Auf der Suche nach dem verschollenen Grab von Tutanchamuns Frau
Säulen aus Kalkstein türmen sich auf. Eine holprige Sand-Stein-Straße führt tief ins enge Wadi al-Gurud hinein. Nach zehn Minuten Autofahrt taucht hinter einer Kurve ein riesiges Zelt auf.
Nur Stunden davor kam nach langen Bemühungen endlich das Okay: Ägyptens berühmtester Archäologe gewährt eine Audienz.
Zahi Hawass sucht im Tal der Affen (Westliches Tal) gleich neben dem viel berühmteren Östlichen Tal nach dem noch immer verschollenen Grab der Ehefrau von Tutanchamun, Anchesenamun. Sogar unser Fahrer ist verblüfft: „Was, Professor Zahi ist hier? Und er arbeitet in Wadi al-Gurud?“
Ho-ruck, Ho-ruck
„Ela-ho, ela-ho!“ (bei uns würde es wohl „Ho-ruck, Ho-ruck“ heißen). Rhythmische Gesänge empfangen uns. Rechts und links des Zeltes versuchen Dutzende Männer – manche in langen grauen oder beigen traditionellen Dschallabijas, andere in modernen Jeans – riesige Felsblöcke zu bewegen.
Die Luft knistert vor Anspannung und Erwartung: So müssen sich Besucher vor bald 100 Jahren gefühlt haben, wenn sie Howard Carter beim Suchen nach Tutanchamun beobachtet haben. Zahi Hawass, der Herr über die Expedition, sitzt derweil entspannt unter einem Sonnenschirm und betrachtet, den Indiana-Jones-Hut immer auf dem Kopf, das Treiben.
Ohne ihn geht in Ägypten nichts: Zahi Hawass, 1947 in Damietta in bescheidenen Verhältnissen geboren, war vor dem Arabischen Frühling Chef der Antikenverwaltung und Antikenminister. Er studierte Archäologie in den USA sowie in Ägypten und berät den heutigen Antikenminister in wichtigen Fragen.
Allfällige Ähnlichkeiten – Hut und forsches Auftreten – sind nicht zufällig und durchaus gewollt: Indiana Jones, Mr. Pyramide oder „der Pharao“ sind Spitznamen des Mannes, der sich die Entdeckung des Tals der Goldenen Mumien in der Oase Bahariya auf die Fahnen heften kann. Er initiierte den Bau des Grand Egyptian Museum und des National Museum of Civilisation.
Außerdem zählt er den Fund der Gräber der Pyramiden-Arbeiter zu den Highlights seiner Karriere. 2005 wählte ihn das Time-Magazin unter die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. „Es gibt nichts anderes in meinem Leben – nur eine Sache, eine Liebe: Archäologie“, sagt er.
Wobei: Vergleiche mit Howard Carter hört Hawass nicht gerne. Lange schweigt er, dann meint er: „Wissen Sie, in Italien haben sie eine Umfrage gemacht. Ob ich berühmter bin oder Howard Carter. Und sie fanden heraus, das mein Name bekannter ist. Sie haben sie deswegen ausgezeichnet. Und ich war wirklich glücklich.“ Rührung liegt in seiner Stimme.
Seit 2009 forscht der Ägyptologe, der auch schon Antikenminister war, hier. „Niemand hat geglaubt, dass man im Westlichen Tal arbeiten kann – zu eng. Schauen Sie sich um“, sagt er und deutet auf einen riesigen Haufen Geröll, den die Arbeiter beiseite geschafft haben. „Wir haben bereits drei Mal so viel aus dem Tal geschafft.“
Radar? Taugt nichts!
Auf der Suche nach unentdeckten Wundern haben italienische Kollegen dann mit den besten Radargeräten alles gescannt. „Und wollten in 4,5 Meter Tiefe ein Grab geortet haben“, erzählt er. Als er das publik machte, entbrannte ein Kampf um die Fernsehrechte. Der Discovery-Channel machte gegen gutes Geld, das in seine Grabung fließt, das Rennen.
Selbst wenn Hawass „min fadlik“ („Bitte“) sagt, klingt es bestimmt und durchsetzungskräftig.
Gefunden hat er bisher übrigens nichts, was ihn nicht anficht, bestätigte es ihn doch nur in seiner Meinung, dass Radar nichts taugt: „Es wurde nicht für die Archäologie erfunden. Das einzige, worauf es beim Graben ankommt, ist Glück,“, sagt der Wissenschafter. Wobei: Zu wissen, wonach man Ausschau hält, schadet auch nicht.
„Wir haben da dieses schmale Tal“, erzählt er. „Und wir wissen, dass Eje (der Nachfolger Tutanchamuns) hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Und Amenhotep III. (der Großvater Tutanchamuns) auch. Darum dachten wir: Da muss mehr sein.“ Das Grab von Anchesenamun (die Ehefrau Tutanchamuns und später Ejes)) zum Beispiel. Ich habe das ganze Tal also in vier Sektionen eingeteilt. Wir sitzen hier in Area B.“
Hawass will alles im Tal der Affen, wie es auch noch genannt wird, umgraben. Mit einer großzügigen Geste weist sein Arm jetzt über den Berggipfel Richtung Nachbartal.
Dort, im weitaus berühmteren Tal der Könige, liegt Tutanchamuns Grab.
Hawass will nachschauen, ob Nofretete (Tutanchamuns Stiefmutter) nicht vielleicht doch gleich daneben zu finden ist. „Ihre Mumie ist noch nicht gefunden.“ Und weiter: „Nur 64 Gräber wurden bisher entdeckt, fünf hier und 59 im Osten.“ Wie viele es insgesamt sein könnten? 200? „Man weiß nie, was der Sand Ägyptens noch verbirgt“, sagt er. Und genau in dieser Sekunde hört man ein „Allah“ von der Arbeitsstelle und ein Singen.
Der Chef fordert uns auf, seine Leute bei der Arbeit zu fotografieren.
Die Amis kommen
Die Sonne steht im Zenit. Die Amis kommen, im Bus, mit fetten Kameras, Uhren und teils Gehhilfen klettern sie ins Tal. Hawass flirtet mit dem einzigen jungen Mädchen der Gruppe. Autogramme werden eingesammelt. Der ägyptische Forscher ist in den USA ein Star. Discovery-Channel und National Geographic sei Dank.
Es ist das erste Mal, dass fremde Besucher auf die Ausgrabung dürfen. Sagt er. „Es gibt eine Firma, die meinen Namen in Amerika nutzt, um Touristen herzubringen. 141 sind es bei der Premiere im vergangenen November. „Ägypten ist sicher, das ist die Botschaft, die ich in die Welt bringen möchte.“
Dadurch ist er ziemlich beschäftigt, erzählt er. „Vergangene Nacht habe ich im Luxortempel einen Vortrag gehalten und einen weiteren um vier in der Früh. Ich schlafe nicht mehr.“
Wie auf Kommando beginnen die Arbeiter noch lauter zu singen; man wird den Verdacht nicht los, dass da ein Quäntchen Inszenierung dabei ist. Später flüstert mir Hawass zu: „Normalerweise beginnen wir um sechs in der Früh und hören mittags auf. Heute habe ich sie wegen der Amerikaner länger arbeiten lassen. Weil eine Grabung ohne Action ist nichts.“
Selfies
Eine Stunde lang wird er sie auf seinem Forschungsgelände herumführen, sie teilhaben lassen an seinen Entdeckungen und ihnen das Gefühl geben, dass sie willkommen sind. Selfies inklusive. Hawass referiert über Tutanchamun, der zwei Stunden, ehe er starb, einen Unfall hatte, erzählt, dass er an Malaria litt und dass dessen Frau nach Tutanchamuns Tod einen Brief an den Feind, den hethitischen König, schickte, in dem sie um einen Ehemann bat, weil es in Ägypten niemand Passenden gab …
Jetzt klettert Zahi Hawass mit seinen Fans vom anderen Ende der Welt an jene Stelle, wo er die mit Graffiti aus dem alten Ägypten verzierten Häuser der Arbeiter aus der Pharaonenzeit ausgemacht hat. Hier haben sie gelebt, denkt er, hier wurden sie beerdigt. Der Weg über den Berg ins benachbarte Östliche Tal der Könige war kurz, maximal eine halbe Stunde.
„Wenn sie hierher kommen, um für mich zu arbeiten, mache ich sie zu Sklaven“, sagt er gleich danach über seine Arbeiter. Hawass scherzt gerne. Doch das teuflische Glitzern in seinen Augen deutet an, dass auch ein bisschen Wahrheit darin verborgen ist. „Mein ganzes Team hier und im Osten sind alle Ägypter.“ Er ist stolz darauf. „Ich habe sie eingeschult, damit sie ordentliche Ausgräber werden.“
Mittlerweile ist die Gruppe im Restauratoreneck angelangt. Auf einem riesigen Teppich liegen unzählige Keramikstücke ausgebreitet. Mehrere Männer versuchen – hoch konzentriert –, die Teile wie bei einem überdimensionalen Puzzle ohne Vorlage zusammenzusetzen. Wenn sie sicher sind, greifen sie zum Uhu (sic!) und fügen die Teile zusammen. „Das wurde in vielen Stücken gefunden, es ist ein typischer Pott aus der 18. Dynastie.“
Hawass hat sich hingesetzt – er ist auch nicht mehr der Jüngste – und hält die riesige Amphore vor seinen Bauch. „Möchten Sie anfassen?“ Die mehr als 3000 Jahre alte Keramik geht herum.
„Wenn ich schlafe, werde ich müde“, scherzt der 72-Jährige. Es wird viel gelacht, er ist ein Entertainer.
Dann hält Hawass einen Ring in die Kameras, der den Namen des Großvaters von Tutanchamun, Amenhotep III., trägt. „Für Teje, seine Frau“, mutmaßt der Ägyptologe.
„Zum Schluss kommt das, was ihr euch erhofft habt“. Zwei Arbeiter bringen vorsichtig ein undefinierbares Stück Irgendwas: „Das ist der untere Teil einer Mumie aus dem Grab von Eje – eine junge Frau, die mit ungefähr 25 starb“. Hawass deutet Richtung Berg, wo man einen Grabeingang sieht.
Sprach’s und entschwindet in seinem schwarzen Mercedes Richtung Zivilisation. Die Stunde, die er für die Touristen reserviert hatte, ist um.
Interview: Wo Zahi Hawass nach wem sucht
Herr Professor, woran arbeiten Sie gerade?
Zahi Hawass: An drei wichtigen Projekten: Ich grabe im Tal der Könige. Sie müssen wissen, dass das Tal der Könige in zwei Bereiche geteilt ist. Zum einen ins Westliche Tal und zum anderen ins Östliche. Im Westlichen, das auch Tal der Affen genannt wird, befinden sich die Gräber von Eje und Amenhotep III. Im Östlichen finden Sie Tutanchamun und viele andere Gräber.
Im Westlichen Tal suchte ich nach dem Grab von Anchesenamun, denn ich glaube, dass sie neben Eje beerdigt wurde, mit dem sie nach dem Tod von Tutanchamun verheiratet war. Infolge einer Flut wurden viele Steine und Sand ins Tal geschwemmt. Darum arbeiten wir seit einem Jahr dort.
Seit Ende Oktober 2018 arbeite ich aber auch im Östlichen Tal, gleich neben dem Grab von Ramses VII., und suche nach dem Grab von Ramses VIII. Nahe dem Grab von Hatschepsut halte ich nach dem von Thutmosis II. Ausschau. Auch die Region zwischen KV29 (Grabbezeichnung, kurz für Kings’ Valley) und Ramses IV. untersuche ich, weil dort bisher niemand nachgeschaut hat. Es ist vielversprechend, aber ich kann noch nichts verraten, weil es noch nicht bekannt gegeben wurde.
Welche Gräber könnte man noch entdecken?„Hmmm, Tutmoses II. und Ramses VII. fehlen; alle Königinnen der 18. Dynastie und alle Prinzen wurden hier beerdigt. KV 25 war als Grab für Echnaton geplant, doch der ging nach Amarna und nutzte das Grab nie. Ich glaube aber, dass Nofretete irgendwo hier begraben liegt. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass sie regiert hat. Nach Echnaton änderte sie ihren Namen in Semenchkare.
Apropos Amarna-Familie. Da gehörte ja auch Tutanchamun dazu . . .
Ich habe zusammen mit einem italienischen Komponisten eine Oper geschrieben. „Tutanchamun“ wird bei der Eröffnung des Grand Egyptian Museum 2020 aufgeführt werden. Und dann noch einmal bei der Hundertjahrfeier seiner Entdeckung 2022.
Worum geht es in der Oper?Wenn sie sich mit Geschichte beschäftigen, ist das langweilig. Man braucht Drama. Ich mache Drama: Als Tutanchamun in Amarna geboren wurde, war Nofretete (seine Stiefmutter) so was von verärgert. Sie hatte sechs Töchter, keine würde Ägypten regieren. Und da war jetzt dieser neugeborene Bub. Sie wollte ihn loswerden. Sie schrieb an den König von Kusch, der ihr helfen sollte, Tutanchamun loszuwerden. Doch Haremhap rettete den Buben.
Wissenschaftlich korrekt?
Nein, wir reden hier über Drama, nicht über Wissenschaft. Wenn sie die Geschichte vortragen, wie sie war, ist es langweilig, man muss Gewürze hinzufügen!
Vor einigen Jahren wollte der britische Ägyptologe Nicholas Reeves mit Radarscans beweisen, dass das Grab der Nofretete hinter dem von Tutanchamun liegt. Was denken Sie darüber?
Tutanchamun war nicht der Sohn, sondern der Stiefsohn von Nofretete, warum sollten sie sich ein Grab teilen? Es gibt keine Chance, hinter einer Felswand organisches Material auszumachen. Italienische Spezialisten haben es sich später angeschaut – nichts! Es ist nur eine Theorie. Mit Radar muss man immer vorsichtig sein. Keine Entdeckung ist durch Radar gelungen.
Wo vermuten Sie Nofretete?
Wir wissen es nicht. Sie ist irgendwo im Östlichen Tal beerdigt, denn das ist der perfekte Platz für die Gräber der Königinnen der 18. Dynastie. Alle wurden dort oder im West-Tal begraben. Das untersuche ich gerade.
Könnte nicht eine der bereits entdeckten Mumien Nofretete sein?
Vielleicht. Wir habe eine Mumie, die neben einer kopflosen Mumie in KV 21 liegt. Wir haben sie als Anchesenamun identifiziert. Wir denken, dass die alten Ägypter die Tochter neben die Mutter legten. Und Anchesenamun war die Tochter der Nofretete.
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