Warum Nofretete doch im Grab von Tutanchamun liegen könnte
Nicholas Reeves ist hartnäckig; so viel steht fest. Dass Radarscans vor einiger Zeit „bewiesen“ haben, dass da keine Hohlräume hinter der Grabkammer von Tutanchamun sind, ficht ihn nicht an. Jetzt hat der britische Ägyptologe eine neue wissenschaftliche Abhandlung veröffentlicht. Auf 83 Seiten legt er Indizien vor, warum Nofretete doch hinter der goldenen Wand begraben sein könnte.
Der renommierte britische Ägyptologe (Jahrgang 1956) hat sich überwiegend mit der Amarna-Zeit (der Epoche von Echnaton und Nofretete) und dem Tal der Könige beschäftigt. Einem breiten Publikum ist er durch seine Bücher bekannt. Er war Kurator im British Museum London und im Highclere Castle, im Schloss von Lord Carnarvon, dem Mäzen von Tutanchamun-Entdecker Howard Carter. Derzeit lehrt er an der Universität Arizona und ist Direktor des Amarna Royal Tombs Projects.
Rückblick
Im Sommer 2015 hatte Reeves nicht nur die Wissenschaft aufgeschreckt. Er argumentierte, das Tutanchamun-Grab sei viel zu klein und erinnere im Aufbau eher an ein Königinnen-Grab. Es müsse also weitere Kammern geben. Eine davon beinhalte das Grab der Nofretete. Tatsächlich rätselten bereits Generationen von Archäologie-Studenten in Seminaren über den komischen Grundriss des Tut-Grabes.
Nach dieser Theorie (der KURIER berichtete) war die komplette Grabanlage KV 62 ursprünglich für Nofretete gedacht. Die außergewöhnliche Frau sei nach dem Tod ihres Ehemannes, des „Ketzerkönigs“ und ersten Monotheisten Echnaton, von Amarna nach Theben zurückgekehrt. Dort habe sie sich mit der Amun-Priesterschaft ausgesöhnt, den Polytheismus wieder erlaubt und Ägypten noch einige Jahre als König(-in) Semenchkare regiert. Als ihr Stiefsohn und Nachfolger, der 19-jährige Tutanchamun, überraschend starb, habe man hastig die beiden vorderen Kammern zu dessen Grab umgewidmet. Die hintere von Nofretete wurde dagegen abgetrennt und zugemauert.
Die Theorie war so spektakulär, dass ihr das Antikenministerium nachging. Fünf Radarscans blieben ohne Ergebnis. Graben und nachschauen scheint unmöglich – zu groß wären die Zerstörungen im weltberühmten Grab. Reeves Theorie schien tot.
Doch dieser Tage hat er eine neue wissenschaftliche Arbeit vorgelegt – 83 Seiten voller Sprengstoff. Im Zentrum: die Nordwand mit den sieben Figuren im Grab von Tutanchamun. Und Geheim-Grabungen von Howard Carter, der angeblich auch schon weitere Kammern vermutete, wie der Ägyptologe im Interview mit dem KURIER verrät.
KURIER: Herr Reeves, was haben Sie entdeckt?
Nicholas Reeves: Ich denke seit fünf Jahren über die dekorierten Wände in Tutanchamuns Grab nach. Dank hochauflösender Scans (2014 von Factum Arte online veröffentlicht) konnte ich sie erstmals im Detail studieren. Was ich fand, war mehr als überraschend: Spuren im Putz, die die richtige Größe und Position hatten, um Türen zu sein.
Sie schreiben auch, dass die Szene auf der goldenen Wand ursprünglich für Nofretete gemalt und später – nach Tutanchamuns Tod – für ihn angepasst wurde . . .
Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die Namen der verschiedenen Personen nicht mit ihren Gesichts- und Körpermerkmalen übereinstimmen. (Die gängige Interpretation: Die Figur ganz rechts stellt Pharao Eje dar, neben ihm Tutanchamun. Die Identität der beiden Personen wird durch die Kartuschen über ihren Köpfen bezeugt. Ihre Gesichter sprechen aber eine andere Sprache, meint Reeves. Eje habe, obwohl ein alter Mann, das Gesicht eines Jugendlichen mit leichtem Doppelkinn, ganz so wie Tutanchamun immer wieder dargestellt wurde. Der angebliche Tutanchamun hat dagegen ein schlankes Gesicht und eine senkrechte Falte am Mundwinkel; Merkmale, die häufig in Abbildungen von Nofretete zu sehen sind. Anmerkung)
So begräbt also nicht Eje Tutanchamun – wie wir heute die Darstellung interpretieren –, sondern Tutanchamun seinen Vorgänger als Pharao, den mysteriösen Semenchkare, von dem ich glaube, dass es niemand anderer als Nofretete war. Das wirft viele Fragen auf. Warum sollten wir eine Darstellung von Nofretete im Grab des Tutanchamun finden? Die Antwort muss lauten, dass das Grab tatsächlich viel größer ist, als wir heute sehen. Und da schließt sich der Kreis zu den Spuren auf den eingangs erwähnten Scans. Es muss also hinter der Nordwand noch verborgene Abschnitte geben, die zur Grabkammer der Nofretete führen.
Nachdem mehrere Radarscans keine Hohlräume belegen konnten, schien Ihre Theorie vom Tisch.
Der britische Geophysiker Georg Ballard hat die Scans im Auftrag von „National Geographic“ bereits 2016 überprüft und jetzt für Sie neu ausgewertet. Was hat er herausgefunden?
Er interpretiert die Daten anders als die italienischen Kollegen unter Francesco Porcelli. Sie haben sich darauf konzentriert, Hohlräume zu finden und sind gescheitert. Für Georg Ballard deuten die Daten darauf hin, dass die Hohlräume zwar vorhanden sind, aber bis zur Decke mit Schutt gefüllt – genau wie der Eingangskorridor des Tutanchamun-Grabes, als er zum ersten Mal von Howard Carter geöffnet wurde.
Apropos Carter: Der hatte bereits ähnliche Vermutungen wie Sie . . .
Ja, ich denke, Carter muss einen starken Verdacht gehabt haben – schließlich kannte er die Grundrisse dieser Königsgräber besser als jeder andere. Außerdem haben wir jetzt einen Beweis, weil Carter Teile der Wandmalerei (einen m²) entfernt hat, um nach einer Geheimtür zu suchen. Carters Idee war gut, nur der Ort, wo er suchte, war falsch.
Woher glauben Sie, das zu wissen?
Weil wir entdeckt haben, dass es dort moderne Restaurierungsarbeiten gegeben haben muss. Zum Glück gibt es Vorher-Nachher-Bilder von der Wand (eines zeigt den Originalzustand, das zweite stammt aus 1936, als bereits restauriert worden sein muss). Bei einem Vergleich der Bilder habe ich die Unterschiede festgestellt – Fehler, die Carter bei der Restaurierung unterlaufen sind.
Der Schurz von Figur 3, der ursprünglich 24, später aber 27 Streifen hatte?
Ja, ich habe die Streifen zufällig nachgezählt. Carter war bei der Restaurierung einfach schlampig.
Gibt es schon Reaktionen auf Ihre Arbeit? Und was wird jetzt passieren?
Seit das Team von Porcelli lauthals verkündet hat, dass man nun bewiesen habe, dass es keine weiteren Kammern im Grab gäbe, hören die Medien nur noch darauf. Dabei sind die Hinweise stärker denn je. Die Überprüfung der Daten durch George Ballard erzählt eine andere Geschichte. Wie es weitergeht, kann nur das ägyptische Antikenministerium sagen, ich bin aber sicher, dass sie schon bald über die Angelegenheit entscheiden.
Tipp:
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