Wie Essverhalten und Psyche zusammenhängen

Wie Essverhalten und Psyche zusammenhängen
Wenn einem ein Teil des Lebens nicht "schmeckt" und man dies verdrängt.

Ein Stückerl Schokolade als "Seelentrösterli", wenn man frustriert oder traurig ist – das kennt fast jeder. Problematisch wird es dann, wenn Süßigkeiten oder Essen generell als eine Art von Ersatzbefriedigung eingesetzt wird. "Ungesunde Essgewohnheiten schleichen sich nicht ein, weil Menschen Spaß an ihnen haben. Sie agieren oft aus Überforderung und seelischer Not heraus", sagt Romana Wiesinger. Die Psychotherapeutin betreibt in Perchtoldsdorf eine Praxis mit Schwerpunkt Essverhalten. Sie plädiert dafür, der psychischen Komponente mehr Raum zu geben. In ihrem aktuellen Buch "Kochbuch für die Seele" beschreibt sie fünf unterschiedliche Gruppen, deren Essverhalten verschiedene Wurzeln hat.

Immer weniger Menschen sind zufrieden

Was sie in ihrer langjährigen Arbeit bemerkt hat: Die Gruppe der "Zufriedenen" mit gesundem Essverhalten und im Einklang mit sich selbst wird immer kleiner. Mehr werden dafür jene, denen "ein Teil ihres Lebens nicht schmeckt" (die "Kontrollierten") oder jene, die "in großen Teilen ihres Lebens nicht satt" werden (die "ewig Unzufriedenen").

Wie lässt sich das Dilemma aus unbefriedigten Bedürfnissen und unkontrolliertem Essverhalten also lösen? Für Wiesinger ist wichtig, zuerst einmal die Wurzeln für das falsche Ernährungsverhalten zu ergründen. "Jedes Gefühl kann man gut hinunterschlucken, wenn man nicht gelernt hat, anders damit umzugehen. Ein Hinterfragen der eigenen Gefühlswelt könnte mitunter aufschlussreich sein."

Gefühle anerkennen statt verdrängen

Das muss gar nicht so kompliziert sein, wie es klingt: "Prinzipiell hilft meist auch schon die Tatsache, Gefühle anzuerkennen, sie wahrzunehmen und zuzulassen", betont die Expertin. Etwa könnte der "Hungrige" feststellen, dass ihm Telefonate mit einem bestimmten Menschen nicht gut tun – und er immer danach isst. Als Reaktion auf diese Erkenntnis ließe sich vielleicht an der Kommunikation oder auch nur am Zeitpunkt der Telefonate etwas verändern.

Geschlechter-Klischee

Ein weiterer Faktor sind Geschlechter-Klischees – Soziologen nennen das "Genderdoing". Vereinfacht gesagt: Männer essen Fleisch, Frauen Salat. "Unser Essverhalten ist sozial konstruiert", betont die Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Spektrum der Wissenschaften. Buben lernen bereits von klein auf, dass Fleisch groß und stark mache. Die Folgen der Kulturgeschichte wiegen also schwerer, als evolutionäre Prägungen, in denen Fleischgenuss mit Jagen und Männlichkeit verbunden ist.

Was in Supermarktregalen in Augenhöhe ins Regal geschlichtet ist, wird eher gekauft. Und wo „bio“ draufsteht, muss es sich zwangsläufig um etwas Gesundes handeln. „Die menschliche Wahrnehmung ist subjektiv und selektiv“, sagt die Schweizer Ernährungspsychologin Ronia Schiftan in ernährung.heute. Dazu kommen Erfahrungen, Wissen oder Erwartungen. Es überrascht also wenig, dass uns dabei bestimmte Effekte und Akteure beeinflussen. Das Gehirn ist enorm gefordert, ob beim Einkaufen oder bei der Beschäftigung mit Ernährung.

Top Down Dahinter verbirgt sich ein grundlegender Mechanismus, der die Wahrnehmung lenkt. Er beschreibt eine willkürliche Aufmerksamkeit aufgrund einer bestimmten Erwartung. Wir sehen also, was wir sehen wollen.

Bottom Up Dieser zweite Mechanismus ist das Gegenteil vom „Top-Down-Prozess“: Aufmerksamkeit wird unwillkürlich erregt, etwa durch Signale, Labels oder Aufdrucke. Im Supermarkt beschäftigen uns diese beiden Mechanismen in einem ständigen Wechsel.

Priming Darunter versteht man in der Psychologie die unbewusste Beeinflussung in eine bestimmte Richtung. Im Lebensmittelbereich gibt es unzählige Beispiele, sagt Schiftan: mit saftig-grünen Wiesen mit Kühen assoziiert man häufig eine gesunde Natur, eine glückliche Familie mit Geborgenheit.

Halo-Effekt Gemeint ist: ein einzelner Faktor überstrahlt den Rest, z. B. das Prädikat „bio“ steht für gesunde Ernährung. „Die Bezeichnung überstrahlt das gesamte Produkt.“

Schläfer-Effekt Damit wird beschrieben, wie sich Falschinformationen im Gehirn festsetzen. In der Werbung heißt das etwa, dass der Inhalt einer Botschaft länger erinnert wird als die Botschaftsquelle.

Teller Psychologische Studien zeigten, dass nicht nur die Größe des Tellers Einfluss auf die verspeiste Menge hat, sondern auch die Farbe. Von roten Tellern aßen die Teilnehmer deutlich weniger als von blauen oder weißen. Das könnte beim Abnehmen eine Rolle spielen, vermuten die Forscher. Eine andere Forschergruppe fand hingegen heraus, dass heiße Schokolade am besten aus orangefarbenen Bechern schmeckt.

Verzerrung Wer sich ob all dieser Verzerrungen überfordert fühlt und glaubt, jetzt erst recht nichts richtig machen zu können: Nehmen Sie es mit Humor, empfiehlt Ernährungspsychologin Schiftan. „Wenn man sich bewusst ist, dass die Wahrnehmungsverzerrung eine lustige Spielerei unseres Gehirns ist, nimmt das viel Druck aus der Situation.“

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