sich puncto Klima in die richtige Richtung entwickelt. Das tut es natürlich nicht. Aber auch hier sollten wir uns die menschliche Entwicklung und die technologischen Errungenschaften vor Augen führen. Noch nie war ein so großer Teil der Bevölkerung gebildet. Und noch nie hatten wir bessere Möglichkeiten, zusammenzuarbeiten und etwas zu erreichen. Darauf müssen wir uns verlassen.
Aber momentan stecken viele eher den Sand in den Kopf, weil der Kampf aussichtslos scheint. Man denke an die vergangene Klimakonferenz.
Wenn beängstigende Dinge um uns herum passieren, neigen wir dazu, uns zurückzuziehen. Allerdings wird es dann umso schwerer, ein globales Problem wie die Klimakrise zu lösen. Ich habe aber auch Verständnis dafür. So wie die Debatte derzeit geführt wird, wird enormer Druck auf den Einzelnen ausgeübt, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das ist ein Grund, warum derzeit so viele junge Menschen verzweifelt sind. Stattdessen aber sollten wir den Druck auf Regierungen und die Industrie erhöhen. Ihre Entscheidungen sind ein viel größerer Hebel. Und es würde eine gewisse Verantwortung von uns Individuen nehmen. Ich glaube, wir haben erst ein ernstes Problem, wenn zu viele Menschen zu pessimistisch sind, um es überhaupt anzugehen.
Seit Kurzem leben acht Milliarden Menschen auf der Erde, der Großteil davon in Schwellenländern. Werden Sie bald zu den Industrieländern aufschließen?
Im Jahr 1800 waren Europa und Nordamerika mit Abstand die reichsten und gesündesten Regionen der Welt. Doch seit Mitte des 20. Jahrhunderts entwickeln sich die asiatischen Länder rasant. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird es bald viel Wohlstand auf der Welt geben.
Die westliche Welt hebt sich also nicht mehr durch ihren hohen Lebensstandard ab?
Nein. Wir sind in einem Weltbild verhaftet, in dem wir glauben, ständig in Führung zu liegen. Aber wenn wir einen Blick auf andere Länder werfen, sollten wir uns in Bescheidenheit üben. Ägypten, Peru, Bulgarien, Thailand zum Beispiel haben in den letzten Jahrzehnten einen beeindruckenden Wandel vollzogen. Und in Österreich verlangsamt sich das Tempo der Entwicklung.
Wo haben die Menschen statistisch gesehen das beste Leben?
Es ist einfacher zu sagen, wo sie am schlechtesten leben. Nämlich dort, wo sie ständig ums Überleben kämpfen müssen, keine Sicherheit und keinerlei Komfort haben. Wenn man nicht weiß, ob die Kinder überleben werden oder man sich die Medikamente leisten kann, wenn jemand krank wird. Man kann den Lebensstandard von Menschen am einfachsten an banalen Dingen des täglichen Lebens ablesen, wie Zahnbürsten, Toiletten, Betten. Dinge, die jeder Mensch braucht. Sobald sich das Einkommen erhöht, verbessern wir das als Erstes. Denn es ist nicht sehr angenehm, sich mit Fingern und Sand die Zähne zu putzen. Und wenn man eine Zahnbürste besitzt, ist es angenehmer, eine eigene zu haben, als sie mit der ganzen Familie zu teilen.
Heißt das, dass das Leben besser ist, je mehr Geld man hat?
Zu Beginn ja. Weil man mehr Wahlmöglichkeiten, Stabilität und Sicherheit hat. Aber sobald man ein gewisses Niveau erreicht hat, geht es laut Studien nicht mehr bergauf. Also als Superreicher ist man nicht automatisch glücklicher als jemand, der in einem Land wie Österreich ein sicheres mittleres Einkommen bezieht. Ab einem gewissen Punkt geht es mehr um Gesundheit, darum, mit Menschen zusammen zu sein, die einem etwas bedeuten als um Geld.
Sie machen sich für ein faktenbasiertes Weltbild stark. Glauben Sie, dass Emotionen ein schlechter Ratgeber sind?
Es scheint so. Obwohl es prinzipiell einfacher ist, Menschen mit Emotionen zu erreichen. Denken wir an den Tier- und Umweltschutz: Wenn wir ein süßes, kleines, pelziges Tier in einer Notlage sehen, wollen wir es retten. Tatsächlich aber ist es viel effektiver, die Umgebung zu schützen, in der dieses Tier lebt. So kann vielleicht nicht dieses spezielle Individuum, dafür aber alle seine Verwandten überleben. Für große Veränderungen sollten wir uns also auf die langweiligen Daten und Fakten konzentrieren und nicht auf Emotionen verlassen.
Hat Sie diese Arbeit mit den, wie Sie sagen, „langweiligen“ Statistiken verändert?
Ja. Ich bin keine Optimistin, aber wenn ich mich mit ihnen beschäftige, sehe ich einen Grund zu feiern. Sie geben uns Hoffnung, dass wir die Welt verbessern können, auch wenn wir vor Herausforderungen stehen.
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