Wie wir uns in Zukunft ernähren

Von Communicooking bis zu hyperregional: Das Essverhalten verändert sich immer rasanter.

Hyperregionalität“ löst die „Fusionsküche“ ab. Im Internet finden sich immer mehr Locations und Termine für „Guerilla Dinner“. Und über Apps kann man sich Feedback zum eigenen Ernährungsverhalten aufs Smartphone holen oder sich von Unbekannten Essensempfehlungen direkt ins Restaurant liefern lassen.

„Solche Trends sind immer Antworten auf die Bedürfnisse der Konsumenten“, sagt Ernährungsforscherin Hanni Rützler. So gesehen haben wir derzeit ganz schön viele Bedürfnisse zu stillen. Selten zuvor hat sich das Ernährungsverhalten so rasant verändert wie in den vergangenen Jahren – und noch nie gab es so viele alternative Angebote. Wohin unsere Esskultur noch führt, interessiert auch den Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs (VEÖ). Die Food-Trends wurden am Freitag bei der Jahrestagung diskutiert.

Internet

Eine Welt ohne „world wide web“ ist kaum mehr vorstellbar, auch wenn es um unser Ernährungsverhalten geht. Rezeptseiten, Zustellservices oder Infos über temporäre Restaurants („Guerilla Dinner“) sind nur einige dieser Phänomene. Das Internet eignet sich hervorragend, um Angebot und Nachfrage zu bedienen. „Kein Wunder, wenn die Angebote immer spezifischer werden“, sagt Michael Schuster von der Wiener Beraterfirma Speedinvest. Dort unterstützt man Jungunternehmer bei der Umsetzung ihrer Ideen. „Es wird nicht mehr lange dauern, bis man im Büro seinen Kaffee nach persönlichen Vorlieben im Internet bestellt. Über eine WLAN-Verbindung kommt genau dieser Kaffee dann aus der Kaffeemaschine im Büro.“

Persönlichkeit

„Die eigene Individualität und Kreativität steht im Zentrum. Man ist die Maßeinheit des eigenen Lebens“, beschreibt Ernährungswissenschaftlerin Rützler einen vor allem im urbanen Raum stärker werdenden Trend. Beim Essen wird vieles ausprobiert und neu kombiniert („New Fusion Food“). Dazu kommt „Communicooking“. Rützler: „Hier dient allein das Essen und nicht das Verhältnis der Essrunde als Basis für die Kommunikation. Essen verbindet.“ Das liefert auch noch Gesprächsstoff bis hin zur Lebenssituation, aus der das jeweilige Rezept stammt.

Hyperregional

Ein Blick in die hochgepriesene Neue Nordische Küche zeigt: Ein bisserl was geht immer noch, sogar beim ohnehin hochaktuellen Trend zu regionalen Lebensmitteln aus nächster Umgebung. Starköche à la Rene Redzepi (Noma in Kopenhagen) oder Magnus Nilsson (Fäviken Magasinet in Nordschweden) setzen auf Flechten und Moos aus den umliegenden Wäldern, nicht nur zur Deko. Danach gibt es vielleicht rohen Fisch und Hafermehl oder warmes Rinderblut. „Eigentlich wird damit die regionale Küche schon wieder verlassen“, meint Rützler. „Das Essen wird so inszeniert, dass sich der Gast als Jäger und Sammler fühlt.“ Vielen wird anstatt Moos in Schweden ein Stück Fleisch aus der Region lieber sein.

Rützler: „Das sind Inszenierungen in einer eigenen Sprache, die nichts mit unserem Essen für alle Tage zu tun haben.“ Sie erinnert an den spanischen Erfinder der Molekularküche, Ferran Adrià. „Bei ihm ging es rein um den Geschmack der Speisen, die er in ihrer Form total verfremdete. Sein Verdienst ist, Nahrung bewusst zu schmecken und damit Neugierde zu wecken.

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In der Wohnung tun Grünpflanzen Körper und Seele gut – aber Paradeiser und Häuptelsalat am Balkon? Immer häufiger pflanzen moderne Städter Setzlinge und schauen ihnen vom Wohnzimmer aus beim Wachsen zu.

"Sich Natur in den Wohnraum zu holen wird als Verbesserung der Lebensqualität gesehen“, sagt Essforscherin Hanni Rützler. „Aber es sollen nicht irgendwelche Grünpflanzen sein, sondern etwas zum Essen, zum Naschen. Man betrachtet die Pflanzen als Teil der Küche.“

Der obligate Kräutertopf hat also ausgedient? Nein, sagt Andrea Heistinger, Agrarwissenschaftlerin und Gartenexpertin bei der Arche Noah in Schiltern. „Die neue städtische Gartenbewegung lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Gemeinsam ist ihr allerdings enorme Kreativität und Lernfähigkeit.“ Da ist man vor allem in London und den Niederlanden schon weiter. Dort finden sich etwa ausgeklügelte Bewässerungssysteme auf der Terrasse oder das Salatbeet wird über der Balkontür angebracht, um jeden Quadratzentimeter zu nutzen.

In der Stadt herrschen andere Voraussetzungen als am freien Land. „Gemüse braucht einen lockeren, gut aufbereiteten Boden und kann nicht einfach unter einem Baum gepflanzt werden.“ Das städtische Garteln erleichtern übrigens zahlreiche Helferleins wie etwa „Growbags“ – Wachstumssäcke aus speziellem Plastik für Paradeiser und Paprika.

Guerilla Dinner, Hyperregionalität, New Fusion Food und, ganz neu, Communicooking: Wer bei den aktuellen Gastronomie-Trends mitreden will, braucht einen eigenen Sprachführer. Guerilla Dinner steht für „geheime“ Lokale. New Fusion Food bezeichnet den Trend zu immer wilderen Aroma-Kompositionen. Communicooking heißt, eine Runde isst und spricht dabei ausschließlich über das Essen. Und mit Hyperregionalität sind Restaurants wie das sagenumwobene Noma in Kopenhagen gemeint, die im Wunsch, lokale Produkte zu bieten, auch Flechten, Moos und warmes Blut auf den Teller bringen. Damit der Gast sich – sagen Trendforscher – beim Essen wie ein Jäger und Sammler aus der Steinzeit fühlen kann (gibt’s dann auch kein Besteck, keine Tische und kein Klo?).

Wir leben in einer Inszenierungsgesellschaft, in der absolut alles als „Event“ verkleidet werden muss. Falls Sie das nächste Mal Ihre Gäste wirklich beeindrucken wollen, servieren Sie ihnen Butterbrot und nennen Sie das Ganze: „New hyperradical noncooking-cooking“.

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