Der große Frust der Spitalsärzte

Der große Frust der Spitalsärzte
Sparmaßnahmen, weniger Zeit für den Patienten und immer mehr Verwaltungsaufwand lassen Mediziner verzweifeln.

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Überfüllte Ambulanzen, Gangbetten, lange Wartezeiten bei Operationen. Nicht nur Patienten sehen das Wiener Gesundheitssystem in Schieflage, auch viele Ärzte.

"Es herrscht großer Frust unter den Ärzten", sagt Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres. "Die Gesundheitsreform funktioniert überhaupt nicht. Der Papierkrieg wird immer größer, die Zeit für den Patienten immer weniger." Die Folge: Die Menschen weichen auf den Privatbereich aus. "Die, die sich das nicht leisten können, bleiben über", sagt Szekeres.

Der große Frust der Spitalsärzte
ABD0031_20150129 - WIEN - ÖSTERREICH: Der Präsidenten der Wiener Ärztekammer Thomas Szekeres während der Pressekonferenz anl. der" Einigung für städtische Spitäler Wiens" am Donnerstag, 29. Jänner 2014, in Wien. - FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER

Der KURIER hat die Ursachen für den Frust der Ärzte zusammengefasst:

  • Arbeitszeiten

Mit dem neuen Arbeitszeitgesetz sollen auch Kosten reduziert werden. Effekt: Die Ärzte sind weniger lange am Patienten. Auch die Reduktion der Nachtdienste stoßt den Ärzten sauer auf. Früher war nach dem Nachtdienst der Arzt noch bis Mittag im Spital. "Jetzt endlich müssen wir nach Hause gehen, ein anderer Arzt übernimmt, aber die Behandlungskontinuität ist nicht mehr gegeben", sagt Romana Ortner, Leitende Oberärztin am Otto-Wagner-Spital, Dachverbandvorsitzende Wiener Mittelbau und Personalvertreterin. "Dadurch steigt die Fehleranfälligkeit und Behandlungen dauern länger." Ein KAV-Sprecher kontert: Schon 2014 sei die reale Arbeitszeit unter den jetzt vorgeschriebenen 48 Stunden gelegen. "Bisher ist es vielen der 150 Abteilungen nicht gelungen, die Dienstpläne gemäß dem neuen Dienstzeitmodell umzugestalten."

  • Weniger Operationen

"Bei gleicher Zahl an Patienten gibt es nachweislich weniger Operationen", sagt Ortner. In der Folge steigen die Wartezeiten und der Frust der Patienten, den auch die Ärzte spüren. Die KAV-Direktion will den Vorwurf nicht so stehen lassen: "Punktuell kam es durch einen Mangel an Anästhesisten zu eingeschränkten OP-Kapazitäten, die über den Zeitverlauf aber aufgeholt werden konnten."

  • Stationssperren

Erst vor zwei Wochen wurde bekannt, dass im Krankenhaus Floridsdorf eine Bettenstation dauerhaft gesperrt wird. Geplant war die Sperre erst 2017 mit Eröffnung des Krankenhaus Nord. In einem offenen Brief wehrten sich die Ärzte und warnten vor einer Unterversorgung. Im KAV heißt es, dass die Sperre auf die zu geringe Auslastung zurückzuführen sei. Die Schließung sei eine optimale Vorbereitung auf die Übersiedelung ins Krankenhaus Nord.

  • Kommunikation

Das vorherige Beispiel zeigt auch die fehlende Kommunikation. "Es wird über uns drübergefahren, wir werden nicht eingebunden und fürchten uns vor jedem neuen Schreiben", sagt ein Arzt. Einen autoritären Führungsstil der KAV-Spitze ortet auch Ortner. Im KAV kann man den Vorwurf dagegen nicht nachvollziehen. Man habe gerade im vergangen Jahr Mitarbeiter aller Hierarchie-Ebenen eingebunden.

Vor Kurzem erhielten Primarärzte einen Brief, in dem sie Maßnahmen in ihrer Abteilungen benennen sollten, um 10 Prozent einzusparen. "Das ist ohne Leistungsreduktion nicht möglich", sagt ein Primar. "Dann hätten wir jahrelang falsch gewirtschaftet, wenn wir einfach so 10 Prozent einsparen könnten." Drastischer drückt es Szerekes aus: "Das ist konzeptlos und absurd. Ein Unternehmen, das Millionen für Berater zahlt, fragt die Basis, was sie machen sollen?" "Wir wollen alle Sparpotenziale ausloten", sagt dagegen ein KAV-Sprecher.

  • Technik

Bis heute sind nicht alle Wiener Spitäler miteinander vernetzt. "Wir müssen Röntgenbilder kopieren und verschicken", erzählt ein Arzt aus dem Wilhelminenspital. "In allen Häusern gibt es einen Stopp der Modernisierungsplanungen, bis das Krankenhaus Nord fertig ist. Dort hauen sie das Geld beim Fenster raus, anderswo bröckelt der Putz von der Decke", sagt Ortner. Dienstpläne werden nach wie vor am Papier erstellt. "Es ist schlicht falsch, dass Dienstpläne auf Papier erstellt werden müssen. Neben schon existenten Systemen gibt es auch ein Behelfssystem auf Excel-Basis", heißt es dagegen aus dem KAV.

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Der große Frust der Spitalsärzte

Bei den Hausärzten steigt ebenfalls der Frust. "Der bürokratische und administrative Aufwand hat sich enorm erhöht, etwa durch das Arzneimittelbewilligungssystem", schildert ein Hausarzt. Das größte Problem sei aber die fehlende Wertschätzung durch Krankenkassen und Politik. Vor allem das Mystery Shopping stößt den Ärzten sauer auf. "Wir brauchen keine Spitzel in unseren Ordinationen", sagt Rudolf Hainz, Stellvertreter des Kurienobmanns in der Ärztekammer. Er beklagt auch die Minderbezahlung von Hausärzten gegenüber Fachärzten. Die Folge: "Die Attraktivität des Hausarztberufes hat deutlich abgenommen." So wurde eine Hausarzt-Stelle in Favoriten drei Mal ausgeschrieben – ohne das sich ein Arzt beworben hätte. Immer mehr Ärzte machen Wahlarztpraxen auf. Hainz: "Für den Kassenpatienten stehen immer weniger Ärzte zur Verfügung."

"Wir machen Mystery Shopping nur in begründeten Verdachtsfällen", sagt hingegen WGKK-Obfrau Ingrid Reischl: "Es wird nicht flächendeckend angewandt." Auch hätten die Allgemeinmediziner vor zwei Jahren bei den Honorarrunden eine deutliche Erhöhung bekommen. Langfristig sollen Primärversorgerzentren kommen, in denen mehrere Ärzte zusammenarbeiten. Dass Wien mehr Allgemeinmediziner braucht, sieht aber auch Reischl so: "Die Stadt wächst."

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