Problematisch für Migration: Werte gehen weltweit stark auseinander

Problematisch für Migration: Werte gehen weltweit stark auseinander
Unterschiede bei Einstellungen zu Gleichberechtigung und Toleranz sorgen vor allem in der Migrationspolitik für Herausforderungen.

Toleranz, Selbstentfaltung, Gleichberechtigung – während die Zustimmung zu diesen Werten in wohlhabenden westlichen Ländern in den vergangenen Jahren wuchs, nahm sie in anderen Teilen der Welt deutlich ab. Global gesehen stiegen in den vergangenen 40 Jahren die Differenzen zwischen Ländern unterschiedlicher Weltregionen. Das sind die Hauptergebnisse einer Studie zum World Values Survey, einer weltweiten repräsentativen Umfrage aus 76 Ländern, die am Dienstag im Fachblatt Nature Communications erschienen ist.

Je nach Größe des Landes wurden zwischen 1.000 und 5.000 Menschen befragt. Österreich ist nicht unter den teilnehmenden Ländern. Die Umfragen wurden von 1981 bis 2022 insgesamt sieben Mal durchgeführt. Die aktuell veröffentlichten Ergebnisse basieren auf den Erhebungen des Jahres 2022. Die Fragen sind nicht direkt zu bestimmten Werten formuliert, stehen aber mit ihnen in engem Zusammenhang. Abgefragt wird etwa, inwiefern Homosexualität gerechtfertigt sein kann. 

Mit zunehmender Modernisierung und wachsendem Wohlstand nehmen demnach in westlichen Ländern individualistische Werte zu. Zwar hätten der Studie zufolge generell Länder mit ähnlichem Bruttoinlandsprodukt ähnliche Werte. Der Zusammenhang, dass sich mit steigendem Wohlstand sogenannte emanzipatorische Werte wie die Gleichstellung von Mann und Frau stärker durchsetzen würden, sei aber insbesondere in asiatischen und afrikanischen Ländern viel weniger ausgeprägt als in westlichen. 

"Spaltungslinien" zwischen unterschiedlich geprägten Ländern

Ein Beispiel der Studienautorinnen und -autoren für das zunehmende Auseinanderdriften von Werten ist die Zustimmung zum Wert des Gehorsams in der Kindererziehung: Während der ersten Umfrage 1981 stimmten etwa noch 39 Prozent der Australier und 32 Prozent der Pakistanis zu. In der aktuellsten Umfrage waren es nur noch 18 Prozent der Australier, aber 49 Prozent der Pakistanis, die Gehorsam in der Kindererziehung als sehr wichtig erachten. 

"Die Divergenz von Werten nimmt weltweit zu – zumindest in einigen Schlüsselbereichen wie Migration, Religion, Einstellungen gegenüber Homosexualität und Abtreibungen. Es haben sich in den letzten Jahrzehnten neue Spaltungslinien zwischen westlich geprägten, sehr wohlhabenden europäischen Ländern auf der einen Seite und asiatischen und (nord-)afrikanischen Staaten auf der anderen Seite – sogenannten oder ehemaligen Entwicklungsländern – herausgebildet. Gleichzeitig gibt es auch globale Tendenzen der Konvergenz, die allerdings schwächer ausgeprägt sind. Ein Beispiel wären die Einstellungen beziehungsweise Werte gegenüber dem technologischen Wandel", sagt Sozialwissenschaftler Roland Verwiebe von der Universität Potsdam. 

Überbetonung der Diskrepanzen denkbar

Derartige Diskrepanzen könnten Konsequenzen für politische Polarisierung und internationale Konflikte haben, wird vonseiten der Studienautorinnen und -autoren betont. Christian Welzel, Leiter des Zentrums für Demokratieforschung an der Leuphana Universität Lüneburg und Vizepräsident der World Values Survey Association, erklärt, dass es zwar eine Tendenz zu Unterschieden in den Werten gebe, diese in der Studie jedoch überzeichnet werden. Die Weltkulturen würden sich nicht in gegensätzliche Richtungen entwickeln, aber in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. 

"Internationale Kooperation ist nicht das Problem, weil es hier nicht um Werteunterschiede, sondern um Interessenkonflikte geht. Zum Beispiel sind Ukrainer und Russen sich auf der Kulturkarte des World Values Survey sehr ähnlich, aber die beiden Länder haben geopolitisch völlig gegensätzliche Interessen. Das Terrain, auf dem Werteunterscheide die größte Herausforderung stellen, ist Migration. Einwanderung aus dem globalen Süden in den Westen bringt Menschen unterschiedlichster Werteprägung zueinander. Das ist eine Herausforderung an die Integrationspolitik", sagt Welzel. 

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