Wegen ÖVP-Kampagne: Güngör verweigert Raabs "Leitkultur"-Expertenrat

Kenan Güngör gestikuliert bei einem Interview
Die Kampagne mit ihren "unsäglichen" Sujets polarisiere mehr als sie zusammenführe, findet der Soziologe.

Soziologe und Politikberater Kenan Güngör hat nach einer ersten Sitzung entschieden, nicht für den Expertenrat zur Ausgestaltung einer österreichischen "Leitkultur" zur Verfügung zu stehen. Die Initiatorin, Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP), habe dort zwar sehr bedacht über das Thema gesprochen.

Die Kampagne der ÖVP mit ihren "unsäglichen" Sujets polarisiere aber mehr als sie zusammenführe. Außerdem sei schon der nebulöse Begriff "Leitkultur" problematisch.

Güngör sieht eine "sehr stark rechtspopulistische" ÖVP-Kampagne

Güngör betonte dabei im Interview mit dem Online-Medium Newsflix vom Donnerstag, dass er sich nicht aus dem Gremium zurückziehe. Er habe von vorneherein nur zugesagt, an einem ersten Austauschgespräch teilzunehmen, um dann zu schauen, ob er tatsächlich mitarbeiten wolle. Unter den gegebenen Bedingungen - noch dazu in Zeiten vor einem Wahlkampf - sei es ihm allerdings nicht möglich, einen sinnvollen Beitrag zu leisten.

Die bedachten Äußerungen der Ministerin und die "sehr stark rechtspopulistische" ÖVP-Kampagne, mit der für Güngör eine Grenze überschritten wurde, würden nicht zusammenpassen. Der von der deutschen AfD entlehnte Spruch "Leitkultur statt Multikulti" sei nicht nur rechtspopulistisch, sondern auch realitätsfremd - denn wenn man einen eher ländlichen Traditionalismus à la Maibaumaufstellen als "Leitkultur" definiere, wäre vermutlich die Hälfte der Österreicher dagegen. Er selbst suche mit seinen Kindern Ostereier und feiere auch Weihnachten, so der gebürtige alevitische Kurde aus der Türkei. "Ich schätze es, wenn man Dinge verbindet und das ist so viel mehr die Lebensrealität."

Lieber nach der Wahl diskutieren

Gegenüber dem KURIER betont der Soziologe,. dass der Begriff Leitkultur - unabhängig von den ÖVP-Sujets - schon schwierig genug sei. Und gerade in Zeiten eines Wahlkampfs könne der Eindruck entstehen, dass das Thema in Zusammenhang mit einer Kampagne gebracht werde. Güngör kann sich aber vorstellen, sich nach der Wahl an einer Diskussion dazu zu beteiligen, "wenn der Prozess vernünftig aufgesetzt wird". 

Güngör kritisiert die "ausladende Integrationspolitik"

Eine Debatte über "Leitkultur" sei in Österreich durchaus möglich, "wenn wir es wirklich klug und vernünftig machen". So könne man versuchen, den Heimatbegriff im 21. Jahrhundert neu zu definieren und mit der latenten Angst der autochthonen Bevölkerung vor einer Verdrängung vernünftig umzugehen. "Man muss die Sorgen ernst nehmen, wirklich ernst, sehr oft versteht die Politik leider darunter eher nachplappern."

Dass sich Jugendliche mit Migrationshintergrund derzeit nicht immer mit Österreich verbunden fühlen, selbst wenn sie hier geboren sind und zu den Aufsteigern gehören, liegt für Güngör neben verklärenden Erzählungen der Eltern über deren Heimat an einer "ausladenden Integrationspolitik": "Wenn ich Zugewanderte permanent wie Aussätzige anspreche, fühlen sie sich so. Die denken sich, die wollen mich doch nicht wirklich."

ÖVP bedauert

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker bedauerte den Schritt, wie er am Rande einer Pressekonferenz erläuterte. Er schätze Güngör und dessen Expertise. „Ich hätte mich gefreut, wenn er weiter für die Ausarbeitung des Leitbilds zur Verfügung gestanden wäre.“ Man habe auch zugestanden, dass die Kampagne nicht optimal war, die Sujets seien auch teilweise geändert worden, betonte Stocker. Die ÖVP hat etwa jenes mit dem Slogan „Tradition statt Multikulti“ gelöscht. Der Schritt Güngörs sei aber zu respektieren, hielt der ÖVP-Generalsekretär fest.

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