Bernstein: Warum das "Gold des Waldes" fasziniert
150 Jahre lang gab die in Bernstein konservierte Blüte vor, eine Scheinkamelie zu sein. Nun steht fest, dass es sich bei der 3 cm großen und damit größten bisher entdeckten Pflanzeninklusion um eine asiatische Vertreterin der Gattung Symplocos handelt. Das Alter des „sweetleafs“ in Baltischem Baumharz: 35 Millionen Jahre. Christa-Charlotte Hofmann, Paläontologin an der Uni Wien, brachte die Expertise mit und das „nötige Sitzfleisch“ auf, um das Fossil aus deutscher Sammlung anhand unzähliger Fotos neu zu bewerten.
Nicht nur Pflanzen, vor allem Tiere überdauern in ausgehärtetem Harz Jahrmillionen.
2022 etwa förderten derartige Zeitkapseln u. a. eine Schnecke mit borstigem Haus zutage, eine unbekannte Ur-Ameise, längst ausgestorbene Netzflüglerlarven und das Missing Link der Zecken-Evolution. Hofmanns Erkenntnisse über das vermeintliche Teestrauchgewächs erschienen kürzlich im Fachmagazin Scientific Reports (Erstautorin: Eva Sadowski). All die Relikte sind wertvolle Puzzleteile vom einstigen (Wald-)Leben auf dem Blauen Planeten.
Zeitzeugen in 3-D-Qualität
„Bernsteineinschlüsse sind so interessant, weil sie Dinge zeigen, die es sonst nicht zu sehen gibt“, sagt Mathias Harzhauser. Der Abteilungsdirektor Geologie & Paläontologie im Naturhistorischen Museum Wien hebt zunächst die Objekte hervor. Üblicherweise hinterlassen Mücken, Spinnen oder Parasiten kaum Spuren, mit viel Glück gibt es flach gepresste Zeitzeugen. Das flüssige Harz jedoch hält die filigranen Tierchen mitten im Leben bzw. Sterben fest; Beweise ihrer Existenz in 3-D-Qualität.
Genauso verhindert das „Gold des Waldes“, dass Blüten verwelken. Pflanzeneinschlüsse sind trotzdem selten. Vermutlich erschwert die Oberflächenspannung des weichen Feststoffes, dass (größere) Teile haften bleiben.
DNA kann nicht isoliert werden. „Nonsens“, kommentiert Harzhauser daher den Film „Jurassic Park“, in dem Dinos mittels Erbgut aus einer konservierten Mücke zu Leben erweckt werden. Unsinn auch, weil der Großteil der Inklusionen erst nach dem vernichtenden Meteoriteneinschlag vor 66 Millionen Jahren entstand.
Einzigartige Details
„Knochen zerfallen. Hohlräume im Bernstein dagegen zeigen einen einzigartigen Detailreichtum, selbst feinste Härchen oder Facettenaugen sind sichtbar“, verweist der Kenner auf ein weiteres Spezifikum der gelben bis braunen Geheimnisträger. Freilich geben die Überbleibsel nur einen Ausschnitt vergangener Biodiversität preis. Nur spezielle Baumarten produzierten den natürlichen Klebstoff, nur „Schwächlinge“ konnten sich nicht daraus befreien, nur Zufallsfunde schaffen es bis unter das Elektronenmikroskop von Spezialisten.
Bekannte Lagerstätten
Dabei stehen die Chancen, an Material zu gelangen, mancherorts gar nicht schlecht. Reiche Lagerstätten liegen an der Ostsee, im Baltikum, in Myanmar, der Dominikanischen Republik und in Neuseeland. „In Österreich braucht man nicht zu suchen, auch wenn z. B. in Gablitz Bernstein gefunden wurde“, sagt der Geologe. Das Umgebungssediment übrigens lässt eine zeitliche Einordnung zu, die ältesten Raritäten datieren auf 260 Millionen Jahre, häufiger sind 25 Millionen Jahre junge Objekte aus der Karibik.
Schmuckstücke aus dem "Gold des Waldes"
Von diesen Fundorten stammen auch die Rohstoffe für Schmuckstücke. „Bernstein zählt zu den ersten Materialien, mit denen sich Menschen schmückten. Belege gehen auf 10.000 Jahre v. Chr. zurück“, sagt Vera Hammer, Präsidentin der Österreichischen Mineralogischen Gesellschaft. Damals wurde Bernstein aus der Ostsee zu Ketten gefädelt; an den Küsten Deutschlands wird das „Gold des Waldes“ bis heute angeschwemmt.
„Wien war im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Bernsteinverarbeitung. Es wurden Schmuckstücke, aber auch Zigarettenspitze hergestellt“, weiß die Expertin. Der Abfall lieferte eingeschmolzen wieder Material für Ketten, Broschen, Ringe & Co. Die zart-gelbe bis braune Färbung des Material besticht immer noch, zudem ist Bernstein im Vergleich zu echten Steinen leicht und warm und erschwinglicher als das Edelmetall.
Heute sind neben Pressbernstein auch Kunststoff-Nachbildungen im Umlauf. Vor allem in China ist die Zierde aus Harz stark nachgefragt. „Bernstein-Schmuck sollte man nie im Internet kaufen“, rät Hammer. Beim Juwelier gibt es ein Echtheitszertifikat und die Möglichkeit zum Umtausch. Erbstücke haben ideellen Wert.
Für die Forschung dagegen ist Bernstein mit Einschlüssen quasi unbezahlbar.
Knochenarbeit
Die Riesenbernsteinblüte, die jetzt in Wien ihre wahre Bestimmung fand, wurde 1872 im russischen Kaliningrad geborgen. Das Besondere, ungeachtet des Größenrekords: Sie entließ just bei der Einbettung ins Harz ihre Pollen. Expertin Hofmann bleibt nüchtern: „Das Herausarbeiten, was ,es‘ nun sein könnte, also eine Symplocos-Art, die eine Verbindung mit Asien hat, nahm viel Zeit in Anspruch: vergleichen, abgleichen, ausschließen, verwerfen, wieder vergleichen, bessere Bilder machen, suchen etc.“ Nachsatz der Paläontologin: „Wir arbeiten immer so.“
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