Warum sich Integrationswille nicht an Herkunft festmachen lässt

Die aktuelle Studie wurde nicht im Gespräch mit Jugendlichen verfasst, sondern wurde in Gesprächen mit Experten über Jugendliche erstellt. Diese Differenzierung hat Migrationsexperte Kenan Güngör, der diese Bestandsaufnahme zu Integration und Desintegration in Österreich mit Detailaspekten zu Linz und Wels erstellt hat, eingangs vorgenommen. Weniger aussagekräftig ist sie dadurch nicht.
Eine wesentliche Erkenntnis: Desintegration lässt sich nicht (mehr) an der Herkunft festmachen. Laut Güngör gibt es in Österreich kaum bis keine Parallelgesellschaften, die tatsächlich als solche bezeichnet werden dürfen. Was es gibt, sind Parallelmilieus.

Und hier sind es die „desintegrativen Milieus“, in denen sich Migranten und auch Migrantinnen aufhalten, die letztlich Probleme schaffen. Dort, wo jungen Menschen die Perspektive fehlt, einen sozialen Aufstieg zu schaffen, steigen Desintegration und Bereitschaft zur Kriminalität, habe die Studie ergeben.
"Brauchen stärkeres Aufstiegsversprechen"
Zwar steige die Mobilität zwischen Gruppierungen unterschiedlicher Herkunft, aber häufig nur in der gleichen sozialen Schicht. „Wir brauchen ein stärkeres Aufstiegsversprechen für diese Gruppen“, weiß Experte Güngör. Und Arbeit, das weiß Michael Maurer, Chef der Jugendkontaktbeamten der Linzer Polizei nur zu gut, „bringt die jungen Menschen von der Kriminalität weg“.

Güngör hat in der Studie auch festgehalten, dass sich die aus unterschiedlichen Ethnien stammenden Gruppen häufig auf – schlechtes – Deutsch als gemeinsame Sprache einigen. Was nur bedingt integrationsförderlich ist – deshalb will das Land Oberösterreich bei den diesbezüglichen Bildungsangeboten nachschärfen.
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Großes Thema ist auch die Mobilisierung im digitalen Raum. „Die Jugendlichen sind onlive“, beschreibt Güngör, digitale und reale Welt verschränke sich immer stärker. Das, gepaart mit dem stärkeren Austausch zwischen Gruppen unterschiedlicher Herkunft und fehlenden Perspektiven habe die multinationalen Halloween-Ausschreitungen erst ermöglicht.
Apropos Halloween: Wie sich die Polizei konkret auf Halloween vorbereite, werde aus einsatztaktischen Gründen nicht öffentlich kommuniziert, sagt Maurer.
Strafen zeigen Wirkung
Was er aber sagt: „Die Strafverfahren nach der Halloween-Nacht haben bei den Jugendlichen Wirkung gezeigt.“ Seiner Einschätzung nach „sind die Jugendlichen nicht gewillt, Halloween heuer auf der Straße zu verbringen“.
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Dass mit solchen „flashmobartigen Versammlungen“ von perspektivlosen jungen Menschen auch künftig zu rechnen sei, daran ließ Güngör aber keinen Zweifel.
Deshalb sei es so wichtig, den jungen Menschen aus diesen Milieus über Bildung auch Perspektiven zu bieten. Vor allem dort, wo über mehrere Generationen niemand einen sozialen Aufstieg geschafft habe, bestehe die Gefahr eines „generationenübergreifenden Frusts“, der sich schließlich in einer Abkehr von der Mehrheitsgesellschaft manifestiert.
Muslim-sein
Muslim-sein gilt in „unterschichteten, religiös und herkunftsgeprägten Jugendmilieus im öffentlichen Raum als handlungsanleitende Relevanz“, nach außen gerichtetes Islambekenntnis als „grenzmarkierende Selbstvergewisserung“
Jihadismus
Das Phänomen nimmt zusehends ab, Jugendliche sind aber religiöser als ihre Eltern, ohne dabei laut Studie extremistischer oder gewaltbereiter zu sein
Problemfelder
Türkische und tschetschenische Submilieus fallen durch Ultranationalismus auf, in Islam-geprägten Teilgruppen treten Homophobie und Sexismus stark auf
Was die Studie ergeben hat und sich mit der Einschätzung der Linzer Polizei deckt: Dass religiöse Werte auch über die hierzulande geltenden Gesetzen gestellt werden. Maurer: „Das führt zu einer offensiven Haltung gegenüber der Polizei und auch zu Kriminalität.“
Emanzipation aus Familienstruktur
Wie reagiert nun das Land auf diese Entwicklung? Mit verstärkten Peer-Ausbildungen in den jeweiligen Communitys. "Wenn ein Polizist etwas sagt, wirkt das anders, als einer aus der Gruppe", weiß ÖVP-Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer. Auch sollen Frauen in den Milieus stärker angesprochen werden. Damit soll eine Emanzipation aus der in diesen Kreisen herrschenden konservativ-religiösen Familienstruktur ermöglicht werden.
Auch soll digitales Streetwork und aufsuchende Sozialarbeit weiter verstärkt werden.
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