Die Gründe, warum Familien am Projekt Mehrsprachigkeit scheitern, sind vielfältig, weiß Gruber. Neben der Persönlichkeit von Eltern und Kindern bestimmen auch die Lebensumstände mit, ob eine Zweitsprache beim Nachwuchs verkümmert oder floriert.
Nicht entmutigen lassen
Den Grundstein für erfolgreiche Mehrsprachigkeit legen Eltern mit dem selbstbewussten Umgang mit der eigenen Mehrsprachigkeit. "Meist sprechen die Mütter oder Väter selbst mehrere Sprachen. Eine Erstsprache und eine Umgebungssprache, beispielsweise die Sprache des Landes, in dem sie leben. Will man dem Kind seine Erstsprache weitergeben, konkurriert diese mit der dominanteren Umgangssprache", präzisiert Gruber. "Das erschwert es, mit dem Kind konsequent in der anderen Sprache zu reden."
Oft lassen sich Eltern schnell entmutigen, sobald das Kind zu sprechen beginnt und nicht in der gewünschten Sprache antwortet. "Sie ziehen dann meist den falschen Schluss, dass das Kind die andere Sprache nicht versteht." Ein Irrtum, weiß Gruber. "Sprachverständnis geht der Sprachproduktion voraus. Und daran, dass eine Unterhaltung möglich ist, erkennt man, dass das Kind einen versteht."
Infolge begehen Eltern oft den eigentlich größten Fehler: "Sie hören auf, in ihrer Sprache mit dem Kind zu sprechen. Wenn das Gehirn keinen Input mehr bekommt, hat es nichts mehr zu verarbeiten." Die neuronalen Bahnen werden nicht mehr befeuert, die Sprachkenntnisse abgebaut.
Auf ein maximales Limit, wie viele Sprachen gleichzeitig erlernt werden können, will sich Gruber nicht festlegen. "Kleine Kinder lernen Sprache, indem sie mit dieser umgeben werden. Die kognitive Verarbeitung läuft automatisch. Allerdings gibt es zeitliche Grenzen: Der Tag hat nur 24 Stunden." Gruber hat schon Familien beraten, in denen fünf Sprachen präsent waren. In solchen Fällen ist es wesentlich, dass auch andere Bezugspersonen und Bildungseinrichtungen Aufgaben übernehmen. Wichtig sei, abzuklären, welche Ziele in den einzelnen Sprachen erreicht werden sollen. Ob das Kind lediglich Grundkenntnisse erwerben soll, oder ob es in einer Sprache auch schulisch bestehen soll.
Immer die Bindung fokussieren
Ein gängiges Missverständnis sei, dass mehrsprachige Menschen alle Sprachen auf identischem Niveau sprechen: "Es kommt vor, aber selten. Die meisten Menschen haben eine dominante Sprache. Schon allein, weil bestimmtes Vokabular oft nur in bestimmten Kontexten erlernt wird."
Für Eltern hat Gruber ganz praktische Tipps parat. "Man sollte möglichst viel und abwechslungsreich mit den Kindern sprechen." Gemeinsames Lesen sei fast unabdingbar für den guten Spracherwerb. Auch andere, auditive wie visuelle, Medien eignen sich hervorragend, Sprachkenntnisse zu stärken. Grubers wichtigster Tipp setzt aber tiefer an: "Alles dreht sich um die Beziehung zum Kind. Sprache ist viel mehr als ein Kommunikationsmittel. Sobald man die Beziehung in den Fokus stellt, blühen die Kinder auch sprachlich auf."
In Wien gibt es zahlreiche Schulen, etwa die schwedische, serbische oder griechische Schule, in denen Kinder nachmittags oder am Wochenende zusätzlich zu ihrem regulären Schulbesuch in einer anderen Sprache unterrichtet werden. Bildungseinrichtungen, die Mehrsprachigkeit unterstützen, begrüßt Gruber. Auch hier plädiert sie dafür, die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen. "Kinder lernen am besten, wenn sie in einem positiven Umfeld sind. Wenn eine Einrichtung das bieten kann – perfekt."
Immer wieder hört man, dass mehrsprachige Kinder kognitiv profitieren. Sind einsprachige Kinder im Umkehrschluss geistig wenig fit? "Das kann man so keinesfalls sagen." Zwar hätten Studien gezeigt, dass zweisprachige Kinder mehr graue Masse (steuert etwa Informationsverarbeitung und logisches Denken, Anm.) in bestimmten Arealen des Hirns haben, "das bedeutet aber nicht, dass monolinguale Kinder das nicht erreichen können".
Vieles spricht also dafür, Kinder mit mehreren Sprachen in Berührung zu bringen. Fälle, in denen man darauf verzichten sollte, gibt es laut Gruber nicht. Auch Kinder mit kognitiven Einschränkungen würden profitieren. "Bei Autismus gibt es sogar Studien, die förderlichen Effekte der Mehrsprachigkeit belegen."
Beginnen sollte man mit der bilingualen Sprachvermittlung schon ab der Geburt – "eigentlich schon, wenn das Baby noch im Mutterleib ist".
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