Auswilderung: Was Zoos und Samenarchive für den Artenschutz leisten
Ausreichend gesunde Nahrung, beste medizinische Betreuung, keine Rivalen, keine Fressfeinde: Das Leben in Gefangenschaft kann für Publikumslieblinge durchaus vorteilhaft sein.
84 Arten aus Fauna und Flora, die 2022 auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN unter „ausgestorben“ eingestuft waren, sind noch in Zoos, Aquarien, botanischen Gärten oder Saatgutarchiven zu finden. Das zeigt eine britische Bestandsaufnahme, sie ist kürzlich im Fachmagazin Science erschienen. „Ohne die Schutzbemühungen engagierter Organisationen hätten wir bereits Säbelantilope, mehrere polynesische Baumschnecken und den gelb blühenden Toromiro verloren“, sagt Erstautor Donal Smith vom Londoner Institute of Zoology.
Seiner Studie zufolge sind seit 1950 elf Arten in menschlicher Obhut gänzlich vom Blauen Planeten verschwunden; zwölf Spezies konnten den Status als Wildtier bzw. Wildpflanze dagegen wiedererlangen. Smith’ Fazit: „Es gibt viele Möglichkeiten, das Aussterben zu verhindern, wir müssen sie nur ergreifen.“ Kollegen sprechen freilich von einer „Herkulesaufgabe“.
Nachzuchten
„Arten sterben in der Wildbahn meist aus, weil ihr Lebensraum verloren geht“, nennt Regina Kramer, Kuratorin für Artenschutz und Forschung im Tiergarten Schönbrunn, eine wesentliche Hürde für die Auswilderung von Nachzuchten. Es reicht nicht, den Kärpfling im Wiener Aquarium aufzupäppeln, wenn die Quelle in Übersee durch Staumauern nahezu versiegt ist. Es hilft dem Hietzinger Panzernashorn nicht, wenn es in der Heimat seiner Vorfahren Zielscheibe ist.
„Jede gefährdete Art hat andere Probleme, kein Projekt ist übertragbar“, führt Kramer eine weitere Herausforderung an. Was den Berberaffen schützt, bringt dem Fidschi-Leguan nichts. Grundlage für jede Rettungsaktion ist Fachwissen. Auch daran mangelt es oft. So stellen moderne Zoos nicht zuletzt Forschungen an, um wildes Leben wieder zu ermöglichen.
Überbrückung
„Der Arterhalt im Zoo kann nicht Endstation einer Tierart sein. Wir können einen gewissen Zeitraum überbrücken, Ziel muss das Überleben draußen sein“, sagt Michael Köck vom Haus des Meeres in Wien. Der Kurator für die Abteilung Süßwasser, Vögel & Säugetiere kennt die Grenzen der Nachzucht im sicheren Bereich. Um die genetische Vielfalt eines einzigen Süßwasserfisches zu erhalten, bräuchte es rund 7.000 Becken. Aqua-Zoos können diese Herkulesaufgabe nicht alleine stemmen, private Artenschützer sind gefragt. Hübsche Tiere mit spannender Geschichte haben bei diesen bessere Chancen auf Unterstützung als die zahlreichen grauen Mäuse mit gleicher Existenzberechtigung.
Pflanzenschutz
„Um eine Kultursorte langfristig vital zu halten, müssen mindestens 50 bis 80 Pflanzen vermehrt werden“, gibt Michaela Arndorfer von Arche Noah eine botanische Faustregel aus; der Verein setzt sich seit 1989 für den Erhalt bedrohter Kultursorten ein. Bei nur einer Handvoll Samen reichert sich unvorteilhaftes Erbgut im Grünzeug an, jede Generation wird kümmerlicher. Zudem verliert die Sorte durch genetische Einengung an Anpassungsfähigkeit. Sie kann nicht mehr ausreichend auf Krankheiten oder klimatische Veränderungen reagieren. Regelmäßiger Anbau zur Auffrischung ist notwendig.
Erfolgreiche Beispiele
Ob Flora oder Fauna - Erfolgsgeschichten gibt es auch aus Österreich. Drei Beispiele zeigen, wie es geht:
- Tiergarten. Der Schmutzgeier unter den Fittichen des Zoos: „Wenn neun Jungtiere pro Jahr in Bulgarien ausgewildert werden, könnte die Population dort in zwanzig Jahren wieder stabil sein“, rechnet Regina Kramer vor. Seit Langem beteiligt sich der Tiergarten Schönbrunn an einem Schmutzgeier-Zuchtprogramm. Mit Erfolg. Die Artenschützerin ist trotzdem nur vorsichtig optimistisch: Die am Balkan fast ausgestorbenen Greifvögel sind in der Wildbahn zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Es droht Tod durch Überanstrengung am Zug, durch Stromleitungen, Giftköder oder Bejagung sowie durch Naturkatastrophen wie unkalkulierbare Auswirkungen des Klimawandels. Kramer: „Wir haben im Zoo ein Pärchen, die Tiere werden zwanzig Jahre alt.“ Pro Saison bebrüten sie zwei Eier.
- Aquazoo. Aus sicherem Hafen ins kalte Wasser: Gerade noch rechtzeitig retteten einst Hobby-Aquarianer den Tequilakärpfling aus der verschmutzen Quelle seiner einzigen Heimat. Jetzt lebt der kleine Süßwasserfisch wieder im renaturierten Hochland Mexikos. „Das Projekt startete am 1. 11. 2017, am Tag der Toten“, schildert Michael Köck aus dem Wiener Haus des Meeres. Zuvor musste die lebendgebärende Art von Parasiten befreit werden, lernen, dass Menschen in der Wildbahn keine wohlwollenden Pfleger sind, und wo es Futter und Verstecke gibt. „Vor sechs Jahren haben wir Fische mit Farbcodes unter der Haut ausgesetzt, heuer waren zwei Drittel der Tiere nicht mehr markiert“, freut sich Köck. Seine Schützlinge haben sich in der Natur erfolgreich vermehrt.
- Samenarchiv. Saat im geschützten Bereich aufgegangen: Es hat feines Blatt, guten Geschmack und eine handliche Größe. Trotzdem wurde das Oststeirerkraut zuletzt nur noch von einer einzigen Bäurin in Wenigzell angebaut. Neue, robustere Sorten eigneten sich besser für die maschinelle Landwirtschaft. Doch die Arche Noah nahm sich der aussterbenden Kulturpflanze an. Das war vor mehr als 15 Jahren. „Der Trend beim Oststeirerkraut geht seither stetig aufwärts“, sagt Michaela Arndorfer, Bereichsleiterin Sammlungen & Samenarchiv des Vereins. Früher war Kraut – geschnitten und eingesäuert – in Österreich das Wintergemüse schlechthin. Doch die Tradition ging verloren. Das Oststeirerkraut überlebte knapp. Zunächst wurden die Samen gesammelt, im Garten gepflanzt und schließlich vermehrt. Mittlerweile interessieren sich Gärtnereien für die Vermarktung von Saatgut wie Grünzeug.
Hilfe von allen Seiten
„Um bedrohte Spezies vor ihrem Schicksal zu bewahren, müssen Naturschützer, Gesetzgeber und die Öffentlichkeit deren Notlage erkennen“, resümiert denn Donal Smith: „Es liegt an uns, den Biodiversitätsverlust zu bremsen.“
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