Seit mehr als vier Monaten sind Virologen nicht mehr aus der Öffentlichkeit wegzudenken. Zuvor so gut wie unbemerkt, klären sie uns nun täglich über das Coronavirus und die damit einhergehende Pandemie auf.
Norbert Nowotny, Virologe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, ist einer von ihnen. Als Spezialist für neuauftretende Virusinfektionen und Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, steht er in der ersten Reihe. Was ihn an der neuen Popularität nervt und wie Virologen so ticken, erzählt er im Interview.
KURIER: Wie viele Interviews haben Sie seit Beginn der Pandemie gegeben?
Ich schätze etwa 300.
Hassen Sie die Journalisten mittlerweile?
Nein, natürlich nicht. Sie sind immer nett zu mir, weil es ja nicht so viele Virologen gibt und sie es sich nicht verscherzen wollen.
Welche Frage nervt Sie am meisten?
Journalisten wollen immer wissen, wie es weitergeht. Also zum Beispiel, wann es einen Impfstoff gibt. Aber wir kennen dieses Virus erst seit einem halben Jahr. Großartige Prognosen sind da schwer möglich.
Also, wie geht es weiter?
Das klären wir bitte beim nächsten Interview.
Haben Sie sich bei Prognosen schon einmal geirrt?
Ich kann ja nicht immer sagen "Das wissen wir nicht", also habe ich mich schon manchmal aus dem Fenster gelehnt. Einmal habe ich gesagt, dass das Coronavirus als Folge der rigorosen Maßnahmen verschwinden könnte. Das war nach dem Lockdown, als die Zahl der Neuinfizierten pro Tag in drei Wochen von über 1.000 auf unter 100 zurückgegangen ist. Und auch das erste SARS-Coronavirus ist von alleine verschwunden. Heute wissen wir, dass es sich nicht von alleine vertschüssen wird. Die einzige Möglichkeit, es langfristig in den Griff zu bekommen, ist ein Impfstoff.
Wäre das Coronavirus ein Mensch, wie würden Sie es beschreiben?
Man könnte sagen, es ist ein furchtbares Gfrast. Aber eigentlich ist es ein Opportunist: Es nützt sich ihm bietende Gelegenheiten sofort aus. Damit es zu einer Pandemie kommt, benötigt es zwei Schritte. Schritt eins ist vom tierischen Reservoir auf den Menschen überzuspringen, also einen neuen Wirt zu infizieren. Schritt zwei ist eine effektive Übertragung von Mensch zu Mensch. Diesem Coronavirus ist beides in kurzer Zeit gelungen.
Ist eine Pandemie Traum oder Alptraum eines Virologen?
Ein Alptraum.
Wie oft am Tag waschen Sie sich die Hände?
Seit Corona mehr als vorher, vielleicht acht bis zehn Mal am Tag.
Sie sind ja Spezialist für Zoonosen und neu auftretende Virusinfektionen. Wie kommt man dazu?
Das hat sich ergeben. Ich war eigentlich immer an Humanmedizin interessiert, habe aber meinen ersten Job am Institut für Virologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien bekommen. Studiert habe ich aber weder das eine, noch das andere, sondern Biologie. Als es dann Richtung Doktorarbeit ging, sollte diese im medizinischen Bereich sein. Deswegen habe ich sie im Bereich Virologie am Institut für Krebsforschung gemacht. Das war mein Eintritt in die Virologie.
Es lag also nicht an einer ausgeprägten Tierliebe?
Corona hat meinen Alltag völlig durcheinandergebracht. Jetzt steht die Beantwortung von Medienanfragen an erster Stelle. Aber eigentlich gehören Lehre, Forschung und das Publizieren von Studien zu meinen Hauptaufgaben. Das kommt jetzt zu kurz. Eines Tages könnte sich also jemand fragen, wieso der Kollege Nowotny im Jahr 2020 so wenig publiziert hat.
Virologen genießen derzeit viel Aufmerksamkeit. Fühlen Sie sich mittlerweile als Promi?
Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber es sprechen mich tatsächlich Leute im Supermarkt an und fragen, ob ich der Virologe aus dem Fernsehen bin. Aber als Promi fühle ich mich ganz sicher nicht und ich will auch keiner sein.
Kennen Sie einen Virologen-Witz?
Ja, der ist aber eher halblustig. "Wie kommt ein betrunkener Virologe nach Hause? Auf allen Viren."
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